Verpackung Wie nachhaltig ist der Schoko-Weihnachtsmann von Lindt?

Verpackungsmüllgigant Lindt: Die Glöckchen für Nikolaus und Osterhase kamen vor vielen Jahren mal von einem Mittelständler in Bayern, inzwischen aus China. Quelle: imago images

Beschließt die EU eine strenge Verpackungsverordnung, könnte das Glöckchen des Lindt-Weihnachtsmannes bald Geschichte sein. Doch das ist nicht das einzige Problem des Chocolatiers.

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Manchmal darf man dankbar sein, dass Werbung es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Wäre es anders, müssten Menschen weltweit womöglich um die Weihnachtszeit fürchten. Betont in TV-Spots doch seit Wochen ein Chocolatier, dass die von seinem Auftraggeber gefertigten Schokoladen-Bischöfe die Weihnachtszeit einläuteten. Mit einer winzigen Bimmel, die sie an einem Band um die breiten Hüften tragen. Dann leuchten Kinderaugen, weil auf dem Sternenregen, der in der Werbung aus diesen Glöckchen strömt, ein Rentierschlitten mit Geschenken Richtung irdischer Wohnzimmer fahren kann.

Es könnte sich jedoch bald ausgeläutet haben. Macht die EU Ernst mit ihrem Vorhaben, im Sinne der Müllvermeidung überflüssige Verpackungsteile zu verbieten, müssten die Schoko-Männer der Marke Lindt ihren Hüftgurt genauso ablegen wie ihre Kollegen die Schoko-Osterhasen das Schellen-Collier.

Wären damit Weihnachtsfriede und Osterruhe in Gefahr? Oder doch nur ein Marketing-Gag eines Süßwaren-Herstellers?

Lindt: Glöckchen ist nicht „Made in Germany“

Lindt & Sprüngli ist wie zahlreiche andere Hersteller seit Jahren wegen Kinderarbeit und hohem Pestizid-Einsatzes auf afrikanischen Kakao-Plantagen in der Kritik. Das Unternehmen gesteht zudem ein, dass es seine selbstgesteckten Ziele zur Einführung umweltfreundlicher Verpackungsstrategien nicht einhalten kann. Trotzdem stehen seine Produkte in der Gunst der Kunden ganz weit oben – weil die bei Schokolade weit weniger auf Nachhaltigkeit achten als bei anderen Produkten.

Das größte Werk steht nicht in der Schweizer Heimat des Schoko-Konzerns Lindt & Sprüngli, sondern im nordrhein-westfälischen Aachen. Hier ist die Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli GmbH zu Hause, die am Markt unter der Marke Lindt auftritt. Und hier steht auch das so genannte Kompetenzzentrum für Hohlfiguren. Aus Aachen machen sich die Weihnachtsmänner, Osterhasen und Bärchen auf den Weg in die Welt. Allein von den Osterhasen werden nach Unternehmensangaben jedes Jahr an die 150 Millionen hergestellt. Über die Weihnachtsmänner und Bären werden keine Zahlen veröffentlicht.

Die Glöckchen am Band, die nach Darstellung des Unternehmens jeweils „liebevoll“ und „von Hand“ umgelegt werden, sind allerdings nicht „Made in Germany“. Laut dem Nachhaltigkeitsbericht für 2022 kommt dekoratives Material in der Regel aus Asien. Eine Sprecherin macht auf Anfrage keine weiteren Angaben dazu, sondern schickte lediglich ein allgemeines Statement zur Bedeutung von Verpackungen.

Ein Zulieferer aus Anfangszeiten, das Familienunternehmen J.A. Huck aus Nürnberg, gab dagegen bereits vor Jahren bekannt, dass Huck längst durch Billig-Produzenten aus China ersetzt worden sei. In Nürnberg kann man auch erklären, dass es sich nicht um Glöckchen, sondern Schellen handelt. Glocken werden nämlich gegossen, Schellen dagegen aus Blech geformt und meistens verschweißt oder vernietet. Aber das nur nebenbei.

Christlich geprägte bayerische Abgeordnete im Europa-Parlament werfen sich dennoch für das Geläut in die Bresche. In der Debatte um eine neue EU-Verpackungsverordnung brandmarken die CSU-Politikerin Angelika Niebler und ihr Parteikollege Christian Doleschal ausdrücklich das drohende Verbot der Lindt-Schellen „aufgrund zu weitgehender Verpackungs-Minimierungsvorgaben“.

