
WirtschaftsWoche: Herr Krämer, nachdem die britische Premierministerin Theresa May den vollständigen Austritt aus dem Europäischen Wirtschaftsraum angekündigt hat, sind Hoffnungen, Großbritannien wolle eine Zugehörigkeit ähnlich wie Norwegen – als „EWR-light“ - nicht mehr realistisch. Dann wären die britischen Beteiligungen deutscher Unternehmen nicht mehr durch die EU-Grundfreiheiten steuerlich besser gestellt. Was sind die Konsequenzen?
Matthias Krämer: Damit entfällt für manche betriebswirtschaftlich begründete Unternehmensentscheidung die Geschäftsgrundlage. So können zum Beispiel zukünftig Gewinne von UK-Tochtergesellschaften nicht mehr steuerfrei nach Deutschland ausgeschüttet werden, wo sie zumeist nur noch einer Besteuerung von rund 1,6 Prozent unterliegen.
Was wird stattdessen fällig?
Der britische Fiskus erhebt eine Quellensteuer von 5 Prozent. Diese Steuer ist endgültig, kann also nicht mit deutschen Steuern verrechnet werden und ist damit eine betriebswirtschaftlich voll wirksame Mehrbelastung.
Angenommen, die britische Regierung erließe zwecks Förderung der heimischen Wirtschaft neue Gesetze gegenüber Ausländern. Wäre das die Lösung?
Auch nicht wirklich, denn das würde jedenfalls nicht für Dividendenausschüttungen aus Deutschland gelten. Deutschland hat kein Interesse, auf die doppelbesteuerungsrechtlich festgeschriebenen Quellensteuer zu verzichten und wird sie auf Ausschüttungen deutscher Tochtergesellschaften britischer Mutterunternehmen erheben.
Welche deutschen Branchen der Brexit treffen könnte
Jedes fünfte aus Deutschland exportierte Auto geht laut Branchenverband VDA ins Vereinigte Königreich. Präsident Matthias Wissmann warnte daher vor Zöllen, die den Warenverkehr verteuerten. BMW etwa verkaufte in Großbritannien 2015 rund 236 000 Autos - über 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Mercedes waren es 8 Prozent, bei VW 6 Prozent. BMW und VW haben auf der Insel zudem Fabriken für ihre Töchter Mini und Bentley. Von „deutlich geringeren Verkäufen“ in Großbritannien nach dem Brexit-Votum berichtete bereits Opel. Der Hersteller rechnet wegen des Entscheids 2016 nicht mehr mit der angepeilten Rückkehr in die schwarzen Zahlen.
Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien der viertwichtigste Auslandsmarkt nach den USA, China und Frankreich. 2015 gingen Maschinen im Wert von 7,2 Milliarden Euro auf die Insel. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte weniger gut. In den ersten zehn Monaten 2016 stiegen die Exporte nach Großbritannien dem Branchenverband VDMA zufolge um 1,8 Prozent gemessen am Vorjahr. 2015 waren sie aber noch um 5,8 Prozent binnen Jahresfrist gewachsen. Mit dem Brexit sei ein weiteres Konjunkturrisiko für den Maschinenbau dazugekommen, sagte VDMA-Präsident Carl Martin Welcker im Dezember.
Die Unternehmen fürchten schlechtere Geschäfte wegen des Brexits. Der Entscheid habe bewirkt, dass sich das Investitions- und Konsumklima in Großbritannien verschlechtert habe, sagte jüngst Kurt Bock, Präsident des Branchenverbands VCI. Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien ein wichtiger Abnehmer gerade von Pharmazeutika und Spezialchemikalien. 2016 exportierten sie Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich, rund 7,3 Prozent ihrer Gesamtexporte.
Für Elektroprodukte „Made in Germany“ ist Großbritannien der viertgrößte Abnehmer weltweit. 2015 exportierten deutsche Hersteller laut Branchenverband ZVEI Waren im Wert von 9,9 Milliarden Euro in das Land, 9,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich nicht mehr so gut. Nach zehn Monaten verzeichnet der Verband ein Plus bei den Elektroausfuhren von 1,7 Prozent gemessen am Vorjahr. Grund für die Eintrübung seien nicht zuletzt Wechselkurseffekte wegen des schwachen Pfunds, sagte Andreas Gontermann, Chefvolkswirt des ZVEI.
