Corona im Onlinehandel „Der Handel erlebt einen Strukturwandel wie früher die Stahlindustrie“

Logistikzentrum vom Schweizer Onlinehändler Digitec Galaxus in der Schweiz: Corona beflügelt den Start des deutschen Ablegers. Quelle: Digitec Galaxus

Viele Onlinehändler machen gerade das Geschäft ihres Lebens. Andere könnten auf der Strecke bleiben. Sie alle müssen planen - für die nächsten Monate, für eine Zeit mit Corona. Nur wie?

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Frank Hasselmann ist überfragt. Und zwar im positiven Sinn: Ihm fällt aktuell kein Bereich in seinem Unternehmen ein, „in dem wir nicht neue Mitarbeiter einstellen“. Der ehemalige Manager des Industriekonzerns Linde leitet Galaxus Deutschland – den hiesigen Ableger des Schweizer Onlineshops Digitec Galaxus. Ende 2018 startete der Onlineshop hierzulande und verkauft etwa Computerzubehör, Buntstifte, Playmobil oder Rasenmäher – Galaxus ist ein Generalist, ein Online-Warenhaus. Bereits im dritten Monat nach dem Launch habe man über eine Million Euro Umsatz im Monat gemacht, sagt Frank Hasselmann. Mehr finanzielle Details lässt er sich nicht entlocken.

Klar: Im Vergleich zum Heimatmarkt und anderen deutschen Shops klingt das nach wenig. Digitec Galaxus, das zu 70 Prozent der Migros-Gruppe gehört, machte in der Schweiz 2019 einen Umsatz von über einer Milliarde Euro – mehr als Amazon, das in der Schweiz nur sehr eingeschränkt aktiv ist. Galaxus.de allerdings startet erst: „Seitdem gehen die Umsätze steil nach oben – und in den letzten Monaten noch einmal mehr“, sagt Hasselmann. Er spricht hörbar begeistert von „massivem Kundeninteresse“. Von Umsätzen auf dem Niveau der „stärksten Wochen des Weihnachtsgeschäfts“ und von einem Wachstum von „deutlich mehr als 100 Prozent“. Galaxus müsse Pläne und Erwartungen seit dem Deutschlandstart kontinuierlich nach oben korrigieren, „um da hinterherzukommen“, sagt Hasselmann. Corona sei Dank. „Auch wenn man mit einer solchen Aussage vorsichtig sein sollte: Unser Geschäft profitiert definitiv von der Krise“, sagt Hasselmann.

Damit ist Galaxus nicht allein, anderen Händler geben die Folgen des Lockdowns ebenfalls Auftrieb. Wieder andere könnten allerdings auf der Strecke bleiben. „Der Handel macht einen Strukturwandel durch, den man früher etwa in der Stahlindustrie gesehen hat“, fasst es Handelsexperte Ernst Stahl zusammen. Er ist Director und Gesellschafter der ibi research GmbH im Competence Center „Digital Commerce & Payment“. Ob Gewinner oder Verlierer: Die Onlinehändler planen bereits für eine Zeit nach oder mit Corona. Sie passen das Sortiment an, ändern die Logistik, werben anders. Nur auf was für eine Zeit sie sich da vorbereiten, wer am Ende bestehen und wer den Erfolg nachhaltig aufrechterhalten wird, wissen sie nicht.

Hasselmann spürt bei Galaxus bislang keinen rückläufigen Trend: „Da viele Kunden durch die Corona-Pandemie im Homeoffice arbeiten und sich dieser Trend trotz der Lockerungen noch nicht deutlich abschwächt, sind die Verkaufszahlen zum Beispiel bei PCs, Monitoren, Webcams und Tastaturen teilweise um den Faktor 10 gestiegen“, sagt er.

