Wilhelmshaven Die Ampel-Männer feierten das LNG-Terminal und sich selbst – zu Recht?

Men at work: Finanzminister Christian Lindner (l.), Kanzler Olaf Scholz, Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck und, ganz rechts, Stephan Weil, der niedersächsische Ministerpräsident Quelle: dpa

Mit einer Schiffsparty ist in Wilhelmshaven das neue, schwimmende LNG-Terminal eröffnet worden. Mit dabei: Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner – alle drei in ganz besonderen Outfits.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Das Timing ist gut. Um Punkt 12 Uhr stehen Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) sowie Finanzminister Christian Lindner (FDP) in neongelben Leuchtjacken auf dem Sonnendeck des Ausflugsschiffs MS Helgoland.

Die Ampel arbeitet, soll diese PR-Nummer besagen. Der Wind pfeift. Es ist kalt, ein nebliger Tag, die Nordsee ist grün. Aber ein wenig lugt gerade jetzt die Sonne wie eine goldene Platte durch die Wolkendecke, das erste Mal an diesem Tag. Das Schiffshorn tutet. Die Helgoland grüßt.

Und es kommt eine Antwort. Laut, brummend und mächtig, von jenem fast 300 Meter langen Schiff, das gegenüber vertäut ist: Dort, an jenem brandneuen Anleger, liegt die „Esperanza“, die Speicher- und Verdampfungseinheit, Englisch: Floating Storage and Regasifiction Unit (FSRU), oder kurz: das erste schwimmenden LNG-Terminal Deutschlands. Auch die Esperanza grüßt per Schiffshorn.

Wilhelmshaven: Das Spezialschiff Höegh Esperanza liegt während der Eröffnung des LNG-Terminals in Wilhelmshaven vor Anker. Quelle: dpa

Damit ist an diesem Samstagmittag das erste LNG-Terminal quasi regierungsamtlich geweiht, Deutschlands erste eigene Alternative zu Putins Pipeline-Gas, erbaut binnen zehn Monaten in einer, wie sie hier gerne sagen, „neuen Deutschlandgeschwindigkeit“. Die Stimmung ist so gut, dass eigentlich nur noch fehlt, dass sich ein Regenbogen aus dem Himmel wölbt und Glitzer über die drei von der Ampel ausschüttet.

„Wir lassen uns nicht erpressen“

Deutschland und die Europäische Union, sagt Olaf Scholz ein wenig später unter Deck, würden nun ein Stück „sicherer und unabhängiger.“ Wladimir Putin habe sich getäuscht. „Wir lassen uns nicht erpressen.“ Die Esperanza sei erst der Beginn, es würden viele weitere Terminals folgen.  „Wilhelmshaven ist erst der Anfang.“

Der Weg zu Deutschlands erstem LNG-Terminal

Scholz lobt auch die Arbeit der eigenen Regierung: „Wir haben hier als ganze Regierung an einem Strang gezogen“, sagt der Kanzler  – und bedankt sich nicht nur bei Ländern und Kommunen, sondern auch bei seinen Regierungskollegen Robert Habeck und Christian Lindner. Die zweite wichtige Botschaft dieses Tages laute „Es geht“, sagt Olaf Scholz. Die Geschwindigkeit, die beim Bau des neuen Anlegers in Wilhelmshaven, beim Bau der rund 26 Kilometer langen Pipeline zum nächsten Gasnetzknotenpunkt in Etzel an den Tag gelegt worden sei, sei ein Vorbild für weitere Projekte. „Das ist das neue Deutschlandtempo, mit dem wir Infrastrukturprojekte voranbringen“, sagt Scholz.

Mindestens fünf Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr

Tatsächlich markiert die Einweihung der Esperanza einen tiefen Einschnitt in der deutschen Energieversorgung. Bislang hatte das Land kein einziges LNG-Terminal, das tiefgekühltes Flüssigerdgas erwärmen und in seinen ursprünglichen Zustand zurückverwandeln kann, Deutschland war vor allem von Putins billigem Pipeline-Gas abhängig. Das ändert sich jetzt. 