Mit ihren Kollegen von der Europäischen Volkspartei (EVP) gelang es ihnen Ende November sogar, im EU-Parlament den Aspekt der „unverwechselbaren Produkterkennung“ als Verpackungsleistungskriterium in den Katalog der Ausnahmen von der Verpackungsverordnung aufzunehmen. Damit ließe sich vermutlich künftig jede Verpackungsmininimierung umgehen – auch Glöckchen und Schellen würden demnach vermutlich eine Verpackungsfunktion erfüllen.

Die Umweltministerinnen und -minister der EU-Länder erkannten die Falle – und strichen die Passage bei ihren Beratungen wieder heraus. Im Trialog zwischen den Ministern, der EU-Kommission und dem EU-Parlament soll nun ab Januar ein gemeinsamer Kompromiss für die Verordnung gefunden werden.

Schokosüße Werbewelt versus Realtität

Für viele Kunden sind die Anhängsel von Weihnachtsmännern und Osterhasen genauso wie die aufwändigen Verpackungen anderer Schokoladen der Marke Lindt Zeichen einer besonders hohen Qualität der süßen Ware. Das Conchieren, also das Knet- und Rührverfahren, das den schmelzenden Charakter des Endprodukts möglich macht, fehlt in keinem Lindt-Werbespot. Auch betont das Unternehmen auf seiner Website: „Das Geheimnis des unvergleichlichen Geschmacks von Lindt liegt in der sorgfältigen Auswahl und Mischung edelster Kakaobohnen aus den weltbesten Herkunftsregionen sowie der hausinternen Verarbeitung.“

Allerdings stammt ein Großteil der Kakaobohnen auch bei Lindt aus Ghana. Kenner wissen, dass aus Westafrika in der Regel Konsum-Kakao für Industrieschokolade kommt. Bohnen für Edel-Kakao werden vorwiegend in Ecuador und Kolumbien geerntet.

Dass die schokoladensüße Werbewelt mit der Realität oft wenig zu tun hat, räumt Lindt & Sprüngli sogar ein. Nicht im Gespräch mit der WirtschaftsWoche: Eingereichte Fragen beantwortete das Unternehmen nicht, sondern verwies auf die bereits auf die Frage zur Herkunft der Glöckchen gemachten allgemeinen Aussagen. Im Nachhaltigkeitsbericht für 2022 steht allerdings: „Die zuverlässige Lieferung von Rohstoffen und Verpackungsmaterial ist essenziell für den Erfolg unseres Geschäfts. Der Anbau, die Verarbeitung und der Transport dieser Rohstoffe können bedeutende gesellschaftliche und ökologische Folgen haben – etwa Kinderarbeit, Klimawandel und Entwaldung. Wir bemühen uns um eine positive Präsenz im Leben unserer Lieferanten und unserer Partner in der Lieferkette, indem wir die negativen Auswirkungen auf die Umwelt minimieren und – wo immer das möglich ist – eliminieren.“

Kritik an solch wenig präzisen Aussagen kommt nicht etwa nur von NGOs, die sich für Umweltschutz oder Menschenrechte einsetzen, sondern beispielsweise auch von Assetmanagern des Frankfurter Bankhauses Metzler. In ihrem aktuellen ESG-Update mit dem Titel „Wie nachhaltig ist der Schoko-Weihnachtsmann?“ monieren sie: Die Formulierung von Zielen sei „nicht ausreichend“. Und: „Im Markt für Schokolade bestehen weiterhin strukturelle Schwierigkeiten, Nachhaltigkeitsziele umzusetzen.“

Neben dem weltgrößten Schokoladenproduzenten Barry Callebaut aus der Schweiz, der etwa für die Nahrungsmittelkonzerne Nestlé und Unilever produziert, sowie dem US-Konkurrenten Hershey, dessen Schokolade unter anderem in Kitkat steckt, widmen sich die Metzler-Manager auch Lindt & Sprüngli. Sie heben zwar hervor, dass das Unternehmen mit dem so genannten Lindt Farming Programm ein eigenes Nachhaltigkeitsprogramm für die Lieferkette implementiert habe. Zusätzlich sei ein System zur Überwachung von Kinderarbeit eingerichtet worden. „Skepsis scheint zumindest angebracht,“ warnen die Experten dennoch Anleger. „Bestrebungen, die Probleme durch unternehmenseigene Initiativen zu verbessern, gibt es seit Jahrzehnten, wirklich geändert hat sich jedoch bisher nur wenig.“ Auch für Lindt werde insbesondere das Thema Kinderarbeit im ESG-Research von MSCI noch Ende November 2023 als schwerwiegend eingestuft.

