Es waren klare Worte von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel: „Wenn die Regeln schlecht sind, dann ist es auch denkbar, dass die Verhandlungen scheitern. Das hängt sehr von den Amerikanern ab.“
Für Gabriel ist die Messlatte für gut oder schlecht das zwischen Kanada und der EU vorangetriebene CETA-Abkommen. Bewegen sich die Verhandlungen nicht in Richtung des von Gabriel angestrebten Ziels, könnte das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP scheitern, bevor es überhaupt in Kraft getreten ist.
Mit TTIP würde die größte Freihandelszone der Welt mit 800 Millionen Menschen entstehen. Durch den Wegfall von Zöllen und anderen Handelshemmnissen soll es auf beiden Seiten des Atlantiks mehr Wachstum geben, so die Befürworter.
In Europa befürchten TTIP-Kritiker, dass europäische Standards zum Beispiel beim Verbraucherschutz abgebaut werden. Frankreich und Deutschland pochen darauf, dass zentrale Forderungen erfüllt werden. So müssten EU-Unternehmen Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA erhalten, auch auf Ebene der US-Bundesstaaten. „Wenn sie die Märkte nicht öffnen wollen, brauchen wir auch kein Handelsabkommen“, sagte Gabriel.
Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken
Dieser Meinung ist jeder zweite Amerikaner – aber nur jeder fünfte Deutsche.
Hier sind sich die Deutschen und die Amerikaner nahezu einige: Jeweils jeder Fünfte glaubt das.
Dieser Ansicht sind zwölf Prozent der befragten Amerikaner und 61 Prozent der Deutschen.
Aus Sicht von immer größeren Teilen der Bevölkerung braucht es das Abkommen ohnehin nicht mehr. Die Zustimmung auf beiden Seiten des Atlantiks ist laut einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung in den vergangenen zwei Jahren deutlich geschwunden. Demnach lehnt jeder dritte Deutsche das geplante Abkommen zwischen der EU und den USA komplett ab. Nur knapp jeder fünfte Bundesbürger (17 Prozent) bewertet TTIP positiv. Etwa die Hälfte der Befragten äußerte sich weder klar dagegen noch dafür.
Bei einer Umfrage im Jahr 2014 Jahren sprach sich mit 55 Prozent noch mehr als die Hälfte der Deutschen für TTIP aus, nur jeder Vierte war dagegen. Bei den US-Bürgern wächst die Zustimmung zum Freihandel zwar generell an, das gilt aber nicht für TTIP. 2016 sind nur noch 15 Prozent dafür, 2014 lag der Zustimmungswert für TTIP noch bei mehr als 50 Prozent.
Am Wochenende dürfte die Debatte über die festgefressenen Verhandlungen wieder an Fahrt aufnehmen, wenn US-Präsident Barack Obama die Hannover Messe besucht. Unternehmen und Verbände erhoffen sich davon neue Impulse, wenn neben Obama und Kanzlerin Angela Merkel auch die Staats- und Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich und Italien zu einem Treffen zusammen kommen.
Für die einen ist das Freihandelsabkommen ein kostenloses Konjunkturprogramm, für die anderen ein unkalkulierbares Risiko, wenn fremden Normen und Zertifizierungen Tür und Tor geöffnet wird.
Die USA sind kein einfacher Markt
Fakt ist: Die USA sind der wichtigste Außenhandelspartner Deutschlands. Mit einem Volumen von 173 Milliarden Euro haben die USA im vergangenen Jahr sogar Frankreich überholt, das mit einer Ausnahme 1974 die Bilanz stets angeführt hatte.
Aber: Die USA sind auch kein einfacher Markt. Die Hürden für den Markteintritt sind hoch, ebenso die Bürokratiekosten. TTIP könnte dazu führen, dass kleine und mittelständische Unternehmen einfacheren Zugang zum US-Markt bekommen und ihre Produkte dort leichter verkaufen können. Zumindest die, die aufgrund ineffizienter Handelshemmnisse am Export in die USA gehindert werden. Große Unternehmen haben ganze Abteilungen, um Produkte an die regionalen Regularien anzupassen. Mittelständler haben jedoch oft nicht einmal eine lokale Fertigung in den USA. Der Aufwand – technisch und organisatorisch – ist ungleich höher.
Und alles andere als günstig. Wegen doppelter Zertifizierungen und unterschiedlichen Qualitätsstandards verteuern sich deutsche Waren im Maschinenbau durchschnittlich um rund 46 Prozent, in der Chemie sind es 30 und im Autobau 14.
