Entlastung der Industrie Ausrüstungspannen: Ministerium gesteht Mitschuld ein

Im aktuellen Streit um die geringe Einsatzbereitschaft von Waffensystemen der Bundeswehr entlastet das Bundesverteidigungsministerium die Rüstungsbranche und gesteht eine Mitschuld ein. Quelle: REUTERS

Im Streit um die geringe Einsatzbereitschaft von Waffensystemen der Bundeswehr gesteht das Bundesverteidigungsministerium eine Mitschuld ein. Doch Politik und Unternehmen müssen sich grundlegend ändern.

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Das Verhältnis zwischen dem Verteidigungsministerium und der Rüstungsbranche war schon immer angespannt. Denn sehr zum Zorn der Unternehmen beschuldigt das Amt vor allem die Industrie, dass so viele Waffensystem später, teuer und ohne die zugesagten Fähigkeiten zur Truppe kommen.

Nun vollzieht das Ministerium eine erstaunliche Wende. „Die geringe Einsatzbereitschaft der Schützenpanzer Puma ist im Wesentlichen auf ein Fehlen an Ersatzteilen und Sonderwerkzeug zurückzuführen“, erklärte nun ein Sprecher des Ministeriums nun auf eine Anfrage der Wirtschaftswoche versöhnlich und verbschiedet sich von Lieferfehlern als Hauptgrund der Misere. Dabei gestand der Sprecher auch gleich eine Mitschuld an den Mängeln ein, weil sein Haus trotz der lange bekannten Probleme die nötigen Teile nicht rechtzeitig bestellt hat. „Aufgrund entsprechender Lieferzeiten wird jedoch mit einer Verbesserung der Einsatzbereitschaft erst Mitte 2019 gerechnet. In Bezug auf Sonderwerkzeug hat die Auslieferung an die Truppe im Oktober 2018 begonnen, so dass sich auch hier die Situation im Jahr 2019 merklich verbessern wird.“ Zu guter Letzt kommt noch ein Loblied auf die Kooperation zwischen Armee und Lieferanten. „in Zusammenarbeit mit der Industrie werden im praktischen Betrieb auftretende Schwachstellen identifiziert und abgestellt.“

Das klang vorige Woche noch anders. Als ob die Spannung zwischen Amt und Industrie nicht schon groß genug wäre, kippte der neue parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Peter Tauber (CDU) da nochmal ordentlich Öl ins Feuer. Tauber beendet seine dahin recht technokratische Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Matthias Höhn (Linke) mit zwei Vorwürfen. Zuerst bezeichnete er die Auslieferqualität des Militärtransporters A400M und des Schützenpanzers Puma als „weiterhin steigerungsfähig“. Dazu sah er „nach wie vor die Industrie in der Pflicht, die vereinbarten Leistungen zu erfüllen“. Die Reaktion in den Medien war entsprechend heftig. „Nagelneuer Schrott bei der Bundeswehr“ titelte etwa die „Frankfurter Rundschau“.

Der milde Ton aus den Amtsstuben am Berliner Bendlerblock rührt gleichermaßen aus der besseren Einsicht und der deutlichen Reaktion der Unternehmen. „Da haben Industrievertreter hinter den Kulissen mal ein paar Dinge geradegerückt. Herr Doktor Tauber ist ja auch kaum ein halbes Jahr im Amt“, heißt es in Branchenkreisen.

So vermittele Taubers Brief ein falsches Bild. Aus Sicht der Branche verhindert bereits das Übergabeverfahren der Waffen, dass die Hersteller dem Amt defektes Gerät übergeben. So prüft eine Art bundeswehreigener TÜV jedes Gerät sowohl am Ende der Produktion in der Fabrik als auch nach der Ankunft bei Truppe, ob die Waffen auch funktionieren. „Wenn nicht, lassen die das Zeug bei uns erst gar nicht vom Hof“, heißt es in Branchenkreisen.

