Die Industrie indessen wartet weiter auf eine Ratifizierung des Abkommens. Doch auch die Unternehmen wollen – trotz der grundsätzlichen Zustimmung – erst einige Punkte geklärt wissen. Etwa bei den Standards und Normen. „Wir müssen die amerikanische und deutsche Denkweise zusammenbringen“, sagt Rainer Hundsdörfer, Chef des Elektromotoren- und Ventilatorenherstellers ebmpapst aus Mulfingen. „Die Physik ist auf beiden Seiten des Atlantiks gleich, die Normen sind es aber leider nicht.“ Ein Beispiel: In Europa wird die Brennbarkeit von Materialien mit einem Glühdraht gemessen (EN60335-1), in den USA (nach UL1004-1) mit einer offenen Flamme.
Oder bestimmte Motor-Sicherungen in Haushaltsgeräten: sie werden in Europa geprüft, in den USA sind noch nicht einmal Sicherungen vorgeschrieben. Komponenten müssen teils doppelt gefertigt, Bedienungsanleitungen angepasst werden. Es bestehen oft keine einheitlichen Regelungen, was direkte Auswirkungen auf die Unternehmen hat: Die Zertifizierungskosten sind für deutsche Unternehmen in den USA enorm.
Fallen in Europa rund 8000 Euro für Zertifizierungen pro zehn Millionen Euro Umsatz an – obwohl mit VDE und CE zwei Normen eingehalten werden müssen –, sind es in den USA fast 45.000 Euro, rechnet Hundsdörfer vor. Die asiatischen Märkte liegen im Schnitt bei etwa 13.000 Euro. „Der bürokratische Aufwand ist enorm“, bestätigt Holger Paul, Sprecher des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). „In deutschen Unternehmen, die in den USA aktiv sind, ist einer von 500 Mitarbeitern einzig und allein mit der US-Bürokratie beschäftigt.“
Die hohen Zertifizierungskosten halten den ebmpapst-Chef davon ab, einige Produkte in den USA auf den Markt zu bringen. „Es gibt Produkte, die wir dort in kleinen Stückzahlen verkaufen könnten“, so Hundsdörfer. „Heute lohnt es sich aber wegen der enormen Kosten nicht. Einheitliche Standards durch TTIP können das ändern.“
Kritik der Umweltschützer an TTIP
Egal ob Creme, Lippenstift oder Mascara – in Europa müssen solche Produkte eine Zulassung überstehen, die es in den USA so einheitlich nicht gibt. Sicherheitstests erfolgten dort freiwillig, heißt es beim Sachverständigenrat. Sonnenmilch allerdings gelte in Amerika als Medikament und sei streng reguliert.
Die Europäer wollen geklonte Nutztiere und Klonfleisch verbieten, auch deren Import. In den USA gibt es dagegen kein einheitliches Verbot. Gentechnisch veränderte Tiere, etwa Lachse, die schneller wachsen, sind dort bereits zugelassen und im Handel. Eine besondere Kennzeichnung ist nicht vorgeschrieben.
Gentechnisch veränderte Pflanzen und Nahrungsmittel müssen in der EU zugelassen und später gekennzeichnet werden. Das gilt auch für Futtermittel. Einzelne Mitgliedsstaaten können seit 2015 auf ihrem Gebiet sogar einzelne gentechnisch veränderte Pflanzen verbieten. In den USA ist nicht nur die Zulassung großzügiger, gentechnisch veränderte Lebensmittel werden regelmäßig nicht kenntlich gemacht.
Pflanzenschutzmittel, die möglicherweise Krebs erregen oder vielleicht das Erbgut schädigen können in der EU erst gar nicht auf den Markt – anders als in den USA.
Die Verordnung REACH gilt mit als schärfstes Chemikaliengesetz weltweit. Darin wird ein Zulassungsverfahren, eine Risikobewertung und teils eine Beschränkung für Chemikalien von der Herstellung in der Fabrik bis zum buntgefärbten T-Shirt beim Endverbraucher festgeschrieben. In den USA gilt kein vergleichbares „Vorsorgeprinzip“ bei Chemieprodukten.
Ähnlich sieht das ZVEI-Sprecher Thorsten Meier: „Die USA sind für die deutsche Industrie von überragender Bedeutung, stabile Handelsbeziehungen sind sehr wichtig“, sagt er. Immerhin hängt hierzulande jeder vierte Job vom Export ab. Allerdings sagt er auch: „Wir sind für TTIP, aber nicht um jeden Preis.“
Wichtig sind für den Elektrotechnik- und Elektronikverband „faire und gerechte Marktzugangsbedingungen“. Eine Mitgliederbefragung habe ergeben, dass die deutschen Unternehmen internationale Standards befürworten, im Zuge von TTIP aber keine voreilige Anerkennung bestehender Normen wollen – die Unterschiede sind doch sehr groß.