Lesen Sie auch: Warum das LNG-Terminal in Wilhelmshaven ein Befreiungsschlag ist

Bereits am vergangenen Donnerstag ist die Esperanza der norwegischen Reederei Höegh in Wilhelmshaven angekommen, betankt mit rund 165.000 Kubikmeter Flüssigerdgas. Das wird nun umgewandelt. Ab Januar werden LNG-Tanker längs an der Esperanza festgemacht, das FSRU wird ihre Ladung regasifizieren. Über den Steg des Kunststoffherstellers Vynova führt eine Pipeline mit Durchmesser 60 Zentimeter, an Land geht die in die neue, rund 26 Kilometer lange Verbindung zum nächsten Netzknotenpunkt in Etzel über. So sollen jährlich mindestens 5 Milliarden Kubikmeter Erdgas in das deutsche Gasnetz eingespeist werden. Das entspricht etwa sechs Prozent des deutschen Gasbedarfs und würde somit rund elf Prozent von Deutschlands Gasimporten aus Russland ersetzen.

Wilhelmshaven: Ein Arbeiter geht während der Eröffnung des LNG-Terminals in Wilhelmshaven an einem Gasrohr vorbei, das das Spezialschiff Höegh Esperanza mit dem Festland verbindet. Quelle: dpa

In diesem Winter 13,5 Milliarden Kubikmeter über neue Terminals

Insgesamt fünf dieser FSRUS hat die Bundesregierung angemietet. Neben Wilhelmshaven soll in diesem Winter noch ein zweites schwimmendes Terminal in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein in Betrieb gehen, ebenso ein privates Projekt der Firma Deutsche Regas in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern. Im Hafen von Lubmin ist am Samstag das FSRU Neptune eingetroffen. Im Lauf des nächsten Jahres kommen weitere Terminals in Wilhelmshaven, Stade und Lubmin dazu, in den Jahren danach noch drei so genannte landgebundene LNG-Terminals.

Das alles soll die russischen Lieferausfälle nach und nach kompensieren. Deutschland hat vor der Krise in etwa 55 Milliarden Kubikmeter (BCM) Erdgas aus Russland importiert, die es zu ersetzen gilt. Werden die drei schwimmenden LNG-Terminals in Wilhelmshaven (Kapazität: 5 bis 7,5 Milliarden Kubikmeter, kurz BCM), Lubmin (5-7 BCM) und Brunsbüttel (erst 3,5 BCM, dann 7,5 BCM) in diesem Winter noch in Betrieb genommen, steht eine Kapazität von etwa 13,5 BCM zur Verfügung.

Deutschlands erstes LNG-Terminal wurde im Rekordtempo errichtet. Das Wunder von Wilhelmshaven soll Wunden heilen, die Putin geschlagen hat. Mitte Dezember folgte die Feier der Regierung. Die wahren Erfolgsträger sind...
von Florian Güßgen

Ausgaben in Höhe von knapp 10 Milliarden Euro

Im Lauf des Jahres 2023 sollen weitere FSRUs in Wilhelmshaven (5-6,9 BCM), Stade (5-7,5 BCM) in Niedersachsen und Lubmin (5-7,5 BCM) hinzukommen. Dann würden insgesamt sechs Terminals für eine Gesamtkapazität von über 32,5 BCM, importiert über Infrastruktur allein an der norddeutschen Küste, sorgen. Das würde für den nächsten Winter 2023/24 bedeuten, dass eine Lücke von etwas mehr als 20 BCM geschlossen werden müsste – etwa durch zusätzliche Importe aus den Niederlanden oder Norwegen oder durch Importe von LNG-Terminals in den Niederlanden, in Belgien und in Frankreich. Auf diese zusätzlichen Quellen verwies auch Olaf Scholz an Bord der MS Helgoland. 2021 verbrauchten die Deutschen 90,5 Milliarden Kubikmeter Gas. Rund ein Drittel wäre dann allein über die neuen FSRUs abgedeckt, fünf staatlich und ein privat finanziertes. Mitte des Jahrzehnts sollen dann die an Land installierten LNG-Terminals dazu kommen – in Wilhelmshaven (30 BCM), Stade (13,3 BCM) und Brunsbüttel (10 BCM). Ausgaben in Höhe von rund 9,6 Milliarden Euro hat die Bundesregierung bis 3038 für den LNG-Import veranschlagt.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%