Freytags-Frage
Mauricio Macri, Präsident von Argentinien, spricht vor der 73. Generalversammlung der Vereinten Nationen im UN-Hauptquartier. Quelle: dpa

Warum kommt Argentinien nicht auf die Beine?

Regelmäßig schlittert die argentinische Wirtschaft in eine Krise, und die Mittelschicht wird enteignet. Warum kommt das Land, das bis zum Zweiten Weltkrieg zu den reichsten der Welt zählte, nicht zur Ruhe?

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In Argentinien sieht es mal wieder düster aus: Die Staatsschulden wachsen schnell, die Inflationsrate liegt wieder bei etwa 40 Prozent, der Peso ist im Vergleich zum Jahresanfang in US-Dollar weniger als die Hälfte wert, und die Arbeitslosigkeit ist seit Jahresbeginn von etwas über 7 Prozent auf knapp 10 Prozent angestiegen. Der Anteil der Menschen in Armut nimmt wieder zu, nachdem er einige Jahre gefallen war. Die Regierung hat Subventionen zurückgefahren und die (administrierten) Preise für Wasser und Strom erhöht.

Dennoch war der Gang zum Internationalen Währungsfonds (IWF) nötig, um den Kollaps der Staatsfinanzen zu vermeiden.

Nun kommen zu den wirtschaftlichen noch die politischen Probleme: In dieser Woche ist auch noch der Notenbankchef zurückgetreten. Er hatte sein Amt noch nicht lange inne und gilt als Vertrauter des Präsidenten Mauricio Macri. Dies ist ein echter Rückschlag. Als Ergebnis dieser wirtschaftlichen Krise sinkt die Popularität des Präsidenten, der eigentlich fest im Sattel sitzt.

26 Mal hat Argentinien seit den Achtzigerjahren mit dem IWF über Kredite verhandelt. Jetzt ist Revision Nummer 27 dran. Für die Menschen dort ist das längst normal. Ein Rundgang durch die Straßen von Buenos Aires.
von Alexander Busch

Es stellt sich die Frage, wieso Argentinien mit enormer Regelmäßigkeit alle 10 bis 15 Jahre in eine fundamentale Krise gerät. Man könnte fast davon sprechen, dass in jeder Generation mindestens einmal die Mittelschicht enteignet wird. Dies ist umso erstaunlicher, als Argentinien bis zum Zweiten Weltkrieg zu den reichsten Ländern der Welt zählte und viele Immigranten aus Europa, vor allem aus Italien anzog. In den frühen Nachkriegsjahren wies Argentinien hohe Haushaltsüberschüsse auf. Aber unter den Peronisten und den Militärregierungen änderte sich das Bild, und Argentinien geriet in eine Art Schuldenfalle. Meist wurde zur Lösung des Problems die Notenpresse angeschmissen, was regelmäßig zu Hyperinflation führte. Diese sorgt dann für die Enteignung der Bürger und erheblichen Fehlallokationen.

Nun könnte man glauben, dass jahrzehntelange Erfahrungen mit Staatsverschuldung und Inflation die Akteure ernüchtern würden und zu einem vorsichtigen Umgang mit den öffentlichen Haushalten führen sollte. Chronische Staatsverschuldung ist ja kein gottgegebenes Schicksal. Durch eine Änderung des Ausgabeverhaltens und der Steuerpolitik kann man sicherlich die Budgetdefizite klein halten und steigende Staatsverschuldung reduzieren.

Argentinien und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben sich auf weitere Finanzhilfen geeinigt. Der IWF stockt sein Kreditprogramm um rund sieben Milliarden Dollar auf 57 Milliarden Dollar auf.

In den entsprechenden Berichten zu Krisen in Argentinien taucht regelmäßig ein Faktor nicht auf, der zumindest bis in die 2000er hinein für viele Probleme verantwortlich war und der, sofern er nicht beseitigt, zum ewigen Drama des Landes wird: die Fiskalverfassung. Dabei scheint es so zu sein, dass die Bundesebene verpflichtet ist, die Schulden der 23 Provinzen und der autonomen Stadt Buenos Aires zu übernehmen, wenn diese sie nicht mehr tragen können. Darauf deuten juristische und ökonomische Analysen hin; genauere Auskünfte darüber können einem selbst Steuerexperten des Landes nicht geben.

Für den Fortbestand dieser Regel auch nach der letzten Krise (in 2010) spricht das Ausgaben- und Beschäftigungsverhalten der Provinzen, die sich regelmäßig stark verschulden und für sehr viele Arbeitsplätze sorgen. In einigen Provinzen soll ein Großteil der Menschen beim Staat beschäftigt sein; dies kann eigentlich kein gutes Zeichen sein, denn die Produktivität staatlicher Unternehmen – wie auch der Verwaltung – entwickelt sich in der Regel unterdurchschnittlich. Eine Haftung durch die Bundesebene dürfte die Provinzen geradezu zur Misswirtschaft und hoher Verschuldung einladen, Wahlgeschenke eingeschlossen. Das ist kein argentinisches Alleinstellungsmerkmal: Man denke nur an Berlin!

Dieser Art von Moral-Hazard-Verhalten versucht die Regierung mit einem Fiskalpakt zwischen Zentralregierung und Provinzen zu begegnen, bislang allerdings wohl ohne Erfolg. Es spricht ja auch nicht viel dafür, dass die Provinzregierungen dieses Pfund aus der Hand geben. Für die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung kann man in diesem Regime die Zentralregierung verantwortlich machen, während die Provinzregierung sich dann für die Wahlgeschenke feiern lassen kann. Insofern stehen die Chancen für eine Reform nicht gut.

Vor diesem Hintergrund kann man die Frage klar beantworten. Durch Fehlanreize in der föderalen Ordnung kann man immer wieder in dieselbe Falle laufen. Im Falle Argentiniens scheint dies besonders ausgeprägt zu sein. Dies ist bitter, wäre das Land doch im Prinzip in der Lage, einen hohen Wohlstand für alle Bürger zu gewährleisten.

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