Radikale Lösungen Die Industrie-Ikone Thyssen wird zerlegt

Ein Hochöfner arbeitet am Hochofen 2 im Werk Schwelgern von Thyssenkrupp. Quelle: dpa

Thyssenkrupp-Konzernchefin Martina Merz zerlegt das angeschlagene Konglomerat in Einzelteile. Für den Stahl und das Marine-Geschäft sucht sie Partner. Eine Lösung für die Stahlsparte steht kurz bevor.

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Martina Merz hält Wort. Auf der Aktionärsversammlung Ende Januar hatte die neue Thyssenkrupp-Vorstandsvorsitzende angekündigt, in vier Monaten einen Sanierungsplan für den angeschlagenen Essener Industriekonzern vorzulegen. Den hat sie jetzt pünktlich vorgestellt. Das Ergebnis in einem Satz: Merz zerlegt den Essener Industriekonzern in seine Einzelteile. Kein Stein bliebt auf dem anderen. Der Konzern schrumpft zusammen, auch für den Stahl gibt es keine Tabus mehr.

Es ist ein Ende auf Raten für den einst so stolzen Industriekonzern. Merz teilt den Konzern in zwei Teile, eine „good Bank“, in die all die Geschäfte kommen, für die Merz eine wirtschaftliche Zukunft sieht. Und eine „bad Bank“. In diese packt Merz alle die Geschäfte, die Thyssenkrupp nicht aus eigener Kraft weiterführen könne.

In die „good Bank“ wandert der Werkstoffhandel mit dem Stahlgeschäft, die Industriekomponenten (Großwälzlager und Schmiedegeschäft). Auch das Geschäft mit Automobiltechnik will Merz in der Gruppe weiterführen, will aber auch hier nach Partnern suchen.

In den zweiten, separat geführten Teil, wandert der Anlagenbau, der Bereich Federn und Stabilisatoren, das Edelstahlwerk in Italien, Zugtechnik, Grobblech und Batterietechnik. Multi-Tracks heißt die neue Gruppe von Geschäftsbereichen. Das Segment, das sie als „Multi-Tracks“ bezeichnet, beschäftigt in der Summe gut 20.000 Mitarbeiter. Die Geschäfte stehen insgesamt für einen Jahresumsatz von etwa sechs Milliarden Euro. Alle Geschäfte zusammen verbuchten im vergangenen Geschäftsjahr einen negativen Cashflow von rund 400 Millionen Euro. Das neue Segment soll Thyssenkrupp-Manager Volkmar Dinstuhl, Chef für Übernahmen und Akquisitionen in Essen, führen. Dinstuhl soll für diese Bereiche Partner oder Käufer suchen und notfalls auch ganze Geschäfte schließen. „Für einige Einheiten sind wir nicht der alleinige beste Eigentümer“, sagte Merz.

Intensive Suche nach Partnern im Stahl

Radikale Lösungen schließt Konzernchefin Merz auch für den Stahl nicht aus. „Es gibt keine Denkverbote“, sagte die Managerin, die erst Anfang Oktober vergangenen Jahres die Führung des angeschlagenen Konzerns übernommen hatte. Sie könne sich sogar für eine Minderheitsbeteiligung an der Stahlsparte erwärmen, sagte Merz.

Beim Stahl werde bereits mit möglichen Partnern gesprochen - und zwar „ziemlich intensiv“, sagte Merz. Namen wollte sie nicht nennen. Die IG Metall bevorzugt eine Kooperation mit den anderen deutschen Stahlkochern Salzgitter und Saarstahl. Das sei „eine der Optionen, die wir prüfen“, betonte Merz.

Die Gewerkschaft IG Metall signalisierte Zustimmung zum Konzernumbau. „Die Arbeitnehmerseite trägt eine Neuordnung des Konzerns Thyssenkrupp mit, die sich auf die Werkstoff- und Industriegütergeschäfte konzentriert“, sagte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Jürgen Kerner. Bei Stahl und Marine Systems müsse neben einem eigenständigen Weg auch eine Konsolidierung „unter der Federführung von Thyssenkrupp“ geprüft werden.

„Eine Konsolidierung gegen die Interessen der Beschäftigten wird es mit uns nicht geben“, kündigte Tekin Nasikkol, der Betriebsratsvorsitzende von Thyssenkrupp-Stahl in Duisburg, an. Thyssenkrupp sei in der Krise. Dass deshalb intensiv nach Konsolidierungsmöglichkeiten gesucht werde, liege auf der Hand. Grundvoraussetzung für eine mögliche Konsolidierung des Stahlbereichs sei vor allem das Festhalten an der neuen Strategie 20-30. „Wir haben einen Tarifvertrag Zukunftspakt Stahl 20-30 erst Ende März vereinbart. Wir erwarten die konsequente Umsetzung des Vertrages“, so Nasikkol. „Wir haben der Restrukturierung des Stahlbereichs mit einem geplanten Abbau von bis zu 3.000 Stellen nur unter der Bedingung zugestimmt, dass massiv in die Zukunftsfähigkeit der Thyssenkrupp Steel Europe AG investiert wird. Daran darf nicht gerüttelt werden.“ Neu sei die angekündigte Partnersuche für den Stahlbereich nicht. Die Beschäftigten hätten ein Recht darauf, von Anfang an transparent mit in den Prozess eingebunden zu werden.

von Angela Hennersdorf, Christof Schürmann, Cordula Tutt, Silke Wettach

Fortschritte in Gesprächen mit Salzgitter

Tatsächlich sind die Verhandlungen mit Salzgitter schon sehr weit fortgeschritten, wie Insider der WirtschaftsWoche sagten. Unterstützung erhalten die beiden Stahlkonzerne auch von der Politik. Vor allem NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Niedersachsens-Ministerpräsident Stephan Weil seien in die Gespräche über eine gemeinsame Stahlzukunft einbezogen.

Top-Managerin Merz will innerhalb eines Jahres ein Lösung für den Stahl finden. Dabei komme die Coronakrise zu Hilfe, sagte sie. Die Pandemie helfe „Problemlösungen zu erzwingen“, wo sie bisher an „Egos oder an Denkverboten oder kulturellen Hürden“ gescheitert seien. Auch für den Marinebereich prüft Thyssenkrupp Partnerschaften.

Merz sieht Thyssenkrupp aber noch auf einem weiten Weg. „Das ist heute nicht der magische Moment, an dem alles besser wird“, sagte sie. Viele kleine Schritte in hoher Geschwindigkeit seien nötig, um aus dem schwerfälligen Konzern eine agile Gruppe von Unternehmen zu machen. „Es wird in Zukunft keine Ausreden mehr geben„ betonte Merz. „Thyssenkrupp wird kleiner, aber stärker aus dem Umbau hervorgehen“, betonte die Vorstandsvorsitzende Martina Merz. Mit dieser Neubewertung der einzelnen Geschäftsfelder „haben wir schwierige und längst überfällige Entscheidungen getroffen, die wir jetzt konsequent umsetzen“.

An der Börse kamen die Umbaupläne gut an. Nach ihrem Kurssprung vom Montag zählte die Aktie mit einem Anstieg um rund fünf Prozent bis zum Mittag zu den Favoriten im MDax.


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Die Coronapandemie verschärft die existenzbedrohende Krise von Thyssenkrupp. Aus eigener Kraft wird der Konzern sie nicht meistern können – obwohl Vorstandschefin Martina Merz die Sanierung forciert. Es braucht Staatshilfen. Und weitere Partner. Die ganze Geschichte lesen Sie hier.

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