Der gesamte Umsatz im Onlinehandel über alle Kategorien hinweg konnte im März und April allerdings nur um 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zulegen, wie Zahlen des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (bevh) zeigen. Der Umsatz war im März um fast 20 Prozent eingebrochen. Handelsexperte Ernst Stahl erklärt das mit der Anfangsphase der Coronakrise: „Auch bei den Konsumenten herrschte eine Art Schockstarre“, sagt er. Im April sah es dann anders aus: Der Umsatz im E-Commerce mit Waren wuchs um knapp 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Umsatztreiber Gartenmöbel

Das spürt auch Jürgen Schuster. Er ist Geschäftsführer der Raumschmiede GmbH, die seit 2019 „drei starke Shops unter einem Dach“ vereint, wie es auf der Webseite des Unternehmens heißt. Auf Betten.de finden Kunden konsequenterweise Betten, bei Piolo.de Möbel für Wohnzimmer oder Büro – und bei Garten-und-Freizeit.de die Möbel für draußen. Sprich: Gartenstühle, Tische, Bänke, Liegen oder auch Grills, Sonnenschirme und Heizstrahler. Garten-und-Freizeit.de erweist sich während der Coronakrise als Zugpferd des Unternehmens: „Nachdem in den ersten Tagen des Lockdowns nur eine moderate Steigerung zu verzeichnen war, sind die Umsätze insbesondere bei unserem größten Shop Garten-und-Freizeit.de im April und Mai extrem stark gestiegen“, sagt Schuster. Dort hätten sich die Umsätze im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdoppelt. Laut bevh wuchs der Umsatz im E-Commerce mit „Do-it-yourself und Blumen“ im März und April um 14,5 Prozent. Andere Anbieter wollen da mitverdienen: Galaxus etwa führte während der Coronakrise die Kategorie „Do it + Garten“ ein. Und die „läuft in diesen Tagen sehr gut an“, sagt Deutschlandchef Hasselmann.

Garten-und-Freizeit.de hat die richtige Nische erwischt. Handelsexperte Stahl fasst es so zusammen: „Die Händler, die in einer Nische operieren, die gerade sehr gefragt ist, machen teilweise Riesengeschäfte, vorausgesetzt sie haben die Ware vorrätig. Andersherum stehen Online-Händler, die sich in einer abrauschenden Nische positioniert haben, vor riesigen Problemen.“

Und die Online-Generalisten wie Galaxus, Amazon oder Otto? „Die haben gewisse Diversifikationseffekte. Hier heben sich negative und positive Segmente zumindest teilweise auf. Die meisten Online-Generalisten stehen deshalb ganz gut da und gehen leichter durch die Krise als Händler, die auf das falsche Pferd gesetzt haben“, sagt Stahl. Tatsächlich kletterte der Amazon-Umsatz im ersten Quartal um 26 Prozent auf 75,5 Milliarden Dollar. Auch Otto rechnet für das laufende Jahr mit mehr Umsatz. Aber: Beide Onlineriesen gehen davon aus, dass sie im Zuge der Krise weniger Gewinn machen werden. Im aktuellen Quartal könnte Amazon sogar roten Zahlen schreiben.

von Jacqueline Goebel, Max Haerder, Henryk Hielscher, Matthias Hohensee

Und selbst Händler, die sich in gefragten Segmenten bewegen, haben ihre Schwierigkeiten mit der Bestellflut. „Viele Onlineshops äußerten, dass sie Probleme mit Lieferdiensten und Partnern hatten. Zudem mussten viele unserer Kunden ihre Mitarbeiter ins Homeoffice schicken und sahen sich daher mit neuen organisatorischen Herausforderungen bezüglich der Arbeitsweise konfrontiert“, sagt Jean-Marc Noël, Mitgründer und Geschäftsführer von Trusted Shops. Den allgemeinen Aufwärtstrend des Onlinehandels, der die Paketflut treibt, kann auch sein Unternehmen bestätigen. Trusted Shops sichert die Käufe von Konsumenten mit einem Käuferschutz ab und verleiht eigene Gütesiegel an bislang etwa 30.000 Online-Shops. Von Februar – sprich seit Ausbruch der Coronakrise – bis Ende Mai 2020 wuchs das Volumen der von Trusted Shops abgesicherten Käufe um 78 Prozent, wie Zahlen des Unternehmens zeigen, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegen.

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