Unternehmen aus der Gießereiindustrie Dreimal insolvent – und trotzdem Weltmarktführer

Die Gießereiindustrie leidet unter dem Strompreis und den Materialkosten. Quelle: dpa

Die Hüttenwerke Königsbronn sind Weltmarktführer – und trotzdem bereits dreimal insolvent. So ist das Unternehmen nicht nur ein Muster an Durchhaltewillen, sondern lehrt auch den Umgang mit Problemen.

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Die Geschichte des wohl ältesten Industrieunternehmens Deutschlands spielt in Königsbronn, eingebettet im Brenztal, umgeben von den Wäldern und Felsen Ostwürttembergs, rund 8000 Einwohner. Sie erzählt von Mönchen, die 1365 die heutigen Hüttenwerke Königsbronn gründeten, und von Wirten, die sie groß machten oder vor dem Untergang bewahrten. Und vom ständigen Überlebenskampf in einer harten Branche.

Die Hüttenwerke Königsbronn sind darauf spezialisiert, die letzten, besonders großen und schweren Walzen für Papiermaschinen zu gießen: Bis zu elf Meter lang und zwei Meter im Durchmesser sind diese Kalanderwalzen. Sie glätten das Papier unter hohem Druck und großer Hitze. Toilettenpapier in Australien, Buchseiten in China, Zeitungen in den USA – die Wahrscheinlichkeit, dass das Papier mit Walzen aus Königsbronn geglättet wurde, ist groß.

Und dennoch: Bereits dreimal schon stand der unangefochtene Weltmarktführer kurz vor der Pleite, „Wunder von Königsbronn“ nannten sie die Rettung im Jahr 2019. Dann kam der russische Angriffskrieg in der Ukraine und mit ihm die Energiekrise. Wie so viele Industrieunternehmen leidet das Unternehmen unter immensen Stromkosten und lechzt nach dem lang ersehnten subventionierten Industriestrompreis. Damit nicht genug, auch die Materialkosten sind in den letzten Monaten explodiert. Droht die nächste Pleite oder stemmen sich die Hüttenwerke im Wiederaufbau gegen die angespannte Lage in der Gießereibranche?

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Die Geschichte des Traditionsunternehmens begann mit Zisterziensermönchen, die bei der Feldarbeit auf rote Kügelchen stießen, erzählt Verkaufsleiter Bernd Eppli. Dieses oberflächennahe Bohnerz findet man mit etwas Glück auch heute noch. Für die Region sollte der Bodenschatz zum Segen werden. Die Mönche durchpflügten die Schwäbische Alb und holten das Erz aus dem Boden. Im 18. Jahrhundert pachtete ein geschäftstüchtiger ehemaliger Gastwirt die herzoglichen Hüttenwerke und schuf 2000 Arbeitsplätze; in einem Dorf, das damals nur etwa 400 Einwohner zählte. Sie gossen Produkte des täglichen Lebens: Töpfe, Herdplatten, Fußbodenplatten; außerdem machten sie in Läuteröfen aus Eisenerz und Koks wertvollen Stahl. 1832 kam die erste Kalanderwalze aus dem Guss der Hüttenwerke. Der Besitz der Hütten wechselte ständig zwischen Klerus und Staat.

Mit den Investoren kamen die Krisen für die Hüttenwerke

Anfang dieses Jahrhunderts folgte die endgültige Privatisierung – und mit den verschiedenen Investoren auch die Krisen der Hüttenwerke, erzählt der ehemalige Betriebsratsvorsitzende und heutige Werksleiter Fred Behr. Er ist seit 1975 in der vierten Generation im Unternehmen.

Wirklich kritisch für die Hüttenwerke aber wurde es erstmals 2013. Man hatte sich mit einer Millioneninvestition verzockt. Die Gießerei sollte Bauteile für Windkraftanlagen gießen, doch die erhofften Aufträge blieben aus, weil der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland nur schleppend vorankommt, berichtet der heutige Geschäftsführer Heiko Hesemann.

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Doch die nächsten beiden Pleiten? „Böse Zungen sprechen von Missmanagement“, sagt der neue Geschäftsführer. Der zweite Investor belieh die Hüttenwerke mit Haus und Hof und zerschlug das Unternehmen. „Der Wille, ein Unternehmen zu führen, war vom ersten Tag an nicht vorhanden“, sagt der damalige Betriebsrat Behr. Es war wohl eher der Versuch, „sich ein bisschen zu bereichern“.

Der dritte Investor dann habe dringend benötigtes Kapital abgezogen und in andere Unternehmen gesteckt, sagt Behr. Die Kreditaufnahme ging bis zur letzten Schraube, am Ende hatten die Hüttenwerke nicht einmal mehr genug Geld für den Betrieb.

2018 wollte keiner mehr an Rettung glauben

Und so mochte 2018 niemand mehr so recht an eine erneute Rettung glauben, sagt Eppli. Kein Insolvenzverwalter, keine Bank, nicht einmal der Staat wollte retten. Die Königsbronner waren verzweifelt, ihre Kunden auch. „Wir sind mit Tränen in den Augen aus dem Büro gegangen, als wir das Werk geschlossen haben“, sagt Eppli. In diesem Moment habe sein Handy geklingelt, erzählt er. „Die ersten Kunden riefen aus dem Ausland an und fragten verzweifelt, was sie mit ihren Maschinen machen sollten. Das ging den ganzen Tag so.“ Eppli selbst hatte keine Antwort für die Kunden.

