Frauen in Führungspositionen „Wir müssen es doch erzwingen!“

Quelle: Getty Images

Ob börsennotierter Konzern oder familiengeführtes Kleinunternehmen: Auch 2023 sind Frauen in Führungspositionen die Ausnahme. Eine Konzernmanagerin und eine Mittelstandsunternehmerin erzählen von ihren Erfahrungen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:


Was ist nicht alles unternommen worden in Deutschland, um mehr Frauen in wirtschaftliche Führungspositionen zu verhelfen: Aktionswochen hier, gewerkschaftliche Initiativen dort, Appelle und Diskussionsrunden allenthalben. Seit August 2021 ist sogar ein Gesetz in Kraft, das zumindest in börsennotierten Unternehmen mehr Frauen in Führungspositionen befördern soll – per Quote. Allein: Es bewegt sich wenig. Zu diesem Schluss muss zumindest kommen, wer sich die Zahlen anschaut.

Nach wie vor sind Chefinnen oder weibliche Vorstandsmitglieder eine Ausnahme in Deutschland. So wie Eva van Pelt, die seit 2019 Co-Chefin des Hamburger Medizintechnikunternehmens Eppendorf ist. „Ich weiß nicht, woran es liegt, es ist faktisch nicht zu verstehen“, sagt van Pelt im WirtschaftsWoche-Podcast „Chefgespräch“. Natürlich würde sie sich viel mehr Kolleginnen wünschen in verantwortungsvollen Positionen; und sie tue auch alles dafür, diese Entwicklung zu fördern, „nicht nur im eigenen Unternehmen“.

Ähnlich äußert sich Melanie Baum, 38-jährige Geschäftsführerin des Maschinenbauunternehmens Baum Zerspanungstechnik mit Sitz in Marl: „In meinem Umfeld, der Industrie, sind die meisten aufgewachsen mit der Vorstellung: Die Mama war zu Hause und der Papa hat gearbeitet.“ Dieses Bild habe sich mit der Zeit glücklicherweise stark gewandelt. „Und ich fördere das in meinem Unternehmen ganz aktiv.“ Doch sowohl bei börsennotierten Konzernen wie Eppendorf, als auch bei familiengeführten Mittelständlern wie Baum ist der Weg noch weit. Eva van Pelt sagt: „Es fühlt sich manchmal ein bisschen einsam an.“

Es gibt gleich mehrere Messungen und Berechnungen zum Thema, mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Abgrenzungen; aber alle ähneln sich in der Tendenz. Das Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsunternehmen EY erkannte in einer vergangene Woche vorgestellten Analyse immerhin einen messbaren Effekt des erwähnten Quotengesetzes: Innerhalb von vier Jahren hat sich die Zahl der Top-Managerinnen bei börsennotierten Unternehmen in Deutschland etwa verdoppelt, schreibt EY. Untersucht wurden alle 160 Dax-, MDax-, SDax- und TecDax-Unternehmen. In diesen Konzernen arbeiteten zum Stichtag (1. Januar 2023) 109 Frauen in den Vorstandsgremien. Ihnen gegenüber standen 596 Männer. Der Frauenanteil lag also bei 15,5 Prozent. Das ist bescheiden. Aber: Vor vier Jahren lag dieser Anteil noch bei 7,9 Prozent.

Sieben Prozent der mittelständischen Maschinenbauer haben Chefinnen

Allerdings beschränkt sich diese Berechnung nur auf börsennotierte Unternehmen. Der Großteil der Firmen in Deutschland ist nicht an einer Börse gelistet: die Mittelständler, typischerweise in Familienbesitz. Auch mit Blick auf sie hat EY Nachforschungen angestellt – in seinem sogenannten „Mittelstandsbarometer“. Im April 2021 konstatierte das Beratungsunternehmen: 13 Prozent der von EY befragten Mittelständler hatten mindestens eine Frau in der obersten Führungsebene. Zwei Jahre zuvor lag dieser Wert bei 12 Prozent. „Die Karrierechancen für Frauen im deutschen Mittelstand steigen, aber nur in kleinen Schritten“, sagte EY-Partnerin Elfriede Eckl. Auch der Bundesverband des deutschen Mittelstands BVMW setzt sich mit seiner Initiative „Starke Frauen, starker Mittelstand“ für eine entsprechende Förderung ein. Verbandsvorsitzender Markus Jerger begründete: „Je mehr Frauen in den Unternehmen arbeiten, umso besser ist es erwiesenermaßen für unsere Volkswirtschaft.“

