Siemens-Chef im Porträt Was Sie über Joe Kaeser noch nicht wissen

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Freunde und Gegner: Harter Konkurrent

Der Vizechef des Aufsichtsrats, IG-Metall-Chef Berthold Huber, ist Kaeser wohlgesinnt. Die Arbeitnehmervertreter schätzen seine Sachkenntnis und die langjährige Treue zum Konzern. „Mit ihm kann man reden“, lobt ein IG-Metall-Vertreter in München. Wachsam beobachten wird den neuen Siemens-Lenker dagegen Jeff Immelt, Chef des US-Mischkonzerns General Electric. Der Erzrivale hat Siemens in den vergangenen Jahren bei Umsatz und Rendite immer weiter abgehängt und erobert etwa bei der Medizintechnik in Deutschland immer größere Marktanteile. Kaeser wird jetzt mit Macht versuchen aufzuschließen.

Nicht als Kaeser-Freund gilt sein Vorgänger als Finanzvorstand, Heinz-Joachim Neubürger. Kaeser kam ins Amt, nachdem Neubürger 2006 wegen Schmiergeldvorwürfen gehen musste. Er ist aber inzwischen rehabilitiert, weil ihm nichts nachzuweisen war.

Stärken und Schwächen: Kein Visionär

Wann immer er Zeit hat, geht Kaeser joggen, und das tut ihm offenbar gut: „Ich bin 56, aber fühle mich wie 46“, sagte er kürzlich. Auch inhaltlich ist der neue Vorstandschef topfit. Er liest alle Vorlagen bis zur letzten Fußnote und kennt sich bei allen Siemens-Themen im Detail aus. Außerdem ist er ein guter Rhetoriker. Kaeser tritt locker auf, kann mit Charme und Witz formulieren und seine Zuhörer mitreißen – anders als Löscher, der oft steif und ungelenk wirkte. „Er ist sehr kontaktfreudig, und er kann auf die Mitarbeiter zugehen“, lobt ein früherer Aufsichtsrat. Bei seinen Standpunkten sei er wenig dogmatisch, sagt ein ehemaliger enger Weggefährte. „Das kann von Vorteil sein, doch manchmal geht es bis zum Opportunismus.“

Ziele und Visionen: Kurs korrigieren

Der Österreicher Peter Löscher wollte Siemens mit griffigen Zielvorgaben in die Zukunft führen. Der Umsatz bei Siemens müsse auf 100 Milliarden Euro steigen und die Rendite bis 2014 auf zwölf Prozent, so lauteten seine Vorgaben. Um Letzteres zu erreichen, wurde in den Divisionen hektisch gekürzt und gestrichen, statt eine schlüssige Langfriststrategie zu formulieren. Das ist nun Kaesers Aufgabe, denn der Frust auf den unteren Konzernebenen ist groß. Kaeser muss den Elektronik- und Industrieanlagenbauer zurück an die Spitze führen.

„Wir haben etwas die Ertragsdynamik gegenüber dem Wettbewerb verloren“, hat Kaeser nach seiner Berufung auf den Chefsessel in der vergangenen Woche eingeräumt. Jetzt warten alle Beobachter gespannt darauf, wie er das ändern will. Glaubt man allerdings einem Wegbegleiter, könnte das schwierig werden. „Er ist kein Visionär“, sagt der Ex-Kollege, „und sicherlich niemand, der Siemens in ein neues Zeitalter führen kann.“

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