Hoffnungen auf einen baldigen Abschluss der Verhandlungen sollten sich die Unternehmer aktuell aber nicht machen. Die ursprünglich mal für Ende 2014 und dann für Ende 2015 avisierte Einigung steht noch aus. „Insgesamt ist es wenig überraschend, dass die Verhandlungen deutlich länger dauern, als ursprünglich angekündigt“, sagt Hans Peter Grüner, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim und Außenhandelsexperte.
Aus seiner Sicht liegt das vor allem am intergouvernementalen System der Europäischen Union: Die Europäische Kommission verhandelt zwar im Auftrag aller 28 Mitgliedsstaaten. „Im Hintergrund des Verhandlungsprozesses muss die Europäische Kommission sich aber mit sämtlichen nationalen Regierungen abstimmen“, sagt Grüner. „Die Verhandlungsergebnisse müssen letztendlich für alle Mitglieder akzeptabel sein.“ Zugeständnisse in puncto Landwirtschaft könnten etwa die Zustimmung der Franzosen kosten, weil sie stärker betroffen wären als die Deutschen. Umgekehrt würden die Deutschen keine Zugeständnisse in Sachen Automobilindustrie zulassen. „Eine starke Zentralregierung kann besser mit solch asymmetrischen Verteilungseffekten umgehen“, so Grüner.
„Wenn die Verträge erst einmal ausgehandelt sind, bietet sich für jedes EU-Mitglied die Möglichkeit, ein Veto anzudrohen, um so in anderen Bereichen Zugeständnisse auf EU-Ebene zu erzwingen“, sagt Grüner. Die griechische Regierung etwa hat direkt nach ihrer Wahl im Januar 2015 angekündigt, das Abkommen nicht zu ratifizieren. Geht die Kommission in der Euro-Krise weiter auf Griechenland zu, könnte das wieder ganz anders aussehen.
Zertifizierungskosten halten vom Markteintritt ab
Die Industrie indessen wartet weiter auf eine Ratifizierung des Abkommens. Doch auch die Unternehmen wollen – trotz der grundsätzlichen Zustimmung – erst einige Punkte geklärt wissen. Etwa bei den Standards und Normen. „Wir müssen die amerikanische und deutsche Denkweise zusammenbringen“, sagt Rainer Hundsdörfer, Chef des Elektromotoren- und Ventilatorenherstellers ebmpapst aus Mulfingen. „Die Physik ist auf beiden Seiten des Atlantiks gleich, die Normen sind es aber leider nicht.“ Ein Beispiel: In Europa wird die Brennbarkeit von Materialien mit einem Glühdraht gemessen (EN60335-1), in den USA (nach UL1004-1) mit einer offenen Flamme.
Oder bestimmte Motor-Sicherungen in Haushaltsgeräten: sie werden in Europa geprüft, in den USA sind noch nicht einmal Sicherungen vorgeschrieben. Komponenten müssen teils doppelt gefertigt, Bedienungsanleitungen angepasst werden. Es bestehen oft keine einheitlichen Regelungen, was direkte Auswirkungen auf die Unternehmen hat: Die Zertifizierungskosten sind für deutsche Unternehmen in den USA enorm.
Fallen in Europa rund 8000 Euro für Zertifizierungen pro zehn Millionen Euro Umsatz an – obwohl mit VDE und CE zwei Normen eingehalten werden müssen –, sind es in den USA fast 45.000 Euro, rechnet Hundsdörfer vor. Die asiatischen Märkte liegen im Schnitt bei etwa 13.000 Euro. „Der bürokratische Aufwand ist enorm“, bestätigt Holger Paul, Sprecher des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). „In deutschen Unternehmen, die in den USA aktiv sind, ist einer von 500 Mitarbeitern einzig und allein mit der US-Bürokratie beschäftigt.“
Die hohen Zertifizierungskosten halten den ebmpapst-Chef davon ab, einige Produkte in den USA auf den Markt zu bringen. „Es gibt Produkte, die wir dort in kleinen Stückzahlen verkaufen könnten“, so Hundsdörfer. „Heute lohnt es sich aber wegen der enormen Kosten nicht. Einheitliche Standards durch TTIP können das ändern.“
Kritik der Umweltschützer an TTIP
Egal ob Creme, Lippenstift oder Mascara – in Europa müssen solche Produkte eine Zulassung überstehen, die es in den USA so einheitlich nicht gibt. Sicherheitstests erfolgten dort freiwillig, heißt es beim Sachverständigenrat. Sonnenmilch allerdings gelte in Amerika als Medikament und sei streng reguliert.
