WirtschaftsWoche: Herr Gentz, Herr Ritter, Herr Schneider, wir vermissen den Zalando-Schrei.
Gentz: Zur Begrüßung?
Nein, in Ihrem neuen TV-Werbespot. Dort zeigen Sie einen genervten Liebesgott und reihenweise verliebte Männer – aber die kreischenden Frauen, die Zalando berühmt gemacht haben, fehlen. Was ist los?
Gentz: Den Schrei hatten wir jetzt lange genug in den Spots, unsere Kunden wollen mal was Neues sehen. Der Schrei ist aber auch nicht mehr das Erkennungselement, das noch in dem Maße wie bisher zu Zalando passt und das wir über die kommenden Jahre spielen wollen. Der Schrei war Zeichen unserer extremen Wachstumsphase, begleitet von hoher Lautstärke.
Und jetzt wollen Sie lieber ruhig und bedächtig rüberkommen?
Gentz: Wir wollen uns einfach stärker auf die Produkte konzentrieren, die wir verkaufen, aber natürlich trotzdem Emotionen zeigen: mehr Mode und weniger schrille Töne.
Schneider: Das spiegelt auch die Unternehmensentwicklung wider. Wir kommen aus einer Phase sehr starken Wachstums und haben in den vergangenen fünf Jahren Expansion und Markenaufbau in 15 europäischen Ländern gestemmt. Wir haben den Umsatz seit 2008 von null auf 1,8 Milliarden Euro gesteigert. Jetzt kommt der nächste Schritt: Wir wollen Zalando stärker als erste Fashion-Adresse im Netz präsentieren.
Hat die neue Tonlage auch mit Ihren Börsenplänen zu tun?
Ritter: Die Neuausrichtung hat so oder so Sinn. Wir brauchen keinen Börsengang, um die richtigen Schritte umzusetzen. Die Diskussion über einen Börsengang ist fast so alt wie Zalando selbst. Wir bereiten uns auf viele Möglichkeiten vor – ein Börsengang wäre eine Option für die weitere Entwicklung Zalandos, aber im Fokus steht das operative Geschäft.
Ende 2013 wurde Zalando in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, sie haben ein Beteiligungsprogramm für Führungskräfte aufgelegt und einen Kapitalmarktexperten in den Aufsichtsrat geholt. Das hat nichts mit Börsenvorbereitungen zu tun?
Ritter: 2013 haben wir einige Verbesserungen in der Corporate Governance durchgeführt und viele Strukturen an unsere Größe angepasst. Ein Börsengang kann irgendwann kommen und wäre dann ein positiver Schritt für Zalando. Wir sind seit vier Monaten eine AG und trotzdem noch nicht an der Börse gelistet. Sie sehen, das ist kein Automatismus – zumal wir planen, die Rechtsform noch mal zu ändern.
Was haben Sie vor?
Ritter: Wir wollen Zalando im Sommer als SE – also als europäische Aktiengesellschaft – aufstellen. Im Rahmen der Umwandlung werden dann auch Arbeitnehmervertreter in den Zalando-Aufsichtsrat einziehen.
Das hätten Sie auch über eine deutsche Aktiengesellschaft umsetzen können. Was bringt Ihnen die neue Rechtsform?
Ritter: Sie zeigt vor allem den europaweiten Charakter unseres Unternehmens. Über die Hälfte des Umsatzes erzielen wir mittlerweile im Ausland. Zalando beschäftigt Mitarbeiter aus über 50 Nationen.
Schneider: Und das internationale Geschäft gewinnt weiter an Bedeutung. Jenseits unserer Kernregion Deutschland, Österreich, Schweiz ist der Umsatz 2013 um mehr als 80 Prozent gestiegen.
Werden Sie 2014 in neue Länder expandieren?
