Unauffällig kommt Rolf Martin Schmitz daher. Wenn der Topmanager des Energiekonzerns RWE mit Hut und langem beigem Trenchcoat durch Berlin eilt, könnte er als Chef einer Detektei durchgehen. Doch das klassisch-konservative Outfit täuscht. Ein Leisetreter ist der 58-Jährige nicht.
Das passt auch nicht zu seiner Mission: Als jetziger Vize und künftiger Vorstandschef zieht er die politischen Strippen für den Krisenkonzern in der Hauptstadt. Dort feilscht er seit Monaten mit der von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission um die Summen, die RWE in einen Fonds für Atomaltlasten einzahlen soll. Da redet er Klartext, gern laut und emotional. RWE könne es sich nicht leisten, einen Aufschlag zusätzlich zu den derzeitigen Rückstellungen in Höhe von zehn Milliarden Euro zu zahlen: „Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen“, so schlecht sehe es bei RWE aus.
Bald soll Schmitz für einen Neuanfang bei RWE stehen. Noch-Konzernchef Peter Terium leitet ab April den abgespaltenen Ökostrombereich. Schmitz soll dann das Ruder bei der Konzernmutter übernehmen, sobald Terium im Herbst zunächst zehn Prozent der Anteile an der Ökostromsparte an die Börse gebracht hat. Langfristig sollen 49 Prozent der Tochtergesellschaft an die Börse.
Ein wirklicher Neuanfang wird der Wechsel an der Spitze jedoch nicht. Formal ist zwar Schmitz der neue Chef und muss seinem Ex-Boss künftig auf die Finger klopfen. Das war’s aber auch schon. „Schmitz kann nur Defensivarbeit leisten und den größten Schaden von RWE abwenden“, sagt ein Betriebsrat.
Nächste Aufgabe: Den Braunkohle-Ausstieg aushandeln
Im Klartext heißt das: Schmitz kann wenig gestalten, muss aber viel sanieren. Sein Ziel ist es, in Berlin die Belastungen für RWE so gering wie möglich zu halten. Denn im künftigen Mutterkonzern verbleiben nur das Handelsgeschäft sowie die Kohle-, Gaskraft- und Atomkraftwerke. Der letzte Atommeiler wird in sieben Jahren abgeschaltet. Als Nächstes muss er mit der Politik einen Ausstieg aus der Braunkohle aushandeln. Dafür bastelt Schmitz an einem neuen Plan, zusammen mit Werner Müller, Chef der Steinkohle-Stiftung RAG. Ähnlich wie Müllers Steinkohle könnten die RWE-Braunkohleaktivitäten in eine Stiftung wandern und dort abgewickelt werden.
Doch dazu braucht er die Politik, auf die er jetzt gerne eindrischt: „Keine Branche ist so stark reguliert wie die Energiewirtschaft“, beschwerte er sich auf der Jahrestagung des Berliner Instituts für Energie- und Regulierungsrecht vor einigen Wochen. Die Politik sei schuld daran, dass die Energiewende bei RWE noch nicht rund laufe. Depressionen habe er noch nicht wegen der katastrophalen finanziellen Lage seines Unternehmens; der ein oder andere Manager in seiner Finanzabteilung schon, witzelte Schmitz.
Vordringlich sanieren muss er das Geschäft mit Kohle- und Gaskraftwerken, die wegen der gefallenen Großhandelspreise für Strom nur noch Geld verbrennen. Aufräumbedarf gibt es auch bei der kriselnden RWE-Tochter npower in Großbritannien. Dort sollen rund 2400 Jobs wegfallen. Schmitz, ist aus Konzernkreisen zu hören, werde die britische Tochter erst sanieren und dann verkaufen. Spielraum, den Konzern auf Wachstum zu trimmen, hat er nicht: Schmitz ist auf Teriums Erfolg mit der neuen Ökotochter angewiesen, die provisorisch RWE International heißt und intern unter NewCo firmiert.