Ausnahmen machen die uniformierten Prüfer zwar. Aber nur wenn bestimmte Neuerungen wie Software-Updates oder geplante Verbesserungen bei Waffensystemen nicht in der Fertigung, sondern erst bei der Bundeswehr vorgenommen werden. „Doch dann sind die Geräte auch nicht unbrauchbar, sondern eben nur noch nicht komplett einsatzfähig“, so ein Manager der Branche. „Und wenn das länger dauert, liegt das nicht zuletzt daran, dass die Armee gerade in diesen Bereichen zu viel Personal abgebaut hat.“

Das größte Problem ist ohnehin der vom Ministerium zugegebenen Mangel an Ersatzteilen und Sonderwerkzeug. Der rührt zum einen daher, dass die Truppe aus übertriebener Sparsamkeit lange zu sehr auf Verschleiß gearbeitet und zu wenig in den Erhalt investierte. „Wir müssen Schritt für Schritt bis 2030 die Folgen von 25 Jahren Schrumpfkurs aufarbeiten“, gesteht denn auch der Bundeswehrsprecher. Das es noch zwölf Jahre dauert, rührt nicht nur daher, dass „lange Zeit das Fehlen laut beklagt, aber nichts bestellt“ wurde, wie es ein Rüstungsmanager ausdrückt. Die Herstellung der fehlenden Teile dauert länger als früher. „Wir bauen das teure Zeug ja nicht auf Vorrat bis das jemand haben will“, so der Manager. Dazu haben die Hersteller hier Kapazitäten abgebaut und die Fachleute in andere Bereiche im Unternehmen versetzt, weil sie mit mehr Aufträgen schon nicht mehr gerechnet haben.

Doch auch als klar wurde, dass die Bundeswehr mehr bestellt, ging es nicht sofort los. Denn dann wussten die Beschaffer der Bundeswehr oft nicht so recht welche Teile sie wollten und wie viele davon. Dafür sorgte nicht zuletzt die nur zögerlich umgesetzte neue Einsatzvorgabe der Regierung. „Bis 2015 ging es eher um Mittel für wenige Manöver und Einsätze in anderen Teilen der Welt. Doch seit Russland Teile der Ukraine annektierte, ging es auf einmal wieder Richtung achtziger Jahre mit deutlich mehr Übungen sowie Einsätzen zur Landesverteidigung und dem Bündnisfall“, sagt ein Kenner der Branche. „Und dafür braucht die Instandhaltung nicht nur mehr, sondern auch andere Ersatzteile als früher. Doch diese Änderung wurde bei den Bestellungen lange nicht berücksichtigt.“

Es wird noch eine Weile dauern, bis weniger als ein Drittel des Materials in der Werkstatt steckt

Am Ende gebe es zwar auch Garantiefälle, gibt ein führendes Unternehmen der Rüstungsbranche zu. Doch da geht es laut Insidern etwa beim Panzer Puma um schlimmstenfalls gut ein Zehntel des Bestands. Aber auch da hält sich die Industrie nicht immer für den Schuldigen. „In vielen Fällen stammt der Schaden nicht aus Produktmängel, sondern auch aus Bedienfehlern“, sagt einer der es wissen muss. „Gerade bei den neuen extrem komplexen Systemen dauert es eben, bis aus dem Grenadier ein Hightech-Operator wird.“

Doch auch wenn die Bundeswehr nun ihr Beschaffungswesen modernisiert, wird es noch eine Weile dauern, bis das Gerät pünktlicher geliefert wird und weniger als ein Drittel des Materials in der Werkstatt steckt. Dazu müssen sich alle Beteiligten ändern – vom Gesetzgeber über die Bundewehr bis hin zur Industrie.

