Nachhaltigkeit bei Nike Trikots aus Plastikflaschen, Sneaker aus Produktionsmüll

Nikes „Space Hippie“-Schuhe bestehen aus Produktionsabfällen. Quelle: Nike

Konsumgüterkonzerne wie Nike stehen spätestens seit den Klimaprotesten unter verschärftem Rechtfertigungsdruck. Noel Kinder, im Vorstand des weltgrößten Sportkonzerns für Nachhaltigkeit zuständig, über den Versuch, Millionen von Turnschuhen verantwortlich herzustellen.

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WirtschaftsWoche: Herr Kinder, Sie sind im Vorstand von Nike für Nachhaltigkeit verantwortlich, einem Thema, bei dem gerade die Generation Z Unternehmen immer stärker in die Pflicht nimmt. Was haben Sie den jungen Leuten zu bieten?
Noel Kinder: Wir haben bei Nike das Thema Nachhaltigkeit seit Jahrzehnten fest verankert und uns auch hohe Ziele für die Zukunft gesetzt. Nicht allein in unserer normalen Geschäftstätigkeit, sondern auch darin, wie wir neue Wege gehen, um unseren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren und gleichzeitig hochwertige Sportkleidung für unsere Konsumenten bereitzustellen. Dabei haben wir beispielsweise allein seit 2010 für unsere Produkte recyceltes Polyester aus mehr als 7,5 Milliarden Plastikflaschen von Müllkippen und Wasserstraßen verarbeitet. Allein im vergangenen Geschäftsjahr waren es eine Milliarde Plastikflaschen. Dazu arbeiten wir daran, unsere eigenen und von uns geführten Betriebe bis 2025 komplett mit erneuerbaren Energien zu betreiben. In unseren Einrichtungen in Nordamerika haben wir dieses Ziel bereits erreicht.

Gilt das auch für die vielen Zulieferer, die die Turnschuhe und Trikots für Nike herstellen?
Wir arbeiten mit Zulieferern, die unsere Überzeugung teilen, Produkte auf verantwortliche und nachhaltige Weise herzustellen. Dazu bauen wir langfristige Beziehungen zu Zulieferern auf, die unsere Werte teilen. Wir erwarten, dass Nachhaltigkeit zu den Kernwerten des Geschäftsmodells unserer Zulieferer gehört und bewerten die Nachhaltigkeit unserer Fabriken nach international anerkannten Maßstäben, darunter auch solchen, die Umweltschutz fördern.

Laut Ihrem eigenen Nachhaltigkeitsbericht haben sich allerdings entgegen den Unternehmenszielen einige Parameter verschlechtert, so sind etwa zwischen 2015 und 2019 Energieverbrauch und CO2-Ausstoß gestiegen – was tun Sie dagegen?
Auf dem Weg zu unserem Ziel gibt es weiterhin auch Herausforderungen. 2019 haben wir die Grundlagen dafür gelegt, unseren Zulieferern dabei zu helfen, über größere Energieeffizienz hinaus auch in größerem Maßstab auf erneuerbare Energie zu setzen. Weitere Schritte werden folgen.

Nike lässt analog zum Umsatzwachstum von zuletzt gut 40 Milliarden Dollar jedes Jahr steigende Stückzahlen von Sportschuhen produzieren, geschätzt sicher um die 700 Millionen Paar – wie lässt sich das überhaupt mit Nachhaltigkeit vereinbaren?
Bei Nike sind wir davon überzeugt, dass die Zukunft des Designs und der Produktentwicklung zirkulär sein sollte. Wir stellen uns eine Welt vor, in der Produkte mit der Absicht hergestellt werden, wieder benutzt und aufs Neue entdeckt und gemocht zu werden.

Noel Kinder ist bei Nike der Chief Sustainability Officer. Quelle: Presse

Was heißt das konkret?
Mit unserem „Circular Design Guide“ haben wir einen zirkulären Ansatz vorgestellt, um Produkte so zu gestalten, zu produzieren und wiederzuverwenden, dass sie möglichst geringe Auswirkungen auf die Umwelt haben. Nehmen Sie unsere jüngst vorgestellten „Space Hippie“-Schuhe. Die bestehen aus Produktionsabfällen und besitzen von allen unseren Produkten die beste CO2-Bilanz. Sie sind der weitgehendste und greifbarste Nachweis für diese Art des Designs. Gleichzeitig verfolgen wir neue Ansätze, um aus Abfällen Wert zu schaffen, indem wir unsere eigenen Produkte recyceln und neue Geschäftsmodelle rund um Secondhandmärkte entwickeln. Genau genommen machen wir das schon seit den frühen Neunzigerjahren mit dem Reuse-A-Shoe Programm, bei dem aus Schuhen Nike Grind gemacht wird. Das ist ein Material, das man dazu benutzen kann, um neue Produkte herzustellen oder auch den Bodenbelag von öffentlichen Plätzen, vom Basketball-Court über Spielplätze bis zur Laufbahn zu gestalten. Klar ist, dass die Zusammenarbeit innerhalb der gesamten Sportartikelbranche essentiell dafür ist, das Wissen und die Verfügbarkeit von neuen Materialien innerhalb einer Kreislaufwirtschaft zu schaffen und zu verbreiten. Dazu arbeiten wir eng zusammen mit Organisationen wie der Fashion Industry Charter for Climate Action der Vereinten Nationen und der Global Fashion Agenda.

