Energieversorgung und Glasproduktion „Nicht jeder Kunde wird das bekommen, was er in der Vergangenheit gewohnt war“

Nikolaus Wiegand ist Geschäftsführer von Wiegand-Glas, einem Familienbetrieb mit Sitz in Thüringen und Bayern. Quelle: Wiegand-Glas

Fehlende Chips, Baustoffe, jetzt Weinflaschen. Die Glasindustrie sorgt sich vehement um die Energieversorgung. Kommen jetzt DDR-Einheitsgläser für Bier, Gurken und Wein? Fragen an den Glasproduzenten Nikolaus Wiegand.

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WirtschaftsWoche: Herr Wiegand, in den vergangenen Wochen klagen Winzer immer wieder über knappe Weinflaschen. Sagen Sie uns: Bekommen wir demnächst im Supermarkt keinen Wein mehr?
Nikolaus Wiegand: So weit würde ich nicht gehen. Es stimmt: In allen deutschen Weinanbauregionen kommt es aktuell zu Lieferengpässen und Verzögerungen. Angesichts der Weltlage wäre alles andere aber auch seltsam.

Wie meinen Sie das?
Die Situation bei den trockenen Gütern, also Flaschen, Etiketten, Verschlüssen und Kartons, ist sehr angespannt. Schauen Sie in die Containerhäfen, auf die Schienen, die Straßen: Überall stauen sich die Güter und kommen nicht wie geplant an ihr Ziel. Vor einem Jahr bestellten Kunden bei uns einen LKW mit Flaschen, am nächsten Tag haben wir geliefert. Das ist vorbei. Im Moment dauert einfach alles viel länger.

Warum liefern Sie Ihre Flaschen später?
Wir kommen mit den Anfragen nicht hinterher. Seit dem Krieg in der Ukraine hat sich das Angebot an Behälterglas in Europa schlagartig verändert. Aus Russland und der Ukraine kommt praktisch nichts mehr. Eine Glasfabrik in der Ukraine wurde sogar ausgebombt.



Als Folge horten viele deutsche Winzer die Flaschen, die sie kriegen können.
So würde ich ungern zitiert werden. Fakt ist: Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei Weitem.

Wie gehen Sie damit um?
Wir werden unser Portfolio etwas verschlanken. In den vergangenen Jahren ging der Trend in Richtung Individualisierung. Viele Brauereien und Mineralwasserabfüller möchten heute ihr Produkt in speziell designten Flaschen vertreiben. Das gibt es auch im Wein-Bereich. Die schlanke 0,75 Liter Schlegel-Form etwa für den typischen Rheingauer gibt es in einer Höhe von 308, 328 oder 348 Millimeter, in fünf verschiedenen Farben, diversen Mündungen und Verpackungen. Wenn es jetzt hart auf hart kommt, frage ich mich: Brauchen wir das aktuell wirklich?

Sie verzichten auf mögliche Profite?
Ja! Wir versuchen, unsere Lieferverpflichtungen in dieser schwierigen Situation einigermaßen zu erfüllen. Nicht jeder Kunde wird das bekommen, was er in der Vergangenheit gewohnt war.

Ist der Krieg das Ende der individualisierten Produkte?
Das glaube ich nicht. Wir sprechen hier über einen Megatrend, der geht nicht einfach weg. Wir wollen auch nicht so leben wie in der DDR, als Bier, Gurken und Wein in gleichen Gläsern verpackt wurden.

Wiegand-Glas

Finden Sie die Aufregung im Moment also übertrieben?
Ganz und gar nicht. Aber nicht wegen der Lieferverzögerungen, sondern wegen etwas anderem: Der steigenden Energiekosten.

Die Glasproduktion gilt als eine der energieintensiven Branchen. Bereitet es Ihnen Sorgen, wenn Russland die Gasmenge drosselt?
Natürlich tut es das! Die Preise sind schon jetzt extrem hoch. Im Moment bezahlen wir für die Megawattstunde Erdgas fast das Sechsfache von dem, was im Durchschnitt in den Vorjahren üblich war. Der Anteil für die Energie an den Gesamtkosten hat sich für uns auf mehr als ein Drittel des Umsatzes erhöht, vorher waren es knapp unter zehn Prozent.

Den Preisanstieg geben Sie an Ihre Kunden weiter, die jetzt im Schnitt 30 bis 40 Prozent mehr für Ihre Produkte zahlen.
Ja, aber wir tragen dabei einen deutlichen Teil der Mehrkosten.

Die Verhandlungsstimmung zwischen Ihnen und Ihren Kunden war trotzdem schon einmal besser, oder?
Es ist für alle Beteiligten schwer und unmöglich vorherzusehen, wo sich das Preisniveau in der Zukunft einpendelt. Im Moment arbeiten wir mit einem flexiblen Zuschlag für die Energiekosten, der auch für unsere Kunden transparent nachvollziehbar ist. Auch das hat es in unserer Branche bisher noch nicht gegeben. Aber anders geht es gerade nicht.

Welche Maßnahmen müssen jetzt getroffen werden, um die Versorgung mit Gas in Deutschland sicherzustellen?
Kurzfristig brauchen wir mehr Länder, die uns Erdgas liefern können, um die Abhängigkeit von Russland schnell und deutlich zu reduzieren. Sicherlich hat die Versorgungssicherheit der Bevölkerung Priorität. Dennoch muss man in einer extremen Notlage spezifische technische Bedürfnisse einzelner Industrien bei seinen Entscheidungen berücksichtigen.

Was wäre das?
Spätestens nächstes Jahr muss unbedingt einer der vier neuen LNG-Terminals im Raum Lubmin in der Ostsee in Betrieb genommen werden, um auch die Unternehmen im Osten und Süden Deutschlands zu versorgen. Diesen Regionen bringt es wenig, wenn bei Brunsbüttel und Wilhelmshaven neue LNG-Terminals gebaut würden, das Gas jedoch aufgrund des bestehenden Erdgastransportnetzes nur sehr schwer nach Bayern und Thüringen fließen kann.

Zum Schluss muss ich Sie natürlich eines fragen: Haben Sie eine Lieblingsflasche?
Auch wenn viele Wirte die Flasche nicht mögen, weil sie nicht in die Kühlschranktür passt: Die 350 Millimeter Schlegel in olivgrün mit Band- oder BVS-Mündung. Eine sehr elegante Flasche, die wunderbar zur Stilistik des deutschen Weins passt.

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Und die produzieren Sie auch weiterhin?
Klar, aber nicht, weil sie die Lieblingsflasche vom Chef ist.

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