Noch relativ leicht sind die Anforderungen an die Industrie. „Sie müssen aufhören, sich auf die Fehler der Amtsseite zu verlassen und wenn sich die Vorgaben ändern mehr Geld fordern. Dazu müssen sie ihre ganze Arbeitsweise im Militärgeschäft sowie im Zivilen auf die Vertragstreue und realistische Zusagen umstellen“, sagt ein Insider aus dem Ministerium. Mit Verwunderung erinnern sich führende Ministeriale noch, wie hilflos Dirk Hoke als Chef des Airbus-Rüstungsgeschäfts manchmal auftrat. „Er wusste über Monate nicht nur nicht, wann sein Militärtransporter A400M die versprochenen Leistungen bringen würde“, so der Ministeriale. „Er wusste nicht mal, wann er überhaupt diesen Zeitplan haben würde.“

Im Gegenzug muss das Verteidigungsministerium endlich alle Änderungen umsetzen, die die inzwischen ausgeschiedene Staatssekretärin Katrin Suder angestoßen hat. Dass sich die ehemalige McKinsey-Mitarbeiterin im typischen Beraterstil verabschiedet habe, bevor sie ihre Ideen umsetzen musste, sei keine Entschuldigung. „Die Vorstöße wie der Aufbau eines Controllings oder der richtigen Priorisierung sind erst der Anfang“, so ein Rüstungsmanager.

Dritte und letzte Hürde ist das Vergaberecht, das oft schnelle und praxisnahe Bestellungen sowie eine alltagstauglichere Technik bei den Systemen erschwert. „Bei einer Ausschreibung in Deutschland dürfen Behörde und Unternehmen Inhalte vor der Entscheidung für einen Lieferanten nur sehr begrenzt diskutieren. Dazu muss das Amt mehr oder weniger die billigste Offerte wählen“, so ein Industriemanager. „Sonst können unterlegene Wettbewerber gegen die Vergabe klagen und das aufhalten.“ Mindestens zweimal in den vergangenen Jahren passierte dies. In Frankreich und Großbritannien hingegen kann die Armee mehr oder weniger erst einen Lieferanten wählen und mit dem zusammen die Fähigkeiten und den Lieferprozess ausmachen. „Da ist es leichter den besten Anbieter zu finden, es geht schneller und hinterher drohen weniger Überraschungen.“

Ändern müsste sich zudem die Risikoverteilung. War das Amt lange Zeit bei Lieferpannen großzügig, zieht es nun extrem die Daumenschrauben an. Dazu zählt, dass der Hersteller komplett haften soll, wenn er verspätet liefert oder sein Gerät nicht wie geplant einsetzbar ist. Das Risiko ist fast nicht zu kalkulieren bei Hightech-Waffen, die mehr als zehn Jahre vor der Auslieferung bestellt werden. Doch dieses Wagnis darf sich die Branche nicht bezahlen lassen. „Wir dürfen keine drei Prozent vom Umsatz verdienen, sollen aber 100 Prozent des Risikos tragen“, schimpft ein Rüstungsmanager. „Dazu sind wir nicht mehr bereit.“

Zumal Lieferanten nicht nur die beim Vertragsabschluss geltenden Vorschriften einhalten sollen, sondern auch künftige Regeln, etwa wenn das Militär neue Vorschriften des zivilen Arbeitsschutzes übernehmen muss, von denen es beim Abschluss nichts ahnt. Darum sollen schon Rüstungsunternehmen gedroht haben, sich aus Verfahren zurückzuziehen. „Soll das Amt doch sehen, ob jemand aus den USA oder Osteuropa heute die Einhaltung der Arbeitsstättenverordnung Anno 2035 garantiert.“

Darum werten viele Beobachter die Versöhnlichkeit der Behörde als guten Schritt – und hoffen, dass die Einsicht auch auf viele Politiker abfärbt, die sich mit Berichten über Probleme bei Waffensystemen profilieren wollen. „So wichtig es ist, Missstände anzuprangern, kritisiert werden sollten vor allem die Dinge, die sich auch ändern lassen“, so ein Kenner der Branche.

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