Was passiert mit den Papiermaschinen dieser Welt, wenn die Lieferquelle für 80 Prozent aller Kalanderwalzen versiegt? Übrig bliebe ein einziger anderer Hersteller, der den gesamten Weltbedarf wohl kaum decken könnte.

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Doch dann folgte das „Wunder von Königsbronn“. Und wie schon bei der Gründung Jahrhunderte vorher spielte ein Wirt dabei die entscheidende Rolle. Beim Abschiedstrunk im Werk kam der Betriebsratsvorsitzende Fred Behr mit dem örtlichen Kneipenwirt Andi Meyer ins Gespräch, einem gelernten Betriebswirtschaftler mit einem Faible für Zahlen. Meyer habe den Betrieb gut gekannt, erzählt Behr, schließlich waren viele der Arbeiter gern gesehene Gäste in seiner Kneipe. Meyer glaubte an die Rettung der Hüttenwerke und tüftelte mit Behr und Eppli einen Businessplan aus, der die Firma One Square tatsächlich überzeugte. Das Beratungsunternehmen ist spezialisiert auf besonders schwierige Unternehmenslagen und sprang als Retter in letzter Sekunde ein.

Konzentration auf Kalanderwalzen

Die Leute von One Square brachten zwar kein Geld ins Unternehmen, aber sie helfen den Hüttenwerken, einen Fahrplan aus dem finanziellen Sumpf zu entwickeln. Die defizitären Unternehmensbereiche wurden abgestoßen, seit dem Neustart 2019 konzentrieren sich die Hüttenwerke Königsbronn voll auf die profitablen Kalanderwalzen. „Das gesamte Unternehmen wird seitdem aus dem operativen Ergebnis finanziert“, sagt Geschäftsführer Heiko Hesemann. Löhne, Sozialabgaben, Mieten, alles wird direkt vom Konto bezahlt, kein Cent durfte überzogen werden.

Erst seit kurzem gewährt die Bank wieder einen kleine Kontokorrentlinie, also einen finanziellen Spielraum unter der Nulllinie. „Das funktioniert nur, weil unsere Kunden hohe Anzahlungen auf unsere Produkte leisten“, sagt Hesemann. „Als die Leute von One Square die Vorkasse vorschlugen, hielt ich sie für verrückt“, sagt Vertriebsleiter Eppli. Doch die Kunden haben sich auf die ungewöhnliche Praxis eingelassen, was zeigt, wie wichtig ihnen die Kalanderwalzen aus Königsbronn sind.



Auch die gestiegenen Rohstoffpreise und Energiekosten fangen die Kunden für die Hüttenwerke Königsbronn auf. Hesemann hat den „MELZ“-Zuschlag entwickelt, der sich aus Material-, Energie- und Legierungskosten zusammensetzt. Das Unternehmen verhandelt jeden Auftrag individuell mit den Kunden und zeigt ihnen transparent auf, welche Mehrkosten durch die gestiegenen Preise in der Produktion entstehen. Die Gießerei mit den riesigen Schmelzöfen verbrauche jährlich zehn Millionen Kilowattstunden Strom und schlucke tonnenweise Rohstoffe. „Wegen der Insolvenz haben wir derzeit auch keinen festen Stromvertrag, sondern müssen den Strom auf dem Spotmarkt einkaufen“, sagt Hesemann. Ein Graus ist das in Sachen Planungssicherheit, der Strompreis am Spotmarkt schwankt im Viertelstundentakt. Im vergangenen Jahr seien die Produktionskosten wegen der Rohstoff- und Energiepreise um rund 3,5 Millionen Euro gestiegen.

In der Spitze 46 Cent Strompreis

Und so hoffen die Königsbronner nun, dass der staatlich garantierte Industriestrompreis tatsächlich kommt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will den Strompreis für Großverbraucher damit befristet bis 2030 auf sechs Cent pro Kilowattstunde senken. Zum Vergleich: Die Hüttenwerke Königsbronn zahlten in Spitzenzeiten im Jahr 2022 einen durchschnittlichen Arbeitspreis von fast 46 Cent, derzeit seien es rund 14 Cent, sagt Hüttenwerke-Geschäftsführer Hesemann. Nach den Berechnungen aus Habecks Ministerium könnte der subventionierte Industriestrompreis den Steuerzahler rund 25 bis 30 Milliarden Euro kosten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat sich klar gegen Habecks Vorschlag positioniert, auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte Vorbehalte.

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Noch wichtiger als die Subvention aber ist für die Hüttenwerke: Sie sind anders als in der Vergangenheit heute nicht mehr abhängig von solchen externen Einflüssen. Mit dem „MELZ“-Zuschlag haben sie einen Weg gefunden, die Kosten an ihre Kunden weiterzugeben. Die Königsbronner gießen ihre Kalanderwalzen weiter und erholen sich mitten in der Krise von ihrer letzten Nahtoderfahrung. Die aktuellen Geschäftszahlen und volle Auftragsbücher lassen Hesemann, Eppli und Behr jedenfalls optimistisch in die Zukunft blicken.

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