Als der dänische Manager Kasper Rorsted im Januar 2016 seinen Wechsel vom Chef des Waschmittel- und Klebstoffherstellers Henkel zum Sportartikelkonzern Adidas bekanntgab, wurde von Marktbeobachtern vor allem eine Eigenschaft hervorgehoben: sein Faible fürs Zahlenwerk, sein Fokus auf Profit. Abzulesen war dies auch an der Börse: An jenem Januartag stieg die Adidas-Aktie binnen weniger Stunden um bis zu zwölf Prozent. Rorsted hatte seinen künftigen Arbeitgeber um bis zu eine Milliarde Euro wertvoller gemacht – neun Monate, bevor er überhaupt dort angefangen hatte.
Von dieser Aura ist heute, sechseinhalb Jahre später, wenig übrig. Im August hatte Adidas Rorsteds vorzeitigen Abschied im kommenden Jahr angekündigt. Und am Donnerstagabend musste der Konzern bereits zum dritten Mal in diesem Jahr seine Prognose für das laufende Geschäftsjahr nach unten korrigieren.
Das ist ein Desaster. Und dass es dem einstigen Börsenliebling und vermeintlichen Zahlenmenschen Rorsted unterläuft, macht es umso verheerender. Hatte Rorsted zuletzt noch einen Gewinn von 1,3 Milliarden Euro für dieses Jahr in Aussicht gestellt, lautet die Vorhersage nun: 500 Millionen Euro. Weniger als die Hälfte. Es ist eine dramatische Fehleinschätzung.
Dabei sind die Gründe für diese fortlaufende Misere seit langem bekannt. Die Geschäfte im einst wichtigsten Markt China entwickeln sich seit nunmehr vier Quartalen in Folge rückläufig. Zum Teil ist das mit der strikten, konsumfeindlichen Corona-Politik im Land zu erklären, gegen die Adidas begreiflicherweise nichts ausrichten kann. Auch Konkurrenten wie Nike und Puma leiden darunter. Doch tragen hausgemachte Probleme zu Adidas' China-Not bei: Den Vorwurf, noch immer kein richtiges Gespür für die chinesische Kundschaft zu haben, muss sich Rorsted gefallen lassen. Bereits im März hatte er seinen China-Chef ausgetauscht. Der neue Verantwortliche vermochte bislang nicht, den Abwärtstrend im Land zu stoppen.
Zudem hat Rorsted es offensichtlich versäumt, die Abhängigkeit vom wichtigsten Partner und Testimonial, dem Rapper Kanye West (der sich seit vergangenem Jahr Ye nennt), zu diversifizieren. Die Partnerschaft mit Wests Firma Yeezy floriert zwar; laut „Bloomberg"-Recherchen sollen die Schuhe aus der Yeezy-Kollektion zuletzt rund 1,7 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet haben. Doch mehr und mehr zeigt sich, wie Adidas offenbar einem zunehmend irrlichternden Sparringspartner ausgesetzt ist.
West hatte in den vergangenen Wochen und Monaten wiederholt Adidas öffentlich angegriffen und Mitarbeiter angeprangert, bevorzugt über Instagram. Mal behauptete er, er sei über bestimmte Farben in Produkten oder über Verkaufsaktionen wie den sogenannten „Yeezy-Day“ nicht informiert worden. Mal kritisierte er, bestimmte Adidas-Produkte hätten sich bei seinen Designideen bedient. Im September verbreitete er eine offenbar selbstgebastelte Titelseite der „New York Times“ mit der Schlagzeile, Kasper Rorsted sei gestorben. Adidas reagierte mit einem Statement: Nachdem man wiederholt versucht habe, „die Situation außerhalb der Öffentlichkeit zu klären“, habe man sich nun dazu entschlossen, „die Partnerschaft auf den Prüfstand zu stellen“.
Das ist nur nachvollziehbar. Und dennoch: Sollte Adidas die Yeezy-Kooperation beenden, würden mittelfristig rund sieben Prozent des Umsatzes wegfallen. Das aufzuholen, wäre dann aber nicht mehr Aufgabe von Kasper Rorsted. Ob China oder Yeezy: Analysten hatten zuletzt konstatiert, Adidas fehle derzeit das Momentum. Zwei Fragen drängen sich auf: Wie lange bleibt dieses Momentum noch aus? Und findet es mit Rorsteds Abgang wirklich zurück nach Herzogenaurach?
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