Ausverkaufsberater „Rabatte wirken wie Kokain“

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Finaler Umsatzschub

Auch Niedrigpreisstratege Sigg sieht die Ladeninhaber in der Pflicht. Er vermisst „neue Ideen und die Bereitschaft, mal etwas auszuprobieren“. Warum, fragt er, ließen sich größere Modegeschäfte zum Beispiel nichts einfallen, um shoppingmüde Männer zu beschäftigen und ihre Frauen in Ruhe einkaufen zu lassen? Genervte Begleiter gelten schließlich als zentrales Verkaufshindernis. „Eine kleine Ecke im Geschäft, wo die Bundesliga im TV läuft, und die Sache wäre erledigt“, sagt Sigg. „Von den Händlern kommt da zu wenig.“

Aber auch er weiß, wie schwierig es in der Praxis ist, gegenzusteuern, wenn sich plötzlich die Gegebenheiten ändern. Sein Vater führte jahrelang selbst ein Glas-Porzellan-Fachgeschäft. Als die Kunden wegblieben, musste er schließen, startete einen Ausverkauf und war wohl selbst überrascht, wie gut es lief. Er spezialisierte sich auf Ausverkäufe. Später stieg der Sohn ein.

Als Sigg am Tag vor der Schließung noch einmal in Markdorf vorbeischaut, brummt der Laden. Im hinteren Teil stehen leere Kartons, die Metallstangen sind bereits abgebaut. Vorne hängen die verbliebenen Artikel, Fußballschuhe, Trekkinghosen, Fleece-Pullis und knallrote Werbetafeln schreien den Kunden entgegen: „70 Prozent auf restlos alles“.

Alles muss raus: Räumungsverkauf in einem Sport- und Modegeschäft in Markdorf am Bodensee Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche

Sigg nickt zufrieden. Viel Ware ist nicht mehr da. Insgesamt haben die Kauderers in der Ausverkaufsphase mehr Umsatz erzielt als sonst in einem halben Jahr.

Doch die letzten Tage seien hart gewesen, sagt Alexander Kauderer. Zwei Frauen hätten sich im Streit um die letzten Hosen fast geprügelt. Viele Kunden würden ihre Einkäufe auf den Verkaufstresen knallen und über die „hohen Preise“ stöhnen. Selbst ein Bekannter hätte sich bei ihm per WhatsApp gemeldet, um auszuloten, ob sich nicht doch noch ein paar Cent sparen lassen. „Ich hasse die 70-Prozent-Phase“, sagt sogar Sigg. Das Publikum verändere sich. „Alle Kunden kaufen nur noch den Rabatt, es geht nicht mehr um die Ware.“

Als der letzte Verkaufstag anbricht, überwiegt deshalb die Erleichterung. Schon kurz nach neun ist der Laden gut besucht. Eine Mutter probiert mit ihrer Tochter Schuhe an, „die sind zu groß“, stellt sie fest und packt sie trotzdem ein. Ein Rentnerpaar dreht vollbepackt mit Sportzeug Richtung Kasse ab. Neun Stunden geht es so. Dann schließt der Laden. Sigg ist zufrieden mit dem Ergebnis.

Als er die endgültigen Umsatzzahlen aus Markdorf bekommt, ist er schon unterwegs zum nächsten Einsatzort. Ein weiterer Ausverkauf beginnt.

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