Eva van Pelt erzählt im Podcast, wie sie mit Mansplaining umgeht, was sie an den Niederländern besonders schätzt – und warum Sie ihren allerersten Job in England am liebsten gar nicht angetreten hätte.
von Varinia Bernau

Auch als die WirtschaftsWoche zusammen mit dem Lübecker Wirtschaftsinformationsanbieter Databyte im vergangenen Jahr die Zusammensetzung der Führungsebenen aller 509 deutschen Weltmarktführer analysierte, stand am Ende eine ernüchternd kleine Zahl: Nicht einmal fünf Prozent aller hiesigen Weltmarktführer werden von einer Frau geführt. Und bei dieser Quote waren bereits Firmen mitberücksichtigt, in denen mindestens eine Frau als gleichberechtigtes Mitglied einer mehrköpfigen Geschäftsführung firmiert (so wie Eva van Pelt bei Eppendorf).

Besonders in einer Branche ist der Männeranteil laut EY nach wie vor erdrückend: Nur sieben Prozent der mittelständischen Maschinenbauer in Deutschland beschäftigen laut EY weibliche Führungskräfte. Wie also hat Melanie Baum es geschafft? Kurz gesagt: durch Mut.

Ihr Vater hatte die Zerspanungstechnikfirma Baum in den 1980er Jahren gegründet. Nach ihrem Studium der Kulturwissenschaft, BWL und Soziologie an der TU Dortmund stieg die Tochter 2009, mit Mitte 20, in das Unternehmen ihres Vaters ein. Die Firma bearbeitet, dreht und fräst große Metallstücke zu Maschinenbauteilen, etwa für Abnehmer aus der Wasserstofftechnik und der chemischen Industrie. Bis zu 16 Tonnen wiegen die Einzelteile. Doch genau zu der Zeit ihres Einstiegs geriet das Unternehmen in die Weltwirtschaftskrise. Drei Jahre infolge schrieb Baum Verluste. 2016 entschied die Tochter, ihrem Vater die Firma abzukaufen und als Chefin fortan neu aufzustellen. Das gelang ihr: Heute beschäftigt Baum 60 Mitarbeiter, die im Jahr 6,5 Millionen Euro umsetzen. Das sind 1,5 Millionen Euro mehr als noch vor zehn Jahren.

Drei Frauen – und 47 Männer

In der Fertigung ihrer Firma arbeiten drei Frauen – und 47 Männer. Wie sind ihre Erfahrungen als Chefin in einer männerdominierten Branche? „Das Familienthema wird schon immer präsenter bei den Jüngeren.“ Sie selbst lebe es vor, als Mutter eines dreijährigen Sohnes. Zudem: „In viel zu vielen Unternehmen sitzen immer noch Geschäftsführer, die selbst das Konstrukt leben, dass die Frau zuhause bleibt.“ Aber bei Geschäftspartnern, die in ihrem Alter sind, merke sie in dieser Hinsicht eine ganz andere Denke. „Das ist im Kommen!“

Weil sie möchte, dass sich etwas ändert, berät Melanie Baum auch andere Mittelständler in Fragen der Nachfolgeregelung, zumeist Frauen. „In den Gesprächen ist das Wichtigste: ein Bewusstsein zu schaffen bei Frauen zum Selbstbewusstsein“, sagt sie. „Ich muss sie dazu animieren, authentisch zu sein.“ Zum Beispiel höre sie in diesen Gesprächen von Frauen häufig, sie wollten alles perfekt machen. „Ich weiß, das ist ein Frauenklassiker. Aber das beobachte ich ganz stark. Da sind Männer eher so: machen wir einfach mal. Die trauen sich einfach mehr zu.“ Baum ermuntere ihre Gesprächspartnerinnen dann: „Du bist doch super, so wie du bist. Und jetzt musst Du nur dazu stehen. Da sind wir gerade im Wandel. Ich sehe da eine positive Entwicklung.“

Für Eva van Pelt liegt der Schlüssel für einen höheren Frauenanteil in der ehrlichen Absicht – weniger bei den Unternehmerinnen und Managerinnern, als vielmehr bei den Unternehmen. „Mein Slogan ist: Wo ein Wille ist, ist eine Frau. Wenn ich möchte, dann finde ich eine.“ Sie verweist darauf, dass der Frauenanteil bei Akademikern inzwischen bei über 50 Prozent liege. Aus ihren Gesprächen weiß sie: „Viele wollen Karriere machen, manche straucheln aber immer noch an der Vereinbarkeit von Familie und Karriere.“

