Zwischen Flädlesuppe und Sauren Nierchen horcht Heinrich Gropper plötzlich auf. Beim Abendessen erzählt ihm ein langjähriger Lieferant beiläufig, dass der Smoothie- und Safthersteller Innocent, britisches Tochterunternehmen des US-Getränkegiganten Coca-Cola, einen Partner für die Abfüllung seiner gekühlten Säfte auf dem Kontinent suche. Gropper, Inhaber und Chef der gleichnamigen Molkerei in Bissingen bei Augsburg, zögert nicht lange. Er schickt eine Blindbewerbung zu Innocent nach London: eine kurze Basispräsentation seines Unternehmens mit 360 Millionen Euro Umsatz und 600 Mitarbeitern, dazu Referenzen und Kostproben seiner Joghurts, Puddings und gekühlten Säfte.
Nach ein paar Wochen meldet sich Sam Simister, für die Warenbeschaffung verantwortliche Managerin bei Innocent: Sie würde gerne die Produktion besichtigen. Gesagt, getan. Schnell wird bei dem Ortstermin klar: Das könnte passen. „Ich hatte von Beginn an ein gutes Gefühl“, erinnert sich Gropper.
Doch in Bissingen produziert Gropper schon am Limit für Handelsketten wie Aldi, Lidl, Edeka oder Rewe. Und weil Innocent Wert darauf legt, seine Rohstoffe weitgehend von Ökolandwirten zu beziehen und dann möglichst per Schiff oder Bahn zu transportieren und nicht mit dem Flugzeug, um die CO2-Belastung niedrig zu halten, soll eine ganz neue Saftfabrik entstehen. Und zwar dort, wo viele Rohstoffe für die Innocent-Smoothies herkommen sollen: im Apfelanbaugebiet am Bodensee.
Die Top 10 der Weltmarktführer im deutschen Mittelstand
Peri
Branche: Schalungen / Gerüste
Marken-Performance*: 54,9
Unternehmens-Performance*: 68,2
Gesamt-Performance²: 123,1
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Kaeser
Branche: Kompressoren
Marken-Performance*: 61,9
Unternehmens-Performance*: 63,1
Gesamt-Performance²:124,9
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Duravit
Branche: Badausstattung
Marken-Performance*: 65,0
Unternehmens-Performance*: 61,9
Gesamt-Performance²: 126,9
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Haver & Boecker
Branche: Drahtweberei / Maschinenbau
Marken-Performance*: 68,7
Unternehmens-Performance*: 60,6
Gesamt-Performance²: 129,3
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Grimme Landmaschinenfabrik
Branche: Landmaschinen
Marken-Performance*: 66,6
Unternehmens-Performance*: 64,6
Gesamt-Performance²:131,2
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Windmöller & Hölscher
Branche: Verpackungsmaschinen
Marken-Performance*: 72,7
Unternehmens-Performance*: 61,3
Gesamt-Performance²:134,0
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Delo
Branche: Industrieklebstoffe
Marken-Performance*: 69,2
Unternehmens-Performance*: 68,6
Gesamt-Performance²: 137,7
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Lürssen Maritime Beteiligungen
Branche: Schiffbau
Marken-Performance*: 74,7
Unternehmens-Performance*: 64,2
Gesamt-Performance²: 138,9
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Otto Bock
Branche: Prothesen
Marken-Performance*: 70,7
Unternehmens-Performance*: 73,1
Gesamt-Performance²: 143,8
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Herrenknecht
Branche: Tunnelbohrmaschinen
Marken-Performance*: 72,8
Unternehmens-Performance*: 76,6
Gesamt-Performance²: 149,4
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Im Frühjahr 2014 fällt die Entscheidung zur Zusammenarbeit, im Herbst beginnt Gropper mit dem Bau der Saftfabrik in Stockach, rund 200 Kilometer vom Stammsitz entfernt, und schon im Spätsommer 2015 rollen die ersten Saftflaschen vom Band – der Beginn einer fruchtbaren Kooperation zwischen Mittelständler und Weltkonzern.
Auf Stärken konzentrieren
„Die Zeit der Einzelkämpfer im Mittelstand ist vorbei“, sagt Martin Tschochner, Partner bei der Beratung Ebner Stolz, die eine Studie zu strategischen Allianzen im Mittelstand veröffentlicht hat. Demnach haben schon 94 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland Erfahrungen mit Allianzen und Kooperationen. 88 Prozent planen dies für die Zukunft. Für die Studie haben die Berater aus Köln 500 Topentscheider befragt und 300 Allianzen ausgewertet. „Die Rahmenbedingungen verändern sich, Unternehmen stehen zunehmend unter Druck ihrer Kunden und Wettbewerber“, sagt Theresia Theurl, Professorin am Institut für Genossenschaftswesen der Universität Münster. In diesem Umfeld könnten Kooperationen ein Weg sein, um besser zu werden, etwas Neues zu beginnen oder über seine bisherigen Grenzen hinauszuwachsen.
