Würth-Betriebsratswahl „Sonst läuft das aus dem Ruder“

Würth-Mitarbeiter in Künzelsau Quelle: dpa

Zeitenwende beim Werkzeug- und Schraubenhersteller Würth: Erstmals können die Angestellten einen Betriebsrat wählen. Warum erst jetzt – und was sagt Reinhold Würth? Fragen an einen Kandidaten.

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Nach 36 Jahren ist es soweit: Die rund 7.200 Angestellten der Adolf Würth GmbH im baden-württembergischen Künzelsau konnten am Mittwoch erstmals einen Betriebsrat wählen. Die Firma ist Spezialist für Schrauben und Dübel, Werkzeuge und Baubeschläge. Im vergangenen Jahr setzte das Unternehmen rund 2 Milliarden Euro um. Die GmbH ist Bestandteil, manche sagen auch: Kerngesellschaft und Flaggschiff der übergeordneten Würth-Gruppe, die vergangenes Jahr mit rund 77.000 Angestellten 13,6 Milliarden Euro erwirtschaftete.

Für die erste Betriebsratswahl haben sich 190 Mitarbeiter aufstellen lassen. Der künftige Betriebsrat soll 35 Mitarbeiter haben. Bislang wurden die Mitarbeiter durch einen Vertrauensrat vertreten. Von dessen 31 Mitgliedern stellen sich 30 nun zur Wahl für den Betriebsrat. Jürgen Daffner (41) arbeitet seit 20 Jahren für die Adolf Würth GmbH, aktuell im Außendienst: Er verkauft Maschinen, Dübel, Schrauben, Werkzeuge, Helme und Arbeitskleidung an Baufirmen. Seit 25 Jahren ist er IG-Metall-Mitglied. 

Update: Am Abend des Donnerstags, 10. Oktober 2019, steht fest: Jürgen Daffner ist in den Würth-Betriebsrat gewählt worden. Das Interview fand vor der Wahl statt.

Herr Daffner, Sie treten zur ersten Betriebsratswahl bei der Adolf Würth GmbH an. Fühlen Sie sich als Teil eines historischen Vorgangs?
Einerseits schon, weil so eine große Firma noch nie einen Betriebsrat hatte. Es ist ein sehr wichtiges Zeichen: Die Kollegen von Würth Österreich schauen genau hin und wollen das bei sich jetzt auch anstoßen. Aber andererseits ist historisch so ein großes Wort, so hoch würde ich‘s vielleicht nicht hängen. Eine Betriebsratswahl ist ja eigentlich ein ganz normaler Vorgang.

Bei Würth offenbar nicht. Bisher wurden die rund 7.200 Mitarbeiter von einem sogenannten Vertrauensrat vertreten. Ist der Unterschied zu einem Betriebsrat so groß?
Ja. Die rechtliche Grundlage eines Vertrauensrats fehlt komplett, die ist mit einem Betriebsrat nun gegeben. Der Vertrauensrat wurde vor Jahren von der Firma eingesetzt, darf aber rechtlich keine Entscheidungen treffen.

Zum Beispiel?
Die Arbeits- und Bürozeiten gibt die Firma so vor. Der Vertrauensrat konnte nie etwas dagegen tun, das war so beschlossen. Fertig.

Das Unternehmen hat darauf hingewiesen, dass es in fast allen der 130 deutschen Gesellschaften der Würth-Gruppe eine Mitarbeitervertretung gebe, zum Teil auch Betriebsräte etwa in übernommenen Firmen. Bei Würth Elektronik wurde 2016 ein Betriebsrat gewählt. Warum dauerte es so lange, bis die Belegschaft in der Zentrale nun zum Zug kommt?
Bis jetzt war der Großteil hier ganz einfach der Meinung, dass es keinen Betriebsrat braucht. Es gab keine größeren Probleme. Viele Dinge sind hier gut gelaufen. Wir werden anständig bezahlt, die Arbeitskultur ist herausragend, das muss man auch mal sagen.

Aber?
Aber jetzt ist ein Umbruch da: Das Unternehmen wird umstrukturiert, wir haben neue Geschäftsführer bekommen, der Gründer und Mitinhaber Reinhold Würth denkt an Rückzug, was man ihm nach über 70 Jahren Tätigkeit auch nicht verübeln kann. All diese Neuerungen haben bei Teilen der Belegschaft zu einer gewissen Unsicherheit geführt. Alles was neu ist, ist ungewiss. Viele Mitarbeiter sind ein bisschen skeptisch, ob alles so weitergeht wie bisher.

