Internationalisierung Die riskante Marketingstrategie von Knorr-Bremse

Der Weltmarktführer aus München stellt derzeit seine komplette Markenarchitektur auf den Kopf. Quelle: dpa

Der Bremsenhersteller Knorr-Bremse sortiert seine Marken neu: Kleine Tochtergesellschaften verlieren ihre Identität, größere bleiben ihrem Namen treu. Am Ende soll die Marke Knorr-Bremse heller scheinen - oder zumindest der kleine Zusatz „K“. 

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Eva Seifert hat bei Knorr-Bremse schon viel erlebt. Seit 22 Jahren ist sie nun im Unternehmen, war mal verantwortlich für die Personalentwicklung, mal für die Unternehmenskommunikation. Seit 2013 ist sie zuständig für das strategische Konzernmarketing – und verantwortet einen Wandel, der das Bild von Knorr-Bremse nachhaltig verändern könnte - bei Kunden wie den eigenen Mitarbeitern.

Der Weltmarktführer aus München stellt derzeit seine komplette Markenarchitektur auf den Kopf. Kleinere Marken werden eingestampft, größere dürfen zwar bestehen bleiben, bekommen aber ein „K“ davorgesetzt. Ganz ohne Risiko ist ein solche Maßnahme nicht. „Eine solche Umstrukturierung kann dazu führen, dass Kunden das Vertrauen in das Unternehmen verlieren, sich weniger mit ihm identifizieren – sie kann aber auch genau das Gegenteil bewirken und positive Effekte auf das Vertrauen der Kunden und die Motivation der Mitarbeiter geben“ sagt Jürgen Gietl, Experte für Technologiemarken und Markensysteme bei der Markenstrategieberatung Brandtrust.

Warum also macht Knorr-Bremse das überhaupt? Über die Jahre hat das Unternehmen immer mehr Marken hinzugekauft. Seit 1985 kamen etwa Firmen wie IFE, New York Air Brake und Kiepe Electric dazu. „Als wir die einzelnen Marken übernommen haben, war es genau die richtige Entscheidung, sie erst einmal weiter fortzuführen, da sie bei unseren Kunden bereits sehr bekannt waren“, sagt Eva Seifert. Inzwischen sei die Markenfamilie aber soweit gewachsen, dass Knorr-Bremse nur noch die prestigeträchtigen Marken mit ihren eigenen Namen behalten möchte. „Die anderen wollen wir unterhalb dieser Marken oder der Dachmarke Knorr-Bremse vereinen. Das soll Kunden zum einen Orientierung liefern und zum anderen das Vertrauen in unsere Produkte weiter stärken.“

von Volker ter Haseborg, Rüdiger Kiani-Kreß, Christian Schlesiger

2019, also vor gut zwei Jahren, haben sie bei Knorr-Bremse diesen Wandel beschlossen. Aus den damals noch 36 vorhandenen Einzelmarken sind inzwischen elf optisch an das Knorr-Bremse-Logo angepasste Marken geworden. Die Umstrukturierung ist damit noch lange nicht beendet. „Wir sind noch mitten in der Umstellung. Aber das ist ohnehin ein dauerhafter Prozess“, sagt Seifert.

Die kleineren Marken gibt der Weltmarktführer dabei auf. „Grundsätzlich fragen wir uns bei jeder Marke, ob sie bleiben kann oder wir sie in die Dachmarke oder eine der anderen Marken integrieren“, sagt Seifert. Die größeren, die auch genug eigene Strahlkraft besitzen, bleiben bestehen. Das Unternehmen erhofft sich von der gesamten Maßnahme, seinen Kunden eine bessere Orientierung zu geben. 

leichzeitig gibt es mit „Driven to create the best solutions“ nun einen Positionierungssatz, und mit „Reliable“, „Innovating“ und „Leading“ international einheitliche Markenwerte, die definieren sollen, was die Firma ausmacht – wenngleich die Beschreibung ein wenig beliebig erscheint. Denn welches Unternehmen würde sich etwa mit dem Gegenteil definieren?

„Eine Marke zu gestalten, bedeutet deutlich mehr als einfach nur das Logo auf das Produkt zu kleben und irgendeinen Leitsatz zu definieren“, sagt Experte Gietl. „Eine Marke symbolisiert, wie ein Unternehmen sein Geschäft angeht, sie soll bestenfalls nach außen und nach innen wirken. Die Positionierung oder der Leitsatz sollten sich aus der eigenen Historie ableiten.“

Knorr-Bremse sieht sich inzwischen als Systemanbieter und will das durch die Umstrukturierung auch deutlich machen. Um zu entscheiden, welche Marken bleiben können und welche nicht, hat das Unternehmen einen Kriterienkatalog erarbeitet und anhand dessen die Marken evaluiert. Eine Rolle spielen unter anderem der Umsatz der einzelnen Marken, wie präsent sie sind und auch wie viele Mitarbeiter dort arbeiten.

„Der Umbau der Markenarchitektur ist eine der emotionalsten Arten von Umstrukturierungen, die man vornehmen kann“, sagt Gietl. „Denn vom Gründer über den Ingenieur bis hin zum Mitarbeiter im Vertrieb, die Menschen hängen an der eigenen Marke, sie hat für sie eine tiefere Bedeutung. Sie alle müssen auf der Werteebene überzeugt werden, dass es sinnvoll ist, ihre Marke aufzugeben.“ Das wissen sie auch bei Knorr-Bremse. Man habe die eigenen Mitarbeiter von Anfang an mit einbezogen, sagt Marketingmanagerin Seifert. Allein während der Planungsphase hätten sich nach Angaben des Unternehmens 150 Führungskräfte mit dem Markenkern und der Markenarchitektur beschäftigt.

Wenn die Neupositionierung der einzelnen Marken gelingt, kann eine solche Maßnahme sich langfristig auch positiv auf den Umsatz auswirken. „Die eigene Markenarchitektur richtig aufzubauen, ist enorm geschäftsrelevant. Das wird von vielen Unternehmen auch heute noch völlig unterschätzt. Denn hierhin steckt ungenutztes Wachstumspotenzial“, sagt Experte Gietl. „Studien untermauern, dass gerade in der B2B-Welt ein Konstrukt aus Dachmarke mit wenigen Submarken nach Abzug der Risikokosten am rentabelsten sind.“ Dass sie bei Knorr-Bremse mit ihrer Umstrukturierung der Markenarchitektur wohl dem richtigen Weg sein könnten, zeigte zuletzt auch eine Nominierung für den Marken-Award 2021, der am 24. August  verliehen wird.

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