Chronik des Scheiterns Die endlose Karstadt-Seifenoper

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September 2010 bis Oktober 2011: Der Neustart

Essen, 23. April 2010: Ein Schicksalstag für Karstadt: Die Frist für die Abgabe eines Kaufangebotes läuft ab. Nach dem Quelle-Desaster hat Insolvenzverwalter Görg alle Kräfte auf die Rettung von Karstadt konzentriert und 13 Häuser geschlossen. Doch für die Übernahme der verbleibenden 120 Warenhäuser hat sich bis jetzt kein Investor gefunden. Sieht wirklich niemand mehr eine Chance für die Marke?

Erst wenige Stunden vor Ablauf der Frist erhält Görg ein Angebot. Die deutsch-skandinavische Beteiligungsgesellschaft Triton will die Kette übernehmen, fordert von den beiden wichtigsten Machtpolen im insolventen Konzern aber Zugeständnisse: Bis zu 5000 Jobs sollen wegfallen, weitere Häuser geschlossen und die Mieten der verbleibenden Standorte gesenkt werden. Den Vertretern der Gewerkschaft Verdi und des Vermieterkonsortiums Highstreet geht das zu weit. Wenig später legen die Vermieter ein eigenes Angebot vor. Zudem taucht ein neuer Name im Verkaufsprozess auf: Nicolas Berggruen.

Der verlangt zwar ebenfalls, dass Highstreet die Mieten senkt, von den Mitarbeitern fordert er aber keine weiteren Zugeständnisse. Ein kluger Schachzug, mit dem sich Berggruen Sympathien bei Gewerkschaften und Politik sichert. Den Rest erledigt eine gekonnt inszenierte PR-Strategie, die den Finanzinvestor und Sohn des Kunstsammlers Heinz Berggruen als Milliardär mit Herz inszeniert, der mangels festen Wohnsitzes in seinem Gulfstream-Privatjet um den Globus düst, um Unternehmen vor dem Untergang zu retten.

Im Vergleich zur Lichtgestalt Berggruen wirkt sein Gegenspieler Alexander Dibelius wie eine Art Darth Vader des Kapitalismus: Als Deutschland-Chef der Investmentbank Goldman Sachs kämpft er aufseiten des Immobilienkonsortiums Highstreet. Über Monate feilschen die Rivalen um Vertragsdetails. Immer wieder stehen die Verhandlungen vor dem Scheitern. Am Ende setzt sich Berggruen durch.

Die Anatomie der Arcandor-Krise: wie die Konzernchefs Walter Deuss, Wolfgang Urban und Thomas Middelhoff den früheren KarstadtQuelle-Konzern ruiniert haben. Ein Lehrstück über Missmanagement, Interessenkonflikte und...
von Henryk Hielscher

Berlin, 3. September 2010: Als Nicolas Berggruen die sechste Etage des Karstadt-Hauses am Kurfürstendamm in Berlin betritt, springen wartende Mitarbeiter auf, Verkäuferinnen fallen sich in die Arme. „Herzlich willkommen“ steht auf einem Transparent. Aus dem hauseigenen Restaurant wird ein Rollwagen mit Sektgläsern herangeschoben.

Der Investor – Dreitagebart, lässig aufgeknöpftes weißes Hemd und Sonnenbrille in der Hand – bedankt sich artig: „Ich bin irrsinnig glücklich, dass ich dabei bin.“ Von einem „Tag der Freude“ spricht Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die zusammen mit Insolvenzverwalter Görg und der stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft Verdi, Margret Mönig-Raane, vor Ort ist.

Kurz zuvor hat das Essener Amtsgericht die Übernahme durch Berggruen abgesegnet. Karstadt wechselt zum symbolischen Preis von einem Euro den Besitzer. Für die Namens- und Markenrechte zahlt Berggruen zusätzlich fünf Millionen Euro. Ein Angebot wie aus dem Sommerschlussverkauf. Das Risiko für den Investor ist minimal.