Wenig Euphorie über die neue Führung
Zu Hause in der Welt der erneuerbaren Energien sind allerdings weder Schmitz noch Terium. Rheinländer Schmitz hat seine Karriere in der traditionellen Energiewelt verbracht: als Chef der Stadtwerke Köln, des regionalen Versorgers RheinEnergie, bei der Veba, die später im neuen E.On-Konzern aufging. Schmitz gilt als bodenständig und loyal. Sein Herz hängt am Fußballclub 1. FC Köln, dessen Verwaltungsrat er bis 2011 vorsaß. „Schmitz trinkt Kölsch und geht wandern“, sagt Terium über seinen künftigen Chef und grenzt sich gleich ab: „Ich trinke Bier und hasse wandern.“
Der Niederländer macht keinen Hehl daraus, dass er weiter das Sagen bei RWE hat, schließlich gehöre die Zukunft den Erneuerbaren: „Es ist richtig, dass der Aufsichtsrat seinen ersten Mann dahin schickt, wo es am wichtigsten ist.“ Auch Schmitz sieht die Zukunft beim Ökostrom: „Helfen Sie uns“, ruft er in den Saal bei der Tagung in Berlin, wo er Juristen erklärt, wie RWE bei der Energiewende die Kurve kriegen will. „Kaufen Sie unsere Aktien, es kann nur noch nach oben gehen.“
Im Aufsichtsrat hält sich die Euphorie über die neue Führungsspitze dennoch in Grenzen. „Der Umbau ist richtig. Aber ein neues Geschäftsmodell für RWE hat Terium damit noch immer nicht gefunden“, sagt ein Aufsichtsrat. Terium habe sich bisher nur als Sparkommissar profiliert, nicht als Innovator. Zwar düst er auf der Suche nach Innovationen gern ins Silicon Valley. Das hat sich aber nicht substanziell im Konzern niedergeschlagen. „Terium versucht, RWE den Geist von Amazon oder Google einzuhauchen“, sagt ein RWE-Manager. Allein, es fehle die Konsequenz.
Angst vor Sparmaßnahmen geht um
So hat Terium keinen Sinn für das kleinteilige, regionale Energiegeschäft mit Geschäfts- und Privatkunden. 2015 platzte die Übernahme des Onlinevergleichsportals Verivox. Statt RWE kam ProSiebenSat.1 für 170 Millionen Euro zum Zug. Verivox bietet Preisvergleiche für Strom- und Gasanbieter an, RWE wollte damit sein E-Commerce-Geschäft ausbauen. Aber ein dreistelliger Millionenbetrag war Terium zu viel für eine solche Investition, heißt es intern.
In der Zentrale am Essener Opernplatz geht die Angst vor neuen Sparmaßnahmen schon länger um. Rund 40 000 der knapp 60 000 RWE-Mitarbeiter werden in die Ökotochter wechseln. Bis Ende 2018 sollen weitere 2000 Jobs konzernweit gestrichen werden, zusätzlich zu den 2400 in Großbritannien.
Die Sorgen sind berechtigt, die Goldgräberzeiten sind auch beim hoch subventionierten Ökostrom vorbei. Immer mehr Akteure kämpfen um Marktanteile. Demnächst steuert der Staat über Ausschreibungen, wie viele Wind- und Solarkraftanlagen gebaut werden. Im Internetchat mit den Mitarbeitern warnte Terium kürzlich, es werde nicht einfach, das Wachstum der Ökotochter anzukurbeln. Die Perspektiven für 2016 seien nicht besser als im Vorjahr.
„Die NewCo ist noch nicht geboren, da wird sie schon zum Sanierungsfall“, fürchtet ein RWE-Manager. In der Belegschaft stößt das neue Führungsduo denn auch nicht auf viel Begeisterung. Der Wechsel an der Spitze sei nicht mehr als „ein neuer Zirkus mit den alten Clowns“, spottet ein Manager.
Energiekonzerne im Umbruch
Der Strom- und Gasversorger Eon, der einst seine Stärke aus Kohle, Gas und Atomkraft bezog, mutiert nach seinem eigenen Bestreben zu einem lupenreinen „grünen Versorger“. Und verheißen die Pläne zur Abspaltung des konventionellen Kraftwerksgeschäfts in den Eon-Mutanten Uniper einen Ausweg aus der Krise? Oder führt am Ende doch der Weg, den die Essener Konkurrenten RWE einschlagen wollen, indem sie den Konzern radikal vereinfachen und mehr Macht in der Zentrale konzentrieren, am schnellsten raus aus der Krise?