Gentz: Zunächst wollen wir die bestehenden Märkte weiterentwickeln. Gerade in Südeuropa sehen wir noch viel Wachstumspotenzial für Zalando. Die Online-Durchdringung und das generelle Vertrauen in E-Commerce sind in Ländern wie Italien einfach noch nicht so ausgeprägt wie in den Niederlanden oder in der Schweiz. Das macht Südeuropa für die kommenden Jahre umso spannender für uns. In Skandinavien haben wir gerade erst in 2012 die Shops eröffnet, auch da sehen wir noch großes Potenzial.
Trotz der Auslandsexpansion lässt Ihr Wachstumstempo insgesamt aber nach.
Ritter: Unser Umsatz stieg 2013 um mehr als 600 Millionen Euro, das sind über 50 Prozent plus. Wie viele Unternehmen gibt es in Europa, die ein ähnliches Wachstum aufweisen können? Wir kommen aus einer Phase, in der wir unsere Umsätze jedes Jahr verdoppelt haben. Es war aber klar, dass man das nicht auf ewig fortschreiben kann, dafür haben wir mittlerweile eine zu große Basis. Trotzdem stimmt die Richtung: Wir wachsen schneller als der E-Commerce-Markt insgesamt und gewinnen Marktanteile. Das ist unser Anspruch für die kommenden Jahre, genauso wie wir eine Verbesserung der Marge anstreben.
Vor allem die hohe Zahl der Retouren kostet Sie Geld. Wie wollen Sie die Rückschickrate senken?
Schneider: Ein Großteil der Retouren resultiert ohnehin aus Auswahlbestellungen. Genauso wie ich im Geschäft verschiedene Artikel mit in die Umkleidekabine nehme, bestelle ich online mehrere Produkte. Und so wie im Handel niemand auf die Idee käme, die Umkleidekabinen rauszureißen, werden auch wir unser Modell nicht ändern. Dass die Leute einzelne Artikel zurückschicken, gehört zum Geschäftsmodell dazu.
Ritter: Dass es trotzdem funktioniert, zeigen unsere Kernregionen. In den deutschsprachigen Ländern schreiben wir schwarze Zahlen, obwohl die Retourenrate hier höher ist als in anderen Regionen und bereits starker Wettbewerb herrscht. Es spielen eben auch Skaleneffekte und Effizienzgewinne in der Logistik eine Rolle, um ein profitables Geschäft zu betreiben.
Ende 2018 laufen Ihre Vorstandsverträge aus. Schreibt Zalando bis dahin Gewinne?
Ritter: Mal sehen. Natürlich wollen wir irgendwann erreichen, dass sich die Aufbauarbeit in Sachen Marke, Reichweite und Logistik auszahlt. Aber es gibt keinen festgelegten Zeitpunkt, zu dem die Gewinnschwelle erreicht werden muss. Wenn wir die Wahl haben zwischen kurzfristiger Margenoptimierung und langfristigem Wachstum durch zufriedene Kunden, dann entscheiden wir uns im Zweifel für Letzteres, damit Zalando in zehn Jahren noch erfolgreicher ist.
Zalandos Wachstum bedeutet für viele stationäre Händler drastische Umsatzeinbußen. Haben die noch eine Chance?
Schneider: Umsätze fließen derzeit aus dem klassischen Einzelhandel in den Online-Markt ab. Aber diese Entwicklung findet mit oder ohne Zalando statt. Die Vorteile des Online-Shoppings liegen für die Kunden einfach auf der Hand.
Ritter: Ich wünsche mir, dass auch der positive Teil der Entwicklung gesehen wird: Es gibt beim Kunden den Trend zum E-Commerce. Da ist es doch besser, wenn ein Berliner Unternehmen die Entwicklung mitgestaltet und nicht den Online-Bereich komplett dem Silicon Valley überlässt. Wir haben mittlerweile mehr als 2000 Arbeitsplätze in Berlin geschaffen und zusätzlich mehr als 3000 in der Logistik in ganz Deutschland.
Schneider: Der klassische Handel steht vor der Herausforderung, auf den Umbruch zu reagieren, noch interessantere Angebote für die Kunden zu finden und die Läden mit Online-Angeboten zu verzahnen. Viele unserer Markenpartner betreiben eigene Läden, trotzdem arbeiten wir eng zusammen und werden die Kooperationen noch ausbauen.