Banken brauchen für Dienstleistungen in der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Mit dem Brexit werden Barrieren befürchtet. Deutsche Geldhäuser beschäftigten zudem Tausende Banker in London, gerade im Investmentbanking. Die Deutsche Bank glaubt indes nicht, dass sie ihre Struktur in Großbritannien „kurzfristig wesentlich“ ändern muss. Die Commerzbank hat ihr Investmentbanking in London schon stark gekürzt. Um viel geht es für die Deutsche Börse. Sie will sich mit dem Londoner Konkurrenten LSE zusammenschließen. Der Brexit macht das Projekt noch komplizierter.
Könnte es auch rückwirkend noch böse Überraschungen für deutsche Unternehmer geben?
Es wird häufig übersehen, dass es auch zu einer Nachversteuerung bereits abgeschlossener Unternehmensumstrukturierungen kommen kann. EWR-Länder wie UK profitieren am EU-Binnenmarkt auch dadurch, dass die Verlagerung von Unternehmensteilen in ihr Land je nach Gestaltung entweder komplett steuerfrei war oder zum Beispiel die deutsche Besteuerung auf fünf Jahre verteilt werden konnte. Mit dem Brexit ist Großbritannien aber plötzlich ein Drittstaat und die Voraussetzungen entfallen. Damit tritt sofort die volle Besteuerung ein.
Worauf kleine Mittelständler beim Gang ins Ausland achten sollten
Jeder träumt von China - aber nicht für jedes Produkt passt der Massenmarkt, den die Deutschen gern bedienen. Oft reicht es, Nischenprodukte weiter zu exportieren. Konzerne müssen Trends mitgehen, die Kleinen nicht zwingend.
Gewerbeparks aus der zweiten Reihe kämpfen oft um Investoren, indem sie beim Papierkram helfen und Steuern senken. Wer vergleicht, spart Geld.
Auf Konferenzen treffen Unternehmer auf Praktiker mit Erfahrung in fremden Märkten. Ihr Wissen hilft, die Chancen und Risiken des Markteintritts richtig einzuschätzen.
Selbst wenn die Marktaussichten noch so rosig sind: Unvorhersehbare Kosten sind bei der Expansion ins Ausland ganz normal und sollten eingeplant werden.
Jeder Gang ins Ausland braucht Planung. Man muss Leute finden, Informationen sammeln, Papierkram bewältigen - und sollte sich Zeit nehmen, auch wenn die Konkurrenz schon da ist.
Was heißt das konkret?
Wird beispielsweise im Jahr 2017 ein Patent auf eine UK-Gesellschaft übertragen, mit dem das Unternehmen im Jahr eine Million Euro Gewinn bei einer Restlaufzeit von 15 Jahren gemacht hat, dann werden im Jahr 2019 – dem Jahr des angepeilten Brexits – rund 2,9 Millionen Euro deutsche Steuern fällig. Sie wären sonst erst über die nächsten Jahre verteilt angefallen und belasten nun sofort die Liquidität.
Und was bedeutet der Brexit für Firmen, die mit Unternehmensteilen oder dem kompletten Sitz nach Großbritannien übersiedelnd oder dort fusionieren wollen oder bereits haben?
Das wird noch gravierender: Konnte bislang davon ausgegangen werden, dass diese Transaktion ohne Besteuerung abgewickelt werden kann, kann es nun zu einer einmaligen Nacherhebung von bis zu rund 220% des jährlichen Unternehmensgewinns kommen!