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Seine Nachhaltigkeits-Absichten beim Thema Verpackung wird Lindt reißen. „Wir sehen, dass wir nicht auf Kurs sind, unser Ziel für 2025 zu erreichen,“ heißt es in dem im Juni 2023 veröffentlichten Nachhaltigkeitsbericht für das vorangegangene Jahr. Ursprünglich hatte Lindt & Sprüngli 2020 eine Quote von 100 Prozent bis 2025 für recyclingfähiges oder wiederverwendbares Material formuliert. Interessant ist dabei, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Wiederverwendungsquoten für gewerbliche Verpackungen von 80 bis 100 Prozent als „völlig praxisfern“ ablehnt.

Verändertes Konsumverhalten bei Gen Z

Neben der grundsätzlichen Recyclingfähigkeit ist auch relevant, ob Verpackungen richtig entsorgt werden und das recycelte Material wirklich wieder in neue Produkte fließt. Hier zweifelt Laura Griestop, bei der Naturschutzorganisation WWF Deutschland Senior Manager Sustainable Business & Markets. „Nicht alle Verbraucher wissen, dass zum Beispiel Aluminium und Plastik in den gelben Sack gehören.“ Gerade die kleinen Verpackungen von Schokoladen würden häufig im Restmüll landen. „Die Frage stellt sich, ob die Quote nur in der Theorie erreicht werden kann oder auch in der Praxis. Die Entsorgung wird für die Verbraucher umso schwerer, je mehr unterschiedliche Materialien in einer Verpackung verbaut sind.“

Lindt & Sprüngli nennt als Gründe für das vorläufige Scheitern unter anderem Schwierigkeiten, nachhaltige Verpackungs-Lösungen zu finden, verlängerte Test-Phasen und die Skalierung neuer Technologien. Das Ziel solle im Lauf des Jahres 2023 überarbeitet werden. Auf die Frage der WirtschaftsWoche Anfang Dezember nach den neuen Zielen und weiteren Details antwortete eine Sprecherin: „Das Unternehmen Lindt & Sprüngli tätigt derzeit keine weiteren Aussagen rund um Themen zur Verpackungsverordnung.“ Der für Frühjahr 2024 geplante Nachhaltigkeitsbericht 2023, „wird auf viele der von Ihnen genannten Punkte eingehen“, vertröstet sie.

Die Herausforderungen erklärt der Nachhaltigkeitsbericht folgendermaßen: „Verpackung ist entscheidend für Nahrungsmittelsicherheit, die Qualitätssicherung unserer Premium-Produkte während des Transports und dafür, unsere Kunden zu informieren und zu erfreuen.“ Bei den Schellen und zusätzlichen Rüschen-Folien um bereits glänzend umhüllte Schokoladenkugeln dürfte vor allem Letzteres im Vordergrund stehen: die Freude der Kunden. Die achteten beim Kauf von Schokoladen zumindest bisher deutlich weniger kritisch auf Inhaltsstoffe oder Nachhaltigkeitsstandards als bei anderen Lebensmitteln, weiß auch Kerstin Weber, Referentin Agrarökologie beim WWF Deutschland. Selbst die Tatsache, dass auf Kakao-Plantagen in Afrika häufig und in großen Mengen Pestizide verwendet würden, die in der EU gar nicht mehr zugelassen sind, „spielt in der Wahrnehmung eine geringe Rolle“. Nicht zufällig fristet Bio-Schokolade in den Regalen ein Nischendasein, und Pioniere wie Ritter ließen schnell wieder die Finger davon.

Die Asset-Manager von Metzler erwarten aber einen Wandel und setzen auf Kundschaft, die Schokoladenproduzenten ebenso wie den Handel und die Politik in die Pflicht nehme. „Insbesondere die jüngeren Käufer der Millennials oder Generation Z zeigen ein verändertes Konsumverhalten und achten besonders auf die Nachhaltigkeit der Produkte.“ Initiativen wie die Rainforest Alliance, die International Cocoa Association oder die World Cocoa Foundation seien bisher „noch ohne durchschlagende Erfolge“ geblieben. „Neue Gesetzesinitiativen und Forderungen nach mehr Transparenz in den Lieferketten geben aber Grund zur Hoffnung, dass die Missstände in Zukunft konsequenter angegangen werden.“

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Die Weihnachtszeit beginnt in den christlichen Westkirchen offiziell übrigens am Abend des 24. Dezember, für orthodoxe Gläubige 13 Tage später – egal wie früh die Schokoladenindustrie zum Fest läutet.

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