Feldversuch in London Wie ich versuchte, im kassenlosen Aldi einzukaufen

Aldi hat in London die erste kassenlose Filiale eröffnet

Amazon bietet schon länger kassenloses Einkaufen an. Jetzt legt der Discounter Aldi in London nach. Unser Autor hat das angeblich einfachere Einkaufserlebnis ausprobiert und einiges dabei gelernt.

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Auf den ersten Blick sieht die neue Aldi-Filiale im Londoner Stadtteil Greenwich aus wie ein gewöhnlicher Supermarkt. Erst, wenn man durch die große Eingangstür hineingeht, fällt auf: Es gibt keine Kassen. Stattdessen steht man vor etwa einen Meter hohen Plexiglasschranken. Sie sind mit Scannern ausgestattet, über die man sein Handydisplay halten muss, und erinnern an ähnliche Schranken an moderneren Flughäfen.

Amazon und Tesco haben kürzlich in London kassenlose Supermärkte ausprobiert. Jetzt legt Aldi nach, mit seiner Testfiliale in Greenwich, nur wenige Gehminuten entfernt vom Royal Greenwich Observatory mit dem berühmten Nullmeridian. Seit wenigen Tagen testet der Discounter hier ein neues kassenloses Supermarkt-Konzept. Der Name: Aldi Shop&Go. Kauf und geh wieder, oder so.

Zwei Jugendliche, die offenbar nicht wussten, dass mit diesem Aldi etwas nicht stimmt, latschen genervt heraus, einer von ihnen flucht. Mehrere blau gekleidete Aldi-Mitarbeiter stehen im Eingangsbereich und erklären hereinkommenden Kunden, wie alles funktioniert.

Ein Mitarbeiter in den 30ern sagt, dass man alle Waren, die man kaufen möchte, einfach gleich in seine Tasche oder sogar seine Hosentaschen packen könne. „Falls Sie sich einen Artikel anschauen möchten, dann können Sie den auch aus dem Regal nehmen und ihn wieder zurückstellen, falls Sie ihn nicht kaufen möchten. Der Artikel wird dann nicht abgerechnet.“ Ich bin gespannt.

Ganz ohne Mitarbeiter geht es auch im kassenlosen Aldi nicht

Ob ich schon die spezielle Aldi Shop&Go-App installiert und mit meinen persönlichen Informationen und Bankdaten gefüttert hätte, fragt der Mitarbeiter. Das habe ich. Um reinzukommen, muss ich die App öffnen und auf ein Feld klicken, damit ein QR-Code erzeugt wird. Das System hängt erst ein wenig, dann ist der Code da. Ich halte mein Handy mit dem nach unten gerichteten Display über den Scanner an einer der Schranken. Es funktioniert, sie öffnet sich. Ich betrete (vielleicht) den Supermarkt der Zukunft.

Und gleich eine Überraschung: Ich hatte einen Mini-Supermarkt erwartet mit einem stark eingeschränkten Sortiment, wie man sie in London buchstäblich an jeder Ecke findet. Fehlanzeige. Es ist, versichert mir der Mitarbeiter, alles da, was man in einem gewöhnlichen Aldi finden würde. Nur die (in Großbritannien immens beliebte) große Theke mit den Sonderartikeln fehlt.

Anders, als unser Autor erwartet hatte, ist der kassenlose Aldi sogar ziemlich groß

Es gibt sogar eine ganze Reihe mit Obst und Gemüse, vieles davon lose. Das hatte ich nicht erwartet. Allerdings richtet sich der Preis nicht nach dem Gewicht, sondern nach der Stückzahl. Alles andere wäre wohl zu kompliziert. Ich schaue mir zwei große Avocados an, packe die schönere in meinen Rucksack und lege die andere zurück.

Moment, hat mich jemand gesehen? Ich muss lachen. Es fühlt sich falsch an, im Supermarkt Artikel einfach so in den Rucksack zu packen. Fast so, wie auf der falschen Straßenseite zu fahren. Auch einige andere Kunden sehen ein wenig bedröppelt aus, als sie Artikel in ihre Taschen packen und schauen nervös über ihre Schultern. Schon nach wenigen Minuten fühlt es sich aber gut an, seine Einkäufe bereits während des Einkaufen einzupacken. Vor allem die Aussicht darauf, am Ende nicht an einer Kasse oder an einem SB-Bezahl-Terminal zu stehen, ist großartig.

Die technische Grundlage, die das ermöglicht, ist gut versteckt. Man muss sich die schwarz gestrichene Decke mit den etlichen Lampen schon ein paar Sekunden lang anschauen, um die vielen kleinen runden Kameras zu erkennen, die dort alle paar Meter hängen. Sie sollen verfolgen, was jeder einzelne Kunde einpackt und auf die virtuelle Rechnung setzen.

In der Decke sind unzählige Kameras angebracht, die jede Bewegung der Kunden registrieren

In der Süßwarenecke nehme ich (mit zuvor gründlich desinfizierten Händen, man ist ja kein Barbar) eine Packung Kekse aus dem Regal. Ich schreite die Reihe bis zu ihrem Ende ab. Dann setzt das schlechte Gewissen ein: Wollte ich nicht im neuen Jahr weniger Mist essen? Also gehe ich zurück und stelle die Kekse zurück. Bei den Nüssen nehme ich eine Packung Mandeln heraus, schaue sie mir an, entscheide dann aber, dass ich sie nicht möchte und stelle sie ebenfalls zurück. Die vermeintlichen Erdnüsse, die ich aus dem Regel genommen habe, stellen sich als Nuss-Mix heraus. Ehrliches Versehen, wieder zurück ins Regal. Bei den Müslis bin ich mir nicht sicher, ob ich das mit Beeren oder Nüssen möchte und schaue mir beide Packungen an. Das mit den Beeren geht zurück ins Regal, das mit Nüssen wandert in meine Tasche.

Wie genau verfolgen die Kameras, was ich mir nehme? Ich schnappe mir zwei Packungen Pekannüsse auf einmal und lasse sie in meinen Rucksack wandern. Dann höre ich auf, zu versuchen, das System absichtlich zu verwirren. Es soll ja ein halbwegs normaler Testeinkauf sein.

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Bei den Spirituosen packen ich eine Flasche Gin in meinen Rucksack – aus Recherche-Gründen, versteht sich. Dazu Tonic Water, der Vollständigkeit halber. Hinzu kommen unter anderem noch zwei Packungen Eier, Blaubeeren und Mandelmilch. Alltäglichen Krimskrams eben.

Ganz hinten im Supermarkt eine weitere Überraschung: Ich stehe vor einer großen Theke mit Selbstbedienungs-Backwaren. Wie üblich packt man sich seine Brötchen, Croissants, süßen Teilchen und Brezeln (wenn Churchill das wüsste...) mit einer Zange in eine Tüte. Einziger Unterschied: Die Tüte ist durchsichtig und aus Kunststoff. Vermutlich sollen die Kameras so eine etwas bessere Chance haben, zu sehen, was die Kunden eingepackt haben. Ich entscheide mich für ein Körnerbrot und zwei Croissants.

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