Nach Angaben des Unternehmens unterstützt Eigentümer Reinhold Würth den Betriebsrat. Wie ist Ihre Erfahrung?
Ich halte das schon für glaubhaft. Für mich ist der Chef der Chef. In meiner Zeit bei Würth hat er jedenfalls immer die schützende Hand über die Firma und die Mitarbeiter gehalten. Er ist für die Mitarbeiter da. Und wenn er weg ist, wissen wir eben nicht genau, wie es weitergeht. Aber zur Wahrheit gehört auch: Keine Firma will gerne einen Betriebsrat haben. Da ist die Firma Würth keine Ausnahme.

Reinhold Würth hat aus einer Schraubenhandlung einen Weltkonzern geformt. Die Unternehmerlegende über Leidenschaft, Arroganz, Innovation – und über den Wert des Handschlags als Symbol des Vertrauens.
von Kristin Rau

Was erhoffen Sie sich vom Betriebsrat?
Der muss schon wirken. Es gilt, die angesprochenen Umstrukturierungen kritisch zu begleiten. Derzeit werden etwa im Vertrieb die Verkaufsgebiete und Kundenstämme neu zugeordnet und eingeteilt. Da muss der künftige Betriebsrat ein Auge draufhaben, sonst läuft das aus dem Ruder. Die Mitarbeiter dürfen hinterher nicht schlechter dastehen als vorher. Wenn Verkäufern Kunden weggenommen werden, die sie sich jahrelang aufgebaut haben, um die sie sich jahrelang kümmern, ist das natürlich nicht fair. Ich bin grundsätzlich nicht gegen die Umstrukturierungen, das sind ja normale Vorgänge. Nur müssen die Mitarbeiter von Anfang an gut informiert sein. Das war hier nicht der Fall.

Uwe Bauer, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schwäbisch Hall, sieht Schwierigkeiten bei Würth etwa bei den Arbeitszeiten, Pausen und beim Kündigungsschutz für ältere Mitarbeiter in der Logistik.
Bei der Arbeitszeit kann ich als Außendienstler mitreden. Manchmal werden Konferenzen in die Freizeit verlegt, Schulungen finden teilweise am Wochenende statt, obwohl es vermeidbar wäre. So etwas muss nicht sein. Klar, unsere Regelarbeitszeit von 8 bis 17 Uhr ist oft nicht einzuhalten, weil Mehrarbeit einfach da ist. Das geht bestimmt auch anders. Würth betreibt fast 600 Shops in Deutschland, zum Teil werden die nur von einem einzigen Mitarbeiter besetzt. Bei Wochenöffnungszeiten der Shops von in der Regel 49 Stunden hat dieser Mitarbeiter dann gar keine Pause. Auch das muss sich ändern.

Die Betriebsratsinitiative des AfD-Mitglieds und zwischenzeitlich gekündigten Würth-Mitarbeiters Daniel Hurlebaus erweckte den Eindruck, als brauche es die AfD, um bei Würth einen Betriebsrat wählen zu lassen.
Herr Hurlebaus stellt sich hin als der Initiator dieser Betriebsratswahl, aber ich weiß ziemlich sicher, dass einer meiner Kollegen schon vor ihm bei der Würth-Geschäftsführung war und eine Betriebsratswahl angesprochen hat. Hurlebaus hat es nur beschleunigt, weil er das Thema medial präsent gemacht hat. Grundsätzlich ist mir eine Parteiangehörigkeit egal, solange es sich um eine demokratisch gewählte Partei handelt. Andererseits: Sobald ich merke, dass jemand anfängt, undemokratisches Gedankengut verbreiten zu wollen statt für die Mitarbeiter einzutreten, bin ich dagegen. Seine Kündigung ist im Übrigen ein schwebendes Verfahren, das erst nach der Wahl entschieden wird.

Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?
Ich war nie im Würth-Vertrauensrat. Aber ich glaube, mit der IG Metall haben wir ein relativ gutes Zugpferd, einen starken Partner. Ich bin auf Listenplatz 4. Das sollte gelingen.

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