Die Europäer wollen geklonte Nutztiere und Klonfleisch verbieten, auch deren Import. In den USA gibt es dagegen kein einheitliches Verbot. Gentechnisch veränderte Tiere, etwa Lachse, die schneller wachsen, sind dort bereits zugelassen und im Handel. Eine besondere Kennzeichnung ist nicht vorgeschrieben.
Gentechnisch veränderte Pflanzen und Nahrungsmittel müssen in der EU zugelassen und später gekennzeichnet werden. Das gilt auch für Futtermittel. Einzelne Mitgliedsstaaten können seit 2015 auf ihrem Gebiet sogar einzelne gentechnisch veränderte Pflanzen verbieten. In den USA ist nicht nur die Zulassung großzügiger, gentechnisch veränderte Lebensmittel werden regelmäßig nicht kenntlich gemacht.
Pflanzenschutzmittel, die möglicherweise Krebs erregen oder vielleicht das Erbgut schädigen können in der EU erst gar nicht auf den Markt – anders als in den USA.
Die Verordnung REACH gilt mit als schärfstes Chemikaliengesetz weltweit. Darin wird ein Zulassungsverfahren, eine Risikobewertung und teils eine Beschränkung für Chemikalien von der Herstellung in der Fabrik bis zum buntgefärbten T-Shirt beim Endverbraucher festgeschrieben. In den USA gilt kein vergleichbares „Vorsorgeprinzip“ bei Chemieprodukten.
Ähnlich sieht das ZVEI-Sprecher Thorsten Meier: „Die USA sind für die deutsche Industrie von überragender Bedeutung, stabile Handelsbeziehungen sind sehr wichtig“, sagt er. Immerhin hängt hierzulande jeder vierte Job vom Export ab. Allerdings sagt er auch: „Wir sind für TTIP, aber nicht um jeden Preis.“
Wichtig sind für den Elektrotechnik- und Elektronikverband „faire und gerechte Marktzugangsbedingungen“. Eine Mitgliederbefragung habe ergeben, dass die deutschen Unternehmen internationale Standards befürworten, im Zuge von TTIP aber keine voreilige Anerkennung bestehender Normen wollen – die Unterschiede sind doch sehr groß.
Der Blick nach Asien
Angesichts stockender Verhandlungen kamen im Februar Überlegungen auf, das Maschinenbau-Kapitel von den Verhandlungen auszunehmen – aus Sicht der Unterhändler verständlich, für den VDMA aber ein schwerer Fehler. „Es wäre niemandem zu erklären, warum gerade der Maschinenbau als eine Kernindustrie Europas nicht umfänglich von TTIP profitieren soll“, sagt VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. „Wir fordern die EU-Kommission dazu auf, sich weiterhin für die mittelständische Industrie einzusetzen.“
Auch der weitere Verhandlungsprozess könnte durch das Ausklammern einzelner Bereiche weiter verkompliziert werden. „Interessengruppen, die von TTIP nicht profitieren, dürften sich dann zu Wort melden und fordern, dass ihr Bereich ebenfalls ausgeklammert wird“, sagt Grüner. „Das würde die Grundidee von TTIP ad absurdum führen.“ Das Ziel von TTIP sei es ja, in der Breite eine einheitliche Handelszone zu schaffen.
Sollte der Maschinenbau doch von den Verhandlungen ausgenommen werden, hieße das aber nicht, dass TTIP für die Branche ohne Bedeutung sei, schränkt Brodtmann ein. „Grundsätzliche Handels- und Zollerleichterungen helfen auch dem Maschinenbau, selbst wenn es keine gemeinsamen Normen geben würde.“ Die Zölle zwischen der EU und den USA sind im Maschinenbau zwar mit 2 bis 4,5 Prozent relativ gering.
Bei einem bilateralen Handelsvolumen von rund 50 Milliarden Euro entspräche eine Abschaffung der Zölle immerhin einer Entlastung von 200 Millionen Euro im Jahr. Bei einigen Unternehmen fallen etwa jährlich rund sieben Millionen Euro Dollar an Zöllen an, überwiegend für Teilelieferungen innerhalb der Unternehmensgruppe zwischen der amerikanischen Tochter und dem deutschen Mutterunternehmen.
