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Alljährlich vergibt die Verbraucherzentrale den Preis für die „Mogelpackung des Jahres“. Zum Betrug am Verbraucher kommt in diesem Jahr jedoch der Vorwurf hinzu, auch Umwelt und Natur zu betrügen. Und große Marken sind ganz vorne mit dabei. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg

Mogelpackungen: Nachhaltigkeit nur ein Marketing-Stunt?

Jährlich vergibt die Verbraucherzentrale den Preis für die „Mogelpackung des Jahres“. Zum Betrug am Verbraucher kommt dieses Jahr der Vorwurf hinzu, Umwelt und Natur zu betrügen. Und große Marken sind ganz vorne dabei.

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Wie in jedem Jahr kürte die Verbraucherzentrale Hamburg erneut die fragwürdigen Preisträger des Awards „Mogelpackung des Jahres“. Doch in diesem Jahr ist vieles anders, besser gesagt: schlimmer. Zum einen befinden sich unter den fünf Nominierten ausschließlich bekannte Marken großer Hersteller.

Unter den fünf Nominierten wählten 16.759 Verbraucher die „Paprika Sauce“ von Homann mit großem Abstand und mehr als 50 Prozent der Stimmen auf den ersten Platz. Auf den weiteren Plätzen folgen das „KitKat“-Sammelpack von Nestlé, „Perpetum“-Waffelgebäck von Bahlsen, die „Rahmsoße“ von Knorr (Unilever) und „Wurzener Waffelblättchen“ von Griesson-de Beukelaer.

Zum Erstplatzierten Homann schreiben die Verbraucherschützerinnen: „Die Homann Feinkost GmbH hatte eine Design- und Namensänderung genutzt, um die Füllmenge des Produkts zu reduzieren. Der drastische Preisanstieg für die Homann ‚Paprika Sauce‘ betrug bis zu 88 Prozent. Das Produkt war damit Spitzenreiter unter den fünf nominierten Kandidaten für die ‚Mogelpackung des Jahres 2021‘. Statt 500 Milliliter füllt Hersteller Homann seit 2021 nur noch 400 Milliliter Sauce pro Glas ab. Gleichzeitig wurde trotz geringerer Inhaltsmenge der Preis im Handel angehoben. Wir baten Homann um eine Stellungnahme, wurden jedoch mit der Begründung, man würde nur direkt mit Verbraucherinnen und Verbrauchern sprechen, abgewimmelt.“

Bei KitKat befinden sich statt bislang fünf neuerdings nur noch vier Riegel in der Packung. Mit ihren „Wurzener Waffelblättchen“ bietet Griesson-de Beukelaer jetzt die gleiche Menge an Keksen in einer fast doppelt so großen Packung feil. Auch Bahlsen verringerte die Füllmenge von 130 auf 97 Gramm, ebenso wie Knorr die Rahmsoße von einem 3er-Pack auf einen 2er-Pack.

An der Wahl „Mogelpackung des Jahres 2021“ der Verbraucherzentrale Hamburg beteiligten sich vom 6. bis 24. Januar 2022 insgesamt 16.759 Verbraucherinnen und Verbraucher. Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg

Nachhaltigkeit spielt kaum eine Rolle

Die Verbraucherschützer fordern angesichts der drastischen Zunahme an „Tricksereien“ von der Politik eine Vorgabe, die Hersteller zwingt, Packungen bis zum Rand zu füllen, wenn es technisch möglich ist. Auf ihrer Homepage schreiben Sie: „Eine solche Vorgabe würde auch helfen, den durch Mogelpackungen ohne Not zusätzlich produzierten Verpackungsmüll zu verhindern. 25 Prozent mehr Einweggläser benötigt Homann, um die gleiche Menge ‚Paprika Sauce‘ abzufüllen. Für sein Waffelgebäck ‚Perpetum‘ braucht Bahlsen wegen der verringerten Füllmenge pro Tonne Kekse 2600 Stück mehr an Umverpackungen, Plastiktrays und -folien. Bei den ‚Wurzener Waffelblättchen‘ bietet Griesson-de Beukelaer jetzt quasi die gleiche Menge an Keksen in einer fast doppelt so großen Packung an. Nachhaltigkeit scheint beim Produktmanagement trotz anders lautender Beteuerungen der Hersteller offensichtlich kaum eine Rolle zu spielen.“

Der Nachhaltigkeits-Check

Der Vorwurf, nicht nachhaltig zu handeln, ist der zweite Punkt, der die diesjährige „Mogelpackung des Jahres“ von Vorjahren unterscheidet. Da es sich mit Homann, Nestlé, Bahlsen, Unilever und Griesson um sehr bekannte und große, vermeintlich verantwortungsbewusste Unternehmen handelt, machen wir den „Nachhaltigkeits-Check“. Was versprechen diese Unternehmen für Mensch, Natur und Umwelt zu tun?

Auf der Homann-Website finden wir die Aussage „Wir werden auch in Zukunft viel Liebe und Know-how in die Zubereitung unserer Salate, Aufstriche, Dressings, Saucen und Fischspezialitäten stecken.“ Zum Thema Verantwortung und Nachhaltigkeit kein Wort. Von „viel Liebe“ gegenüber Verbraucherinnen zeugt die vorgenommene Reduzierung der Füllmenge jedenfalls nicht. Vielmehr wirft ihnen die Verbraucherzentrale zusätzlich bei ihren Feinkostsalaten „massive Produktverschlechterungen“ vor: weniger wertgebende Zutaten und mehr Chemie. Auch das zeugt nicht von Liebe.