Der Branchenprimus auf dem deutschen Strom- und Gasmarkt war wie alle großen Mitspieler durch die Energiewende in die Bredouille geraten. Zuvor waren Eon & Co durch die Ausweitung des Wettbewerbs auf den Märkten bereits Macht genommen worden. Unter anderem trennten sie sich von den Höchstspannungsnetzen. Mit der Entscheidung zum Ausstieg aus der Atomenergie aber erfolgte der entscheidende Schnitt – das Ende für die herkömmlichen Kohle- und Atomriesen war eingeläutet. Strom aus Wind und Sonne erhielt Vorfahrt.
Jahrelang hatte der Konzern enorme Gewinne aus dem Strom- und Gasgeschäft gescheffelt und Aktionäre mit steigenden Dividenden verwöhnt. Das ist seit ein paar Jahren vorbei. Dabei steht der Konzern unter einem hohen Druck durch die Kapitalmärkte. Durch die Abtrennung erhofft sich die neue Eon, die sich künftig ganz auf Ökostrom, Energienetze und Kundenlösungen konzentriert, Rückenwind: Das Unternehmen ist frei von Altlasten - nur noch der Name erinnert an seine Herkunft.
Bei dem Konkurrenten aus Essen sind die Eigentümerverhältnisse anders gelagert. Während Eon eine börsennotierte Publikumsgesellschaft mit zahlreichen Anlegern ist, haben bei RWE die Kommunen noch ein entscheidendes Wörtchen mitzureden. Auch die waren jahrelang durch üppige Dividenden verwöhnt worden. Eine Zerschlagung des Konzerns in zwei Teile wäre vor dem Hintergrund kaum durchsetzbar gewesen. RWE-Chef Peter Terium bezeichnete einen solchen Schritt auch als nicht „wünschenswert“. Hinzu kommt, dass bei RWE das Geschäft mit regenerativen Energien noch nicht so weit entwickelt ist wie bei Eon.
Darüber ist in den vergangenen Monaten viel berichtet und spekuliert worden. Eon-Chef Johannes Teyssen nannte diese Rückstellungen, die für den Rückbau der Atomanlagen vorgesehen sind und in der Eon-Bilanz 2014 eine Summe von mehr als 16 Milliarden Euro ausmachten, bei der Vorlage der Halbjahreszahlen als „sicher“. Die Summe wird vollständig Uniper zugeschlagen. Und Teyssen beteuert, dass das Unternehmen seinen Verpflichtungen voll und ganz nachkommen werde. Kritik kommt von Tobias Riedl von der Umweltschutzorganisation Greenpeace: „Die geplante Aufspaltung von Eon in eine „Good“ und eine „Bad Bank“ ist der dreiste Versuch des Konzerns, sich der Haftung für den selbst produzierten Atommüll zu entziehen.“ Eon strebe an, dass künftige Milliardenkosten für die Entsorgung des verstrahlten Abfalls möglichst die Bürger tragen sollten, sagt Riedl.
Auf dem deutschen Strom- und Gasmarkt wird es Uniper schwer haben. Auch wenn Eon den Bereich heute als einen für Jahrzehnte wichtigen Baustein beim Umbau des Energiesystems sieht - nämlich durch seine absichernde Funktion für die erneuerbaren Energien - wird das Unternehmen nach Ansicht von Branchenbeobachtern noch lange an seinem Image als Auslaufmodell zu tragen haben.
Mit dem massiven Ausbau der Erzeugung von Windkraft und Solarenergien und dem Anschluss der Parks an die Stromnetze ernten die Unternehmen allmählich die ersten Früchte ihrer Investitionen. Mittlerweile ist Eon an 10 Windparks auf See in Europa beteiligt und kommt weltweit auf eine Kapazität von 4000 Megawatt. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Stromerzeugung liegt derzeit bei rund 14 Prozent, bei RWE sind es mit 5 Prozent deutlich weniger.