In welchen Bereichen?
Schneider: Da ist vieles vorstellbar. Manche Fashion-Artikel sind zum Beispiel offline absolute Bestseller, laufen aber online partout nicht. Das kann an Farben liegen, die auf dem Bildschirm problematisch darzustellen sind, oder an sehr formbetonten Schnitten. Da könnten wir gemeinsam Produkte entwickeln, die sich bei Zalando gut verkaufen.
Wie viel Umsatz wird von den Mode- und Schuhläden ins Netz abwandern?
Gentz: Ich wüsste nicht, warum der Online-Anteil im Fashion-Bereich in den kommenden Jahren nicht auf 30 Prozent oder mehr steigen sollte. Der Markt ist aber viel zu dynamisch für eine Prognose. Vor fünf Jahren hätte auch niemand damit gerechnet, wie schnell sich der Einkauf via Smartphone entwickelt hat.
Der Hamburger Otto-Konzern will Ihnen mit neuen Online-Shops Kunden abjagen und hat den Einkauf via Handy zur Chefsache erklärt. Müssen Sie jetzt reagieren?
Ritter: Die Frage ist, wer hier auf wen reagiert. E-Commerce bedeutet Wettbewerb, und es gibt jeden Tag neue Mitspieler, das ist nichts Neues.
Wie wichtig ist das Mobile-Thema für Sie?
Gentz: 35 Prozent aller Kunden besuchen den Shop über Tablets und Smartphones. Wir haben ein interessantes Kundenverhalten beobachtet: Morgens auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule erreichen uns viele Kunden via Smartphones, mittags über die klassischen Desktop-Computer, die in den Büros stehen, und abends kommen viele über ihre Tablets. Bei den Kaufabschlüssen liegen die Tablets gleichauf mit den Desktop-Rechnern. Bisher ist unser Mobile-Konzept noch stark auf den klassischen Online-Shop ausgerichtet. Demnächst wird es aber eine Menge cooler Zusatzfunktionen geben.
Woran denken Sie?
Gentz: Es sind ganz andere, auch individuellere Shoppingtools denkbar. Ähnlich wie es Handy-Apps gibt, die Radiosongs erkennen, arbeiten wir an einer App-Lösung, um Kleidungsstücke aus Fotos zu erkennen. Wenn Sie in der U-Bahn sitzen, und Ihnen gefallen die Schuhe Ihres Gegenüber, reicht ein kurzer Scan mit dem Handy, und Zalando verrät ihnen, um welches Schuhmodell es sich handelt – und bietet natürlich den Kauf an. Und dann ist da noch das Projekt Shades of Grey.
Sie meinen die Sado-Maso-Buchreihe? Verkauft Zalando jetzt Sex-Bestseller?
Gentz: Nein, das natürlich nicht. Aber mit diesem Projekt werden wir zu jedem genauen Farbton eines Kleidungsstücks die passenden Zusatzprodukte anzeigen können.
Wann werden Sie die Anwendung starten?
Gentz: Wir sind schon mitten in der Entwicklung, und in ein paar Monate werden unsere Kunden Resultate sehen. Zudem werden wir unseren Kunden demnächst exaktere Informationen zu Lieferzeiten anbieten. Die meisten Kunden wollen möglichst genau wissen, wann ihr Paket eintrifft. Es wird vor allem im Ausland auch Expresszustellungen geben, und wir werden bei Retouren das Geld schneller an die Kunden zurückerstatten.
In der Startup-Szene wird Zalandos Technologie- und Wachstumskurs oft als Vorbild gesehen. Sehen Sie sich auch so?
Schneider: Wir sind die Letzten, die sich zu Vorbildern stilisieren wollen. Aber natürlich ist die Entwicklung von Zalando auch gute Werbung für den Startup-Standort Berlin. Auch hier können ein paar Studenten in einer WG ein Unternehmen gründen, und ein paar Jahre später macht dieses Milliardenumsätze in ganz Europa.