Mitarbeiter und Gewerkschafter, Politik und Presse feiern ihn trotzdem als Retter der Warenhaus-Ikone. Jeder noch so kleine Aufschwung im Geschäft gilt fortan als Berggruen-Effekt. Fragen, wie er den maroden Laden wieder auf Kurs bringen will, lächelt er weg.

Bielefeld, 7. Oktober 2010: Die Villa liegt inmitten eines parkähnlichen Areals. Ein kleiner Bach schlängelt sich durch das Gelände. Doch die Besucher, die an diesem Vormittag das Anwesen von Thomas Middelhoff betreten, habe keine Muße, die landschaftlichen Reize zu genießen. Sie sollen Unterlagen des früheren Arcandor-Chefs sicherstellen.

Die Razzia ist Teil eines Untreue-Verfahrens gegen Middelhoff. Dabei interessieren sich die Ermittler vor allem für Boni- und Abfindungszahlungen in Millionenhöhe, die Middelhoff erhalten hat. Zudem sammeln sie Belege über seine vielen Dienstreisen im teuer angemieteten Privatjet. Die Verdächtigungen seien absurd, sagen Middelhoffs Anwälte dazu.

Die Ermittlungen sind indes nicht das einzige Problem des Managers. Insolvenzverwalter Görg fordert Schadensersatz von dem Mann, dem er attestiert, „selbst den Staub in den Ecken des Unternehmens noch zu Liquidität gemacht“ zu haben. Auf 175 Millionen Euro Schadensersatz hat er Middelhoff und weitere Ex-Manager des Konzerns wegen umstrittener Immobiliengeschäfte verklagt.

Essen, Dezember 2010: Andrew wer? Selbst Experten sind verblüfft, als sie den Namen des neuen Karstadt-Chefs hören. Der Brite Andrew Jennings soll die Führung übernehmen. Groß gewachsen, sonnengebräunt und durchtrainiert, ist der 62-Jährige eine vitale Erscheinung – und bringt Erfahrung mit. Zuletzt war Jennings bei der Kauhaus-Kette Woolworth in Südafrika im Einsatz. „The Hurricane“ nannten sie ihn dort, galt er doch als Mann, der wie ein Wirbelwind durch den Laden fegte – eigentlich gute Voraussetzungen für den Job bei Karstadt. Doch Jennings kennt weder den deutschen Markt, noch spricht er die Sprache seiner Mitarbeiter.

Für Berggruen ist das kein Problem: „Jennings hat alle Voraussetzungen für den Job, selbst wenn er nicht Deutsch spricht.“ Zudem stellt der Eigentümer „mehrere Hundert Millionen Euro“ in Aussicht, um die veralteten Kaufhäuser auf das Niveau des Konkurrenten Kaufhof zu hieven.

Das Geld will er aus dem laufenden Geschäft abzwacken. „Und falls wir mehr brauchen sollten, dann brauchen wir eben mehr.“ Auf die Frage, ob die zusätzlichen Mittel dann von ihm kämen, antwortet Berggruen: „Klar, woher sonst?“

Essen, 8. Juli 2011: Der Andrang ist groß, die Erwartungen sind riesig. Rund 1000 Karstadt-Beschäftigte strömen in die Kantine ihrer Hauptverwaltung. Ein halbes Jahr nach Amtsantritt will Vorstandschef Jennings seinen Masterplan „Karstadt 2015“ verkünden.

Der Brite wünscht zunächst einen „Guten Morgen“, um dann auf Englisch fortzufahren: Kundenfreundlicher müsse Karstadt werden. Die Zahl der Modemarken soll erweitert, die Elektroabteilungen dafür verkleinert und das Online-Geschäft ausgebaut werden. Als Jennings nach rund einer Stunde endet, gibt es in der Kantine höflichen Applaus, mehr nicht. Der angekündigte Orkan hat sich als laues Lüftchen erwiesen.

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