Es bleiben dennoch schlicht sehr viele Schuhe - wie viele davon genügen heute schon Ihren eigenen Nachhaltigkeitskriterien?
Wir sind davon überzeugt, dass strenge Beschränkungen beim Entwurf zu Innovationen führen. Indem wir in nachhaltige Materialien investieren, die dazu beitragen, unsere Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen zu reduzieren, können wir sowohl sehr funktionelle Produkte für Athleten liefern als auch Wachstumsplattformen schaffen.

Was bedeutet das für einzelne Produkte?
Tatsächlich verwenden wir in 76 Prozent aller Nike-Schuhe und Kleidungsstücke bereits recycelte Materialien. Das reicht vom Obermaterial bei Sportschuhen bis zu Trikots. Beispielsweise bestanden die Trikots der von uns ausgestatteten Mannschaften bei der letzten Fußball-WM jeweils aus mindestens zwölf Plastikflaschen. Für uns ist es sehr wichtig, dass wir in der Lage sind, nachhaltige Lösungen skalierbar zu machen. Beispielsweise bestehen alle Air-Sohlen, also unsere Dämpfungselemente, die wir seit 2008 entwickelt haben, mindestens zur Hälfte aus recycelten Produktionsresten. Ab dem kommenden Geschäftsjahr werden in den USA alle Air-Sohlen zu 100 Prozent mit Ökostrom geschaffen. Hinzu kommt, dass aus mehr als 90 Prozent der Produktionsabfälle bei der Herstellung von Air-Sohlen neue Dämpfungssysteme gemacht werden.

Es bleiben Abfälle - wäre weniger nicht nachhaltiger?
Wir arbeiten seit Jahrzehnten daran, Nachhaltigkeit über das ganze Unternehmen hinweg fest zu verankern, um mit Kreativität und Innovationskraft neue Lösungen für Athleten, unser Business und die Umwelt zu entwickeln. Unsere Initiative „Move to Zero“ steht dabei für unseren Weg in eine Zukunft mit null CO2-Ausstoß und null Abfall. Wir nehmen den Klimawandel und die Auswirkungen, die unsere Branche auf die Umwelt hat, sehr ernst. Deshalb sind wir auch stolz darauf, dass unser ehrgeiziges Ziel, unseren CO2-Fußabdruck bis 2030 deutlich zu reduzieren, etwa von der Initiative Science-Based Targets anerkannt wird. Dieses Ziel haben wir eng an dem orientiert, was laut dem Stand der wissenschaftlichen Forschung getan werden muss, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern.

Dennoch bringt auch Nike jedes Jahr allein hunderte neue Schuhmodelle auf den Markt. Wäre es nicht nachhaltiger, auf gesteigerte Langlebigkeit zu setzen? Stürzt Sie das als obersten Nachhaltigkeitsmanager nicht automatisch in ein Dilemma?
Machen wir uns nichts vor, dies ist ein langer Weg und allein Müll zu reduzieren erfordert einen sehr komplexen Prozess. Unterschiedliche Produkte, die in unterschiedlichen Fabriken hergestellt werden, sorgen für sehr unterschiedliche Abfallströme, von denen jeder seine eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Aber wir packen das Müll-Thema aktiv an und ziehen daraus Schlüsse für das gesamte Unternehmen. Entlang der kompletten Wertschöpfungskette machen wir beträchtliche Innovationen beim Recycling und der Wiederverwendung von Materialien. Dadurch werden wir effizienter und reduzieren Abfall schon direkt an der Quelle, indem wir die Abläufe in den Fabriken, in den Vertriebszentren und auch bei uns im Hauptquartier verbessern.

Wie lange hält ein normaler Laufschuh von Nike? Und wie lange wird er genutzt?
In der Sportbranche gehen wir von einer Lebensdauer von 300 bis 500 Meilen aus, also 500 bis 800 Kilometer, aber das hängt natürlich maßgeblich vom Läufer und seinen Gewohnheiten ab.

Im Sommer finden die Olympischen Spiele in Tokio statt – können Sie als Nachhaltigkeitschef von Nike guten Gewissens in ein Flugzeug steigen, um dorthin zu reisen? Gleichen Sie Ihren Fußabdruck anschließend aus?
Wir konzentrieren uns auf all die Felder, auf denen wir die Folgen für die Umwelt verkleinern können. Bei Nike schauen wir dazu auf den gesamten Produktzyklus: Wie vermeiden wir schon beim Entwurf möglichen Abfall, wie fördern wir nachhaltige Lösungen in unserer Lieferkette, wie versorgen wir die Konsumenten mit Produkten, während wir gleichzeitig die Auswirkungen auf die Umwelt verringern. Und wir kümmern uns darum, gebrauchte Produkte zurückzunehmen und ihnen ein neues Leben zu geben.

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