10 Jahre nach der Pleite Die wundersame Wiederauferstehung von Märklin und Schiesser

Seite 2/2

Neue Kreativität durch den Schock der Pleite

Ähnlich erfolgreich verlief die Rettungsmission bei einer weiteren deutschen Traditionsfirma, deren Management ebenfalls vor zehn Jahren den Gang zum Insolvenzgericht antrat. Am 9. Februar 2009 – nur wenige Tage nach Märklin – stellte der Wäschehersteller Schiesser aus Radolfzell am Bodensee Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

Gleich mehrere Probleme waren dem Unternehmen mit damals 2300 Mitarbeitern zum Verhängnis geworden. Lange gehörten die Feinripp-Unterhosen und Hemden von Schiesser zu den bekannten deutschen Marken. Nachdem die weißen "Liebestöter“ zwischenzeitlich als Synonym von deutscher Spießigkeit galten, setzte das Unternehmen 2003 bewusst auf seine Tradition und brachte die Reihe „Schiesser Revival“ auf den Markt. Doch auch die Kollektion mit Namen wie „Karl Heinz“, „Franz“ oder „Veronika" brachten keinen durchschlagenden Erfolg. Die Umsätze gingen immer weiter zurück. Hatte das Unternehmen den 1990er Jahren nach Zukäufen im Ausland bis zu 285 Millionen Euro umgesetzt, waren es 2008 nur noch rund 130 Millionen Euro. Zudem bescherte das Geschäft mit Lizenzen, bei dem Hersteller ihre Produkte für andere Marken hergeben, Schiesser hohe Verluste: Die Lizenzfertigung für Marken wie Puma oder Tommy Hilfiger lohnte sich schlicht nicht. Hinzu kam die Kreditklemme in der Finanzkrise.

Zum Insolvenzverwalter der deutschen Schiesser AG wurde der Stuttgarter Rechtsanwalt Volker Grub bestellt. Auch Grub galt schon vor seinem Schiesser-Einsatz als einer der erfahrensten Sanierer des Landes und wurde seinem Ruf bei dem Wäschehersteller gerecht. Innerhalb kürzester Zeit brachte er die Firma auf Vordermann. Er kündigte die defizitären Lizenzverträge, lichtete das Firmendickicht, reduzierte die Belegschaft auf 1900 Mitarbeiter und ordnete die Logistik neu. Auch das Sortiment wurde gestrafft, die Kosten sanken und die Umsätze stiegen. Im Nachhinein scheint es fast so, als habe das Traditionsunternehmen den Schock der Pleite gebraucht, um wieder Kreativität zu entwickeln.

Nach gut anderthalb Jahren galt das Unternehmen als saniert, 2012 wurde ein Börsengang abgesagt und der israelische Konzern Delta Galil übernahm die Firma. Mit dem Geld aus dem Verkauf konnten alle Gläubigerforderungen aus dem Insolvenzplan befriedigt werden.

Seitdem geht es mit Schiesser bergauf. Dabei ist das Umfeld nicht gerade einfach. „Der Markt für Wäsche war in den vergangenen Jahren relativ stabil, 2018 eher leicht rückläufig“, sagte Richard Federowski von der Unternehmensberatung Roland Berger der Nachrichtenagentur dpa. „Mode als Differenzierungsmerkmal funktioniert nicht mehr wie früher.“ Unterwäsche hat es da noch einmal schwerer. Denn was drunter getragen wird, sieht man nicht.

Hinzu kommt neue Konkurrenz: „Große vertikale Modeketten wie H&M oder Primark haben viele klassische Wäschelieferanten teilweise ersetzt“, sagt Federowski. Die verlangen niedrigere Preise und sind oft moderner als die klassischen Hersteller. Heute verkauft Schiesser Lizenzen nur noch an ausgewählte Marken wie den Hemdenhersteller Seidensticker oder Lacoste und setzt auf eigene Läden.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%