Sind also die politischen Rahmenbedingungen schuld? Im vergangenen Juni stimmte das Bundeskabinett einem europäischen Gesetz zu. Diese Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige sieht unter anderem vor, dass alle Arbeitgeber in Deutschland, unabhängig von der Größe, künftig begründen müssen, wenn sie einen Antrag auf flexible Arbeitsregelungen in der Elternzeit ablehnen. Ein vermeintlich kleiner, aber offenbar notwendiger Schritt. Melanie Baum berichtet: „Ich habe etliche Bewerber, die zu mir kommen möchten, weil sie in ihren derzeitigen Betrieben die gewünschte Elternzeit nicht so nehmen können. Das ist skandalös.“

In der Politik ist man offenbar bemüht. Die Bundesregierung startete jüngst einen weiteren Versuch zur Frauenförderung: Im vergangenen September lud das Bundeswirtschaftsministerium zum Start seiner Initiative „Frauen in Mittelstand, Handwerk, Gründungen und Start-ups“. Geleitet wird sie von Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin, sowie ihrem Kollegen Michael Kellner (beide: Bündnis 90/Die Grünen). Seitdem ist es jedoch ruhig geblieben um die Initiative. „Voraussichtlich Anfang 2023 soll der Aktionsplan der Öffentlichkeit vorgestellt werden“, heißt es ferner auf der Webseite des Ministeriums. Bundesfamilienministerin Paus (Grüne) hatte immerhin Ende November angekündigt, die geplante Regelung zum sogenannten Vaterschaftsurlaub in diesem Jahr gesetzlich zu verankern. Gemeint ist eine zweiwöchige Freistellung für beide Eltern nach der Geburt eines Kindes. Dies soll im Mutterschutzgesetz festgeschrieben werden und 2024 erstmals anwendbar sein.

Rezept zum Reichwerden? Das steckt hinter dem System von Deven Schuller

Ein selbsternannter Finanzexperte will seinen Kunden laut eigener Aussage dabei helfen, finanzielle Freiheit zu erreichen, und pflastert das Internet mit Werbung. Was steckt dahinter? Ein Selbstversuch.

Freiberufler-Report So viel verdienen Selbstständige in Deutschland

Zwei Euro mehr pro Stunde – und kaum noch ein Gender Pay Gap: Selbstständigen geht es auch in der aktuell schwierigen Lage recht gut. In welchen Bereichen sie am meisten verdienen.

Leistung Warum Manager es ihren Mitarbeitern nicht zu gemütlich machen sollten

Wenn sich Mitarbeiter sicher fühlen, bringen sie bessere Leistung. Das zumindest ist die Hoffnung. Tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Auch Melanie Baum kennt die politisch geformten Probleme nur allzu gut. Beispiel Einkommensunterschied. „Ich sehe in meinem Umfeld, dass viele Frauen sich gegen Führungspositionen entscheiden, weil der Einkommensunterschied in der Elternzeit zu groß ist zum Mann.“ Wenn der Mann, wie so oft, mehr verdient als die Frau, und das Elterngeld sich am durchschnittlichen Einkommen bemisst, wären viele Frauen finanziell benachteiligt, wenn der Mann den Hauptteil der Elternzeit nehmen würde. „Mir sagen viele Frauen: Wir würden 800 Euro weniger pro Monat haben, wenn mein Mann so viel Elternzeit nehmen würde“, erzählt Baum. „Das ist schlimm! Das führt meist dazu, dass eben die Frau ein oder zwei Jahre zu Hause bleibt. Und dann kommt sie oft in Teilzeit zurück. Es ist komplex.“ Wie ist es in ihrer eigenen Firma? Immerhin beschäftigt sie ja fast nur Männer. „Bei uns nehmen die Männer auch mehr als zwei Monate Elternzeit, auch mal ein Jahr. Manche arbeiten auch Teilzeit – da ist alles dabei. Das liegt viel mehr an der Generation als am Geschlecht.“

Eppendorf-Chefin Eva van Pelt gehört zwar einer anderen Generation an. Aber auch sie tritt dem Problem mangelnder Frauen mittlerweile mit Pragmatismus entgegen. Früher, erzählt sie im Podcast, sei sie keine Befürworterin der Frauenquote gewesen. Und heute? „Ich bin mittlerweile keine Quotengegnerin mehr“, sagt sie. Mit den Jahren sie sie zu der Auffassung gelangt: „Wir müssen es doch erzwingen!“

Jetzt reinhören: Eva van Pelt erzählt im Podcast Chefgespräch, wie sie mit Mansplaining umgeht, was sie an den Niederländern besonders schätzt – und warum Sie ihren allerersten Job in England am liebsten gar nicht angetreten hätte.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%