Ein weiterer Knackpunkt: Einige Normen und Vorschriften sind selbst innerhalb der USA nicht homogen. Ähnlich wie bei den Auto-Abgasen sind manche Energie-Vorschriften für die Industrie etwa in Kalifornien strenger als in anderen Bundesstaaten. Ein Produkt muss also nicht nur US-konform gemacht, sondern unter Umständen zusätzlich für einzelne Staaten angepasst werden. Wird das Produkt auf die strengsten Grenzwerte hin entwickelt, ist es für andere Bundesstaaten „over-engineered“ – sprich zu teuer.
Ärger um die Schiedsgerichte
1959 unterschrieb Ludwig Erhard das erste globale Investitionsschutzabkommen der Welt – zwischen Deutschland und Pakistan. Es beruhte auf einem Entwurf von Hermann Josef Abs, dem früheren Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Bis heute ist dieses Abkommen die Grundlage sämtlicher Freihandelsabkommen.
Das Abkommen sah vor, dass Investoren vor internationalen Schiedsgerichten gegen die Entscheidungen ausländischer Regierungen vorgehen konnten, sofern diese einen Enteignungscharakter hatten.
Das Abkommen war zwar bilateral – das heißt es galt für Deutschland wie für Pakistan gleichermaßen – allerdings kam damals niemand auf die Idee, dass pakistanische Investoren in Deutschland tätig werden könnten.
1994 errichteten die USA, Kanada und Mexiko die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA. Das Abkommen gilt als Blaupause für TTIP und CETA. Als Streitschlichtungsmechanismus ist auch hier ein Investorenschutz eingebettet.
Mit NAFTA kamen Anwaltskanzleien und Unternehmen auf die Idee, den Investorenschutz verstärkt als Rechtsschutzmittel gegen staatliche Entscheidungen zu nutzen.
Das schwedische Energieunternehmen Vattenfall will für den deutschen Atomausstieg 2012 entschädigt werden und klagt auf fast vier Milliarden Euro. Wenige Wochen vor dem Atomausstieg hatte die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung beschlossen – im Glauben an die Gültigkeit dieses Beschlusses hatte Vattenfall in die Sanierung von mittlerweile vom Netz genommenen Atomkraftwerken investiert.
Die Grundlage für die Vattenfall-Klage ist kein Freihandelsabkommen, sondern die von Deutschland ratifizierte Energiecharta – darin ist aber ebenfalls eine Investitionsschutzklausel eingearbeitet, weswegen TTIP-Gegner oft auf diesen Fall verweisen.
Parallel klagt Vattenfall – wie auch RWE und Eon – vor dem Bundesgerichtshof. RWE und Eon haben als deutsche Unternehmen allerdings nicht die Chance, zweigleisig zu klagen, darin sehen TTIP-Gegner eine Benachteiligung heimischer Unternehmen gegenüber ausländischer.
2012 führte Australien rigorose Anti-Tabak-Gesetze ein. Demnach dürfen Zigarettenpackungen nur noch in einem langweiligen Grauton bedruckt und müssen mit abschreckenden Bildern versehen werden, die die negativen Folgen des Rauchens verdeutlichen.
Der Tabakkonzern Philip Morris ging im Rahmen einer Investitionsschutzklage vor einem Schiedsgericht dagegen vor und forderte mehrere Milliarden Dollar Schadensersatz. Die Begründung: Als Philipp Morris vor über 60 Jahren in Australien investierte, war nicht absehbar, dass solche Tabakgesetze den Markt zerstörten. Im Dezember 2015 wurde dieser Fall zugunsten von Australien entschieden.
Ob sich daran bald etwas ändert, ist fraglich. Im Februar dieses Jahres haben die Amerikaner mit zwölf asiatischen Staaten das Abkommen zur transpazifischen Freihandelszone TPP unterzeichnet. Sie umfasst wie TTIP 800 Millionen Verbraucher und rund 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.
„Dass die USA sich stärker zum asiatischen Markt hin orientieren, ist nicht verwunderlich“, sagt Grüner. Die asiatischen Wachstumsraten sind im Vergleich zu denen in Europa immer noch riesig – auch wenn der Wachstumsmotor China zuletzt stockte. „Europa dagegen operiert politisch am Rande des Zerfalls.“
Die Gefahr: Globale Wirtschaftsstandards könnten von der asiatisch-amerikanischen Freihandelszone geprägt werden. Und Europäische Produzenten hätten das Nachsehen.