Die Zahlen der Ebner-Stolz-Studie zeigen, dass Unternehmensbündnisse im Mittelstand ein wirksames Instrument sind, um sich fit für die Zukunft zu machen. Mehr noch: „Allianzen haben heute sogar eine höhere Relevanz als Fusionen und Akquisitionen“, sagt Berater Tschochner (siehe Grafik). Sie erfordern geringeres finanzielles Engagement, ermöglichen eine Risikoteilung und lassen sich leicht wieder zurückbauen. „In Allianzen können sich die Partner auf ihre Stärken konzentrieren“, sagt er. „Sie müssen weniger in den Ausgleich der eigenen Schwächen investieren.“
So wie beim mittelständischen Instantkaffeehersteller Krüger aus Bergisch Gladbach bei Köln und dem börsennotierten US-Kaffeekonzern Starbucks aus Seattle, die 2013 anbandelten. Die Coffeeshop-Kette wollte nach mehreren gescheiterten Versuchen groß in das boomende Geschäft mit Kaffeekapseln und den dazugehörigen Maschinen einsteigen. Auch Krüger hatte über Jahre erfolglos versucht ein Kapselsystem bei verschiedenen Handelsunternehmen zu etablieren und dabei reichlich Lehrgeld gezahlt.
Die Stärken ergänzen sich
Doch das von Marc Krüger, Sohn des Gründers Willibert Krüger, geführte Familienunternehmen brauchte dringend Innovationen: Der Verkauf von Pulverdrinks stagnierte, andere Sparten wie Babynahrung und Schokolade waren ausgereizt. Was lag also näher, als Stärken zusammenzupacken: Starbucks seine globale Vertriebskraft, Krüger das Produktions- und Verpackungswissen. Krüger mahlt die von Starbucks gelieferten Kaffeebohnen und presst das Pulver in Kapseln unter der Marke Verismo, die Starbucks in seinen Coffeeshops verkauft.
Parallel dazu stellt Krüger mittlerweile auch Teekapseln in Kooperation mit Teekanne aus Düsseldorf her sowie Kaffeekapseln namens Expressi für Aldi Süd und dessen Kapselmaschine Latessa. Mit den drei Exklusiv-Partnern Starbucks, Teekanne und Aldi schaffte Krüger den Vorstoß in ein weites Wachstumsfeld. Allein Aldi verkaufte seit Ende 2013 schon mehr als 500.000 Kapselmaschinen und bietet damit die preiswerte Alternative zum von George Clooney beworbenen Nobelsystem Nespresso von Nestlé oder Tchibo mit seiner Cafissimo-Maschine.
Jetzt bekommt die Kooperation zwischen Krüger und Aldi einen weiteren Schub. Der Discounter verpflichtete ausgerechnet George Clooneys Exgefährtin Elisabetta Canalis als Werbegesicht für seine neueste Werbekampagne. Und wie als direkte Antwort auf Clooneys Spruch „What else?“ entgegnet das Model selbstbewusst: „Expressi – of course!“
Worauf kleine Mittelständler beim Gang ins Ausland achten sollten
Jeder träumt von China - aber nicht für jedes Produkt passt der Massenmarkt, den die Deutschen gern bedienen. Oft reicht es, Nischenprodukte weiter zu exportieren. Konzerne müssen Trends mitgehen, die Kleinen nicht zwingend.
Gewerbeparks aus der zweiten Reihe kämpfen oft um Investoren, indem sie beim Papierkram helfen und Steuern senken. Wer vergleicht, spart Geld.
Auf Konferenzen treffen Unternehmer auf Praktiker mit Erfahrung in fremden Märkten. Ihr Wissen hilft, die Chancen und Risiken des Markteintritts richtig einzuschätzen.
Selbst wenn die Marktaussichten noch so rosig sind: Unvorhersehbare Kosten sind bei der Expansion ins Ausland ganz normal und sollten eingeplant werden.
Jeder Gang ins Ausland braucht Planung. Man muss Leute finden, Informationen sammeln, Papierkram bewältigen - und sollte sich Zeit nehmen, auch wenn die Konkurrenz schon da ist.
„In Zeiten von Globalisierung, Digitialisierung und Spezialisierung kann der deutsche Mittelständler nicht mehr nach Großvaters Sitte alles selber machen“, sagt Berater Tschochner. Vor allem die Digitalisierung biete neue Chancen für Kooperationen. So arbeiten seit wenigen Wochen der Übertragungsnetzbetreiber Tennet aus Bayreuth und der Wechselrichterhersteller SMA Solar mit Sitz bei Kassel zusammen. Mithilfe der von SMA gelieferten aktuellen Leistungsdaten aus Solaranlagen kann Tennet die Menge des tatsächlich eingespeisten Solarstroms in seinem Einzugsgebiet noch zeit- und realitätsnäher hochrechnen und in Kombination mit Wetterdaten für die nächsten Stunden und Tage treffsicherer prognostizieren.
