Um teure Produkte zu verkaufen Insiderin erzählt: Wie Firmen Facebook missbrauchen

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Beliebige Posts zum Thema Fitness und Ernährung

Als Richter als selbstständige Verkäuferin anfing, fand einmal pro Woche abends ein Live-Video-Seminar statt, an dem die junge Frau oft mit Dutzenden anderen eine Präsentation der Firma verfolgte. Dort wurde ihr beigebracht, wie sie sich auf Facebook mit fremden Menschen anfreunden sollte, um dann die Produkte zu verkaufen. Teilweise sollte sie sich beliebige Posts auf Facebook ansehen, die etwas mit dem Thema Fitness oder Ernährung zu tun hatten: „Wenn jemand darunter Freunde von sich verlinkte, konnte ich die Namen sehen. Und die habe ich dann angeschrieben – weil ja offenbar klar war, dass die eine besondere Affinität für das Thema haben und so leichte Opfer sind.“ Einer der Standardsätze, mit denen sie User anschreiben sollte, lautete: „‚Du siehst voll sportbegeistert aus. Hättest du Lust auf eine Challenge?‘“ Ziel sei es, in 90 Tagen gezielt abzunehmen. In Wahrheit ginge es darum, so viele „Juice Plus“-Produkte wie möglich zu verkaufen. Bei Interesse an den Produkten gab Richter dann einen Link weiter, über den die neuen Kunden bestellen sollten – so wurde ihre Provision bezahlt.

Juice Plus dementiert dieses Vorgehen. Es gebe zwar diverse Schulungs- und Trainingsmaterialien, Schulungen und sonstige Unterstützung innerhalb des Systems. Aber es würde dabei jeweils nur erläutert, „wie das Vertriebssystem funktioniert und zum anderen, welche Aussagen über das Produkt gegenüber dem Kunden getroffen werden dürfen“, schreibt das Unternehmen auf Anfrage. Dabei hätte sich jeder an die Kommunikationsrichtlinien und Verhaltensstandards zu halten. Bei der großen Anzahl von Franchise-Partnern, laut Unternehmensangaben 180.000 weltweit, die „selbstverantwortlich tätig sind“, könne es aber „in Einzelfällen vorkommen“, dass diese sich nicht an den geltenden Richtlinien orientierten.

Die Provision fällt in dem Unternehmen offenbar unterschiedlich hoch aus, je nachdem wie viel man schon verkauft hat – die Rendite beginnt bei zehn Prozent des Verkaufswerts des Produkts und wächst dann bis auf 20 Prozent an. Je nach Erfolg klettert man im firmeninternen Ranking nach oben, für jede Stufe gibt es eigene Bezeichnungen. Zusätzlich gibt es je nach Stufe eigens ausgeschüttete „Bonuszahlungen“, die am Anfang 150 Euro betragen und sich dann langsam steigern. Als „Presidential Marketing Director“ bekommt man vom Unternehmen eine Zahlung von 38.400 Euro. So ist es auf einer der Folien zu lesen, die das Unternehmen bei seinen Verkäufern verbreitet und die der WirtschaftsWoche zugespielt wurden.

Als Facebook-Nutzer kann man die Verkäufer von Juice Plus nur schwer erkennen. Oft steht der Name der Firma, für die sie tätig sind, gar nicht auf ihrem Profil. Lediglich Fotos, die das Logo vom „Move Club“ oder „Club W“ — beides sogenannte „Movements“, die zu Juice Plus gehören — lassen erkennen, für wen gearbeitet wird. Diese „Movements“ bezeichnen die Teams von Juice Plus und sollen offenbar ein besonderes Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugen. Dass das Unternehmen mit seinem Namen zunächst in den Hintergrund tritt, dürfte Teil der Firmen-Strategie sein.
Marketing-Experten sehen die Vertriebskonzepte der Unternehmen kritisch. „Private Kontakte ohne deren explizite Einwilligung zu nutzen, um Produkte zu verkaufen, ist link“, sagt BWL-Professor Manfred Schwaiger von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „In der Regel erwartet man von seinen persönlichen Bekannten nicht, dass die einem ungefragt was andrehen wollen.“ Das Modell von Juice Plus und anderen Firmen halte er „in der Hinsicht für mindestens perfide.“

Dennoch hat das Modell offenbar Erfolg. Auf sogenannten „Conventions“, zu denen oft in riesigen Video-Konferenzen aufgerufen wird, treffen sich die Verkäufer vor Ort. Richter fuhr zu zwei Treffen in Pforzheim und Berlin: „Dort wurde auf großer Bühne mit lautem Tamtam geehrt, wer besonders viel verkauft hat“, sagt sie. Als einmal einer der Chefs der Firma reinkam, habe es die Leute schier „aus den Sitzen gerissen. Die haben den regelrecht angebetet.“ Der WirtschaftsWoche liegen Fotos von den Treffen vor: freudestrahlende junge Menschen, JuicePlus-Produkte auf dem Tisch und Beamer-Sprüche an der Wand: „Nur die Harten kommen in den Garten.“

Julia Richter sagt: „Die erfolgreichen Verkäufer werden schonmal im Cabrio durch Berlin gefahren. Das machte natürlich schon Eindruck, auch auf mich damals.“ Experte Schwaiger von der LMU erklärt dazu: Diese Conventions seien „Motivationsmaßnahmen der härteren Gangart“. Das habe schon „etwas von einem Sektenkult, ist psychologische Manipulation – und offenbar sehr erfolgreich.“
Richter ist glücklich, dass sie inzwischen ausgestiegen ist. Hinter ihrem Schreibtisch lag bis vor Kurzem noch ein letztes, mittlerweile verstaubtes Juice-Plus-Paket. Sie sagt: „Das kommt jetzt endgültig weg. Endlich ist dieses Kapitel vorbei.“

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