Quelle: dpa
Der neue Mann an der Spitze hat sich offenbar mit seiner Rolle als Chefsanierer arrangiert. Lange galt Schmitz als Vertrauensmann der Kommunen. Städte wie Essen, Dortmund und Mülheim halten rund 25 Prozent des RWE-Kapitals. Jetzt schlägt er andere Töne an: „Mit den Kommunen reißt mir langsam der Geduldsfaden.“ Für 2015 hat RWE die Dividende gestrichen, zum Ärger der Städte, die das Geld eingeplant hatten. „Dass wir uns keine Dividende mehr leisten können, dürfte die Kommunen wirklich nicht überrascht haben“, sagt Schmitz.
Kühne Pläne für die Braunkohle
Den Aktionären stehen weitere Überraschungen bevor. Schmitz weiß, dass die fossilen Kraftwerke nur noch ein Klotz am Bein sind, vor allem die, die Braunkohle verfeuern. Kein Kraftwerk, das seine Kapitalkosten nicht verdient, will er am Netz lassen. Bei einem Großhandelspreis von 20 Euro pro Megawattstunde Strom schafft das nicht mal mehr die Braunkohle.
Gesichert hat sich RWE bis 2018 einen Strompreis von 35 Euro pro Megawattstunde – zum Glück. Und was dann? Einfach einmotten lassen sich die Meiler nicht. Falls Wind und Sonne für die Stromerzeugung ausfallen, werden sie als Reserve benötigt. Dafür, fordert Schmitz, müssten die Versorger vom Staat besser bezahlt werden.
Vor drei Wochen schlug Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie, eine Stiftung zur Rettung der heimischen Braunkohle vor. Diese könnte über eine Holding die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Braunkohlegeschäftes übernehmen. Als Betreibergesellschaft einer solchen Stiftung könnte der Essener Energiekonzern Steag fungieren.
Vattenfall hat noch nicht über Braunkohle-Verkauf entschieden
Ein Angebot für eine solche private Stiftungslösung hat das Essener Energieunternehmen Steag, Mitte März dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall gemacht. Der australische Finanzinvestor Macquarie soll der Steag bei der Verwaltung der Vermögenswerte helfen. IG BCE-Chef Vassiliadis ist Vize-Aufsichtsratschef bei Steag. Vattenfall will seine ostdeutschen Braunkohlekraftwerke verkaufen. Interesse zeigten die tschechischen Unternehmen EPH und CEZ. Ein konkretes Angebot hat aber nur die tschechische EPH-Gruppe zusammen mit der Finanzfirma PPF dem schwedischen Vattenfall-Konzern unterbreitet. Zur EPH-Gruppe gehört bereits die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (Mibrag) mit Sitz in Zeitz in Sachsen-Anhalt. Offenbar ist die tschechische EPH der Favorit der Schweden.
Politisch, so ist aus Berlin zu hören, erscheint eine Übernahme durch die Tschechen aber nicht erwünscht. Zu groß sei die Gefahr, dass die Tschechen möglicherweise nicht in vollem Umfang für die Altlasten der Braunkohle haften wollen. Um diese Risiken abzufedern, müsste Vattenfall zwar an die Tschechen oder eine Stiftung mindestens eine Milliarde Euro zahlen. So viel haben die Schweden für den Rückbau der Kraftwerke und die Rekultivierung der Tagebauten zurückgestellt. Doch das dürfte bei Weitem nicht reichen.
In solch einem Stiftungsmodell könnten aber nicht nur die ostdeutschen Vattenfall-Braunkohlekraftwerke aufgefangen werden, sondern auch die von RWE im Revier. Darüber diskutiert RWE-Chef Schmitz nach Informationen der WirtschaftsWoche mit seinem Buddy Vassiliadis und seinem Freund RAG-Stiftungschef Müller. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) könnte diese Bündellösung gefallen, weil ihm die hohen CO2-Emissionen der Braunkohlekraftwerke die Klimabilanz vermasseln.
Allerdings kann es sich RWE überhaupt nicht leisten, Rückstellungen in Milliardenhöhe in eine solche Stiftung einzubringen, und bräuchte finanzielle Hilfe des Bundes für einen sozial verträglichen Ausstieg aus der Braunkohle. Hier kommt wieder Schmitz ins Spiel als RWEs politischer Verhandlungsführer in der Hauptstadt, der unauffällig mit Hut und Trenchcoat auftritt – aber keineswegs als leiser Diplomat.