Dank der Kooperation kann der wachsende Anteil von Strom aus Fotovoltaikanlagen erheblich besser geplant und ins Netz integriert werden. „Die Bereitstellung genauer Erzeuger- und Verbrauchsdaten ist ein wesentliches Element für die dezentrale und erneuerbare Energieversorgung der Zukunft“, sagt SMA-Chef Pierre-Pascal Urbon. Mitte 2015 war SMA schon den strategischen Schulterschluss mit Siemens eingegangen. Gemeinsam wollen beide Unternehmer Komplettsysteme für große Solarparks in aller Welt anbieten.
Allerdings sind längst nicht alle Allianzen von Dauer. So arbeiteten über Jahre der größte deutsche Lebensmittelhändler Edeka und der regionale Warenhausbetreiber Globus aus dem saarländischen St. Wendel im Rahmen einer Einkaufskooperation zusammen. Globus wickelte rund 25 Prozent seines Einkaufvolumens über Edeka ab; beide Partner profitierten von günstigeren Beschaffungspreisen. Doch als Edeka 2009 den Tengelmann-Discounter Plus übernahm und dadurch seine Einkaufskonditionen erneut verbessern konnte, wollte Globus davon ebenfalls profitieren. Edeka beharrte darauf, dass Globus nichts zum Plus-Deal beigetragen habe und somit auch keinen Anspruch auf die Verbesserungen habe. Der Streit ging vor Gericht, die Kooperation platzte Ende 2011.
Auf Augenhöhe
Paktierte beim Fall Globus und Edeka eher ein David mit dem Goliath, stehen sich bei der Kooperation der Verpackungshersteller Hopf und Siepe zwei familiengeführte Mittelständler auf Augenhöhe gegenüber. Das auf die Kosmetikindustrie spezialisierte Unternehmen Adolf Hopf aus dem bayrischen Nördlingen mit einem Umsatz von rund 40 Millionen Euro und der Metall- und Kunststoffverpackungshersteller Siepe aus Kerpen bei Köln mit rund 50 Millionen Euro Erlös arbeiten seit knapp zwei Jahren eng zusammen. Eingetütet wurde der Kontakt über den Verband Industrievereinigung Kunststoffverpackungen.
Durch die Zusammenarbeit vor allem beim Design und beim Umgang mit unterschiedlichen Materialien können Hopf und Siepe nun Kosmetikriesen wie Beiersdorf, Unilever oder Henkel neben den bewährten Produkten ein größeres und flexibleres Spektrum beispielsweise an PET-Verpackungen bieten. Ziel der Kooperation ist es, als Komplettanbieter Dosen, Tiegel, Flakons und Verschlüsse vom Massenmarkt bis hin zur Highend-Kosmetik abzudecken.
Wie erfolgreich am Ende die Zusammenarbeit zwischen Molkereichef Gropper und Innocent verlaufen wird, ist schwer einzuschätzen, da diese gerade erst ins Rollen kommt. „Die hohen Investitionen lassen ein großes Potenzial der Kooperation erwarten“, sagt Berater Tschochner „und deuten auf eine langfristige Auslegung hin.“
Langfristiges Engagement
Rund 30 Millionen Euro investierte Gropper in die neue Saftfabrik am Bodensee, die an das Werk des Rohstofflieferanten Fidel Dreher angedockt wurde – ebenfalls ein Mittelständler, der rund zehn Millionen Euro in die Kooperation investierte und zum Juniorpartner wurde. In diesen Tagen soll eine zweite Abfüllanlage in Betrieb gehen. Dann können in Stockach jährlich rund 150 Millionen Flaschen vom Band laufen, die Innocent in Frankreich, Deutschland, Benelux, Österreich und der Schweiz verkauft.
Warum sich die Coke-Tochter für Mittelständler Gropper entschieden hat? „Unsere Werte und unsere Vision für qualitatives Wachstum passen perfekt zusammen“, sagt Innocent-Chef Douglas Lamont. Ausschlaggebend dürfte allerdings auch die Tatsache gewesen sein, dass Gropper seine Wurzeln im Molkereigeschäft hat, in dem die bakteriologischen Standards höher sind als bei der Saftherstellung. Zudem kennt sich Gropper durch die Zusammenarbeit mit Landliebe und Weihenstephan im Co-Packing-Geschäft aus – also in der Lohnabfüllung – und hat seit zwölf Jahren Erfahrungen mit PET-Flaschen.
„Es ist von Anfang an alles positiv verlaufen“, bilanziert der Molkereichef. Durch die hohen Anforderungen von Coca-Cola und Innocent, was Qualitätsstandards und Auditierungen angeht, habe Gropper auch selbst viel dazugelernt, „das hilft uns wiederum bei anderen Kunden weiter“.