Die innovativsten deutschen Mittelständler
Lamilux
Hauptsitz: Rehau (BY)
Produkt: Lichttechnologie
Umsatz: 187 Mio Euro
Innovationsscore: 169
Windmöller Holding
Hauptsitz: Augustdorf (NRW)
Produkt: Bodenbeläge
Umsatz: 120 Mio Euro
Innovationsscore: 170
Maja-Maschinenfabrik
Hauptsitz: Kehl (BW)
Produkt: Lebensmittelverarbeitung
Umsatz: 23 Mio Euro
Innovationsscore: 171
Mekra Lang
Hauptsitz: Ergersheim (BY)
Produkt: Spiegel für Nutzfahrzeuge
Umsatz: 260 Mio Euro
Innovationsscore: 172
Brandt Zwieback
Hauptsitz: Hagen (NRW)
Produkt: Zwieback
Umsatz: 189 Mio Euro
Innovationsscore: 175
Edelmann
Hauptsitz: Heidenheim (BW)
Produkt: Verpackungslösungen
Umsatz: 235 Mio Euro
Innovationsscore: 177
Insiders Technologies
Hauptsitz: Kaiserslautern (RP)
Produkt: Software
Umsatz: 18 Mio Euro
Innovationsscore: 178
Arburg
Hauptsitz: Loßburg (BW)
Produkt: Spritzgießmaschinen
Umsatz: 548 Mio Euro
Innovationsscore: 181
Fischerwerke
Hauptsitz: Waldachtal (BW)
Produkt: Befestigungssysteme
Umsatz: 625 Mio Euro
Innovationsscore: 185
Aquatherm
Hauptsitz: Attendorn (NRW)
Produkt: Rohrleitungssysteme
Umsatz: 91 Mio Euro
Innovationsscore: 182
C. Josef Lamy
Hauptsitz: Heidelberg (BW)
Produkt: Schreibgeräte
Umsatz: 71 Mio Euro
Innovationsscore: 186
Leica Camera
Hauptsitz: Wetzlar (HE)
Produkt: Kameras
Umsatz: 276 Mio Euro
Innovationsscore: 189
Gebr. Kemper
Hauptsitz: Olpe (NRW)
Produkt: Gebäudetechnik
Umsatz: 270 Mio Euro
Innovationsscore: 190
Bahlsen
Hauptsitz: Hannover (NI)
Produkt: Süßgebäck
Umsatz: 515 Mio. Euro
Innovationsscore: 194
Rimowa
Hauptsitz: Köln (NRW)
Produkt: Koffer
Umsatz: 273 Mio. Euro
Innovationsscore: 197
Wer zu Deutschlands innovativsten Mittelständlern gehören will, muss ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen. Die Münchner Unternehmensberatung Munich Strategy Group (MSG) wertete im Auftrag der WirtschaftsWoche zunächst die Daten von 3500 deutschen Unternehmen aus, die zwischen zehn Millionen und einer Milliarde Euro Umsatz erwirtschaften: Sie analysierten Jahresabschlüsse und Präsentationen, sprachen mit Kunden, Branchenexperten, Geschäftsführern, Inhabern und Beiräten. Danach nahm MSG 400 Unternehmen in die engere Wahl. Für jedes einzelne errechneten die Berater einen eigenen Innovationsscore. „Dabei achten wir darauf, dass sich das Unternehmen durch ständige Neuerungen auszeichnet, von Wettbewerbern als innovativ angesehen wird und eine ideenfördernde Kultur etabliert hat“, erklärt MSG-Gründer und Studienleiter Sebastian Theopold die Kriterien. Zudem flossen auch wirtschaftliche Indikatoren wie Umsatzwachstum und Ertragskraft in die Bewertung ein. Theopolds Fazit: „Wer innovativ ist, wächst auch schneller und erzielt nachhaltigere Erträge.“ Die MSG-Berater analysierten bereits um dritten Mal für die WirtschaftsWoche die Innovationskraft deutscher Mittelständler (Heft 15/2014 und Heft 42/2015). Während beim ersten Ranking noch Maschinenbauer dominierten, sind nun mehr Konsumgüterhersteller unter den Siegern. Die meisten innovativen Unternehmen kommen aus Baden-Württemberg. Den ersten Platz belegt der Kölner Kofferhersteller Rimowa. Rang zwei nimmt der Keksbäcker Bahlsen ein. „Die beiden Vertreter der ,Old Economy’ sind Vorreiter bei der Digitalisierung“, sagt Studienleiter Theopold.
Was tun?
Unternehmen sollten überprüfen, ob sie in den letzten Jahren solche Überführungen von Unternehmensvermögen vorgenommen haben. Falls ja, sollten sie erwägen, vor Wirksamkeit des Brexits eine Repatriierung vorzunehmen. Oder man richtet seine Hoffnung darauf, dass der deutsche Finanzminister Milde walten lässt – wie immer die dann aussieht.
Könnte auch die EU Milde walten lassen?
Dafür müsste die EU den Briten steuerlich einen privilegierten Status zuerkennen, etwa wie anderen EWR-Staaten wie Norwegen, Island, Liechtenstein. Oder der deutsche Fiskus setzt unilateral im Bereich der Ertragsteuern so genannte Vertrauensschutz-Regeln in Kraft, zum Beispiel in dem trotz Brexit keine Steuerentstrickung unterstellt wird. Allerdings würde dies Überwachungsmöglichkeiten voraussetzen.