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von Thomas Koch

Nestlé dagegen verspricht in Sachen Verantwortung im Rahmen des „Nestlé Cocoa Plans“ besseren Kakaoanbau, bessere Lebensbedingungen der Kakaobauern und besseren Kakao. Im Mission-Statement heißt es weiter: „We unlock the power of food to enhance quality of life for everyone, today and for generations to come.“ Während wir bei KitKat nunmehr deutlich weniger vom guten Kakao erhalten und unsere Lebensqualität dadurch eher abnimmt, könnten die Verantwortlichen darüber nachdenken, ob sie sich damit tatsächlich an ihre Versprechungen halten.

Bei Bahlsen hat man sich laut Homepage ausgerechnet verantwortungsbewusste Verpackungskonzepte vorgenommen, die „unsere Umwelt so wenig wie möglich belasten“. Und unter „Woran arbeiten wir?“ heißt es vollmundig „Reduzierung von Plastik und der Verpackungsmenge insgesamt“. Nein, werte Bahlsens, Sie tun das genaue Gegenteil, Sie belasten Umwelt und Natur mehr denn je.

Knorr (Unilever) verspricht uns „neue, leckere Gerichte, die nicht nur ausgezeichnet schmecken, sondern auch eine ausgewogene und gleichzeitig umweltverträglichere Ernährung fördern“. Davon kann bei verringerter Füllmenge keine Rede sein. Es sei denn, man möchte uns damit sagen, dass wir uns in Zukunft weniger von Knorr-Produkten ernähren sollen.

Griesson-de Beukelaer nimmt Verantwortung und Nachhaltigkeit besonders ernst. Bei ihnen heißt es: „Wir sehen es als unsere Pflicht, Griesson-de Beukelaer ökologisch verträglich, wirtschaftlich erfolgreich und sozial förderlich zu führen. Nachhaltiges Denken und Handeln stehen im Mittelpunkt unserer unternehmerischen Philosophie.“ Nein, das tun sie nicht: Eine Verdopplung der Packungsgröße steht nicht für nachhaltiges Denken und Handeln, sondern für das genaue Gegenteil.

Nachhaltigkeit nur ein Marketing-Stunt?

Das Fazit aus unserem Nachhaltigkeits-Check ist ernüchternd. Doch es wäre unfair, diese fünf Unternehmen alleine anzuklagen. Sie sind nur Statthalter für eine gesamte Industrie, die sich zwar gerne nachhaltig und verantwortungsbewusst gibt, es aber selten ist. Das bestätigt eine Studie von Russell Reynolds. Demnach ist Nachhaltigkeit für deutsche Manager nichts weiter als ein willkommenes Marketing-Thema.



Die Unternehmensberater fassen zusammen: „46 Prozent der befragten deutschen Vorstände geben an, dass Nachhaltigkeits-Maßnahmen aus Marketingerwägungen getroffen werden“, um „als gesellschaftlich verantwortlich angesehen zu werden und sich über ein Nachhaltigkeits-Image vom Wettbewerb abzusetzen. Lediglich 15 Prozent setzen für zusätzliche Wertschöpfung auf Nachhaltigkeit.“ Demnach „sieht der überwiegende Teil der deutschen Führungskräfte Nachhaltigkeit immer noch vorrangig als Reputationsrisiko an, das es zu managen gilt“.

Das ist starker Tobak. Nachhaltigkeit ist für weite Teile der Industrie nichts weiter als ein Marketing-Stunt. Und wieder haben die Verantwortlichen die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn die Verbraucher sind nicht dumm. Unter der Überschrift „Wie sehr nervt grüne Werbung?“ beschreibt Kolumnist Jan Fleischhauer beim Onlinemagazin „turi2“, wie geschickt viele Unternehmen mit einem „grünen Anstrich“ von ihrem wenig nachhaltigen Verhalten ablenken.

Marketing by Ablenkung

Fleischhauer: „Manchmal soll der grüne Anstrich auch davon ablenken, dass man sich an anderer Stelle ganz anders verhält. Wenn alle davon reden, wie wichtig ein Umdenken sei, sagt der clevere Konzernboss: Dann stellen wir halt in der Führungsetage ein paar Leute von Greenpeace ein und streichen die Currywurst in der Kantine. Solange sich sonst nichts ändert, ist alles okay. Als Knorr ankündigte, seine ‚Zigeunersauce‘ in ‚Paprikasauce ungarischer Art‘ umzubenennen, war die Erleichterung groß. Dass die Firma den Mitarbeitern zeitgleich einen neuen Tarifvertrag mit deutlich schlechteren Bedingungen aufgezwungen hatte, fand kaum Beachtung in den Nachrichten.“

Verehrte Leserinnen und Leser, das Schreiben der „Werbesprech“-Kolumne für die WirtschaftsWoche macht mir schon seit über zehn Jahren große Freude. Doch dieses Mal bin ich regelrecht wütend. Über die Ignoranz der werbungtreibenden Industrie und ihren Umgang mit unserem Planeten und den Menschen, die ihn weiterhin bewohnen möchten. Wütend über die Ignoranz, man könne auch ohne intakte Erde und gesunde Erdbewohner auf weiterhin steigende Umsätze und Gewinne bauen.

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Damit aber die Werbebranche hier und heute nicht zu kurz kommt oder sich gar in Sicherheit wiegt, erinnere ich daran, dass die Jahr um Jahr zunehmende Onlinewerbung mit zu den größten Stromverbrauchern auf dieser Erde zählt – und dass jede einzelne, ausgelieferte Ad Impression einen CO2-Ausstoß von 0,1 bis 1,1 Gramm verursacht. Es gibt verdammt viel zu tun.

Mehr zum Thema: Mediaberater Thomas Koch widmet sich in seiner Kolumne Werbesprech dem Werbe- und Kommunikationsmarkt. Lesen Sie hier die vergangenen Kolumnen.

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