Vaude Wie der kulturelle Wandel im Mittelstand gelingt

Antje von Dewitz Quelle: Dominik Butzmann

Antje von Dewitz hat mit Vaude den erfolgreichsten deutschen Outdoor-Ausrüster geschaffen. Und ganz nebenbei die Grundlagen für eine erfolgreiche Digitalisierung ihres Geschäftes gelegt. Ihre vier wichtigsten Lehren.

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Es gibt ja in diesen Zeiten fast jede Woche ein Institut oder eine Beratung, die aus den Wörtern „Digitalisierung“, „Zukunft“ und „Mittelstand“ ein Angstszenario basteln. „Mittelstand schöpft Digitalisierungspotenzial nicht aus“, warnt KfW-Research und beklagt eine fehlende Wagniskultur in kleineren Unternehmen. Es fehle dafür schlicht die entsprechende Unternehmenskultur. „An digitaler Technik kommt kein Unternehmen mehr vorbei. Gerade der Mittelstand hat aber Probleme damit“, unkt die Beratung EY. Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung warnt: „Den Hidden Champions droht die Luft auszugehen.“ Denn laut der Untersuchung nimmt die Innovationskraft des größeren Mittelstands in Zeiten der digitalen Transformation spürbar ab.

Antje von Dewitz ist Chefin eines solchen Mittelständlers, des Outdoor-Ausrüsters Vaude vom Bodensee. Aber sie hat keine Angst. Von Dewitz, 46, hat ihr Unternehmen, etwa 500 Mitarbeiter*innen, etwa 100 Millionen Euro Jahresumsatz, in den vergangenen Jahren zum nachhaltigsten Unternehmen der Branche gemacht. Sie hat, nachdem der Vater ihr die Geschäfte vor zehn Jahren übergeben hat, die Produktion in Deutschland wieder eingeführt, eine Kita gebaut, die Art der Zusammenarbeit geändert und ihre Zulieferer zu Umwelt- und Sozialstandards verpflichtet. Und genau das erzählt einiges über erfolgreiche Wege, familien­geführte Unternehmen in die digitale Zukunft zu führen. Jene Firmen mittlerer Größe, aber globaler Ausdehnung aus dem deutschen Hinterland, die sich ­damit noch immer schwer­tun und doch den Schwerpunkt der Unternehmen in Deutschland bilden.

Von Dewitz sagt: „Transparenz, Nachhaltigkeit, dass wir mit Kunden und Mitarbeitern auf ­Augenhöhe umgehen und einen Dialog pflegen – diese Herausforderungen zu lösen sind die idealen Voraussetzungen für eine erfolgreiche digitale Transformation.“ Und weil sie die ersten drei ­Herausforderungen, und damit den kulturellen Wandel ihres Unternehmens, gut hinbekommen hat, sieht sie sich für Vierteres gerüstet.

Bisher ist das mit der digitalen Transformation ja so eine Sache: Die meisten Unternehmer*innen gehen sie auf zwei Arten an: Wenn sie im direkten Kundenkontakt stehen, richten sie einen Onlinehandel ein. Wenn sie eher für Geschäftskunden unterwegs sind, rüsten sie die Produktion technisch auf oder denken in Plattformlösungen.

Was aber, wenn digitale Transformation erst in der zweiten Ableitung eine technologische und zuallererst eine kulturelle Herausforderung wäre? Der technologische Wandel den kulturellen also voraussetzt? Und wenn dem so ist: Wie lässt sich das umsetzen, wenn ich das Unternehmen nicht wie viele Gründer frei von Widerständen neu aufbaue – sondern ein bestehendes Gefüge in diese Richtung ändern will?

Wie so ein kultureller Wandel zu stemmen ist, darauf gibt die Geschichte von Antje von Dewitz und Vaude Antworten.

1. Definiere ein Ziel

Das Unternehmen Vaude darf man sich als nicht übermäßig vom Schicksal begünstigt vorstellen, als Antje von Dewitz die Führung im Jahr 2009 von ihrem ­Vater übernimmt. Die Geschäfte laufen zwar ordentlich. Die Lage im Bodensee-Hinterland bringt aber neben idyllischen Aussichten auch eine Menge Nachteile mit sich. Fehlende Fachkräfte, fehlende Infrastruktur, komplizierte Logistik, so etwas eben. Und die Branche der Bergsportausrüster hat Jahre rasanten Wachstums, aber auch einer ebenso ­rasanten Konzentration auf wenige ­Anbieter hinter sich. Wer in dieser Gemengelage vom Glück geküsst bleiben möchte, muss ihm etwas auf die Sprünge helfen.

„Als ich anfing“, sagt Antje von Dewitz, „haben wir einen Zehnjahresplan aufgestellt, an dessen Ende stand, dass Vaude ein Leuchtturmunternehmen in Sachen Nachhaltigkeit sein soll.“ Dabei ist es nicht so, als ob sie diese Vision aus einem grenzenlosen Ozean an Ideen gefischt hätte. Vielmehr verdichten sich in ihm Ideen, Werte und Ressourcen, die das Unternehmen schon länger mit sich herumtrug: eine Mutter, die schon die junge Antje mit den Feinheiten der Kapitalismuskritik vertraut machte. Ein gesellschaftliches Umfeld, das der Unternehmertochter eher die Rolle der Ausbeuterin zudachte. Aber auch ein Vater, der mit seiner Belegschaft immer mal wieder ökologische Aspekte berücksichtigte.

Das Unternehmen gab sich Werte, und zwar differenzierte. Etwa, dass man die Umwelt schonen wolle. Aber auch, dass man lieber in der Nähe produziere, wenn der Zulieferer in Asien nicht die faire ­Behandlung seiner Mitarbeiter*innen ­garantieren könne. „Ich bin kein Globalisierungsgegner und finde es nicht förderlich, wenn Menschen da so schwarz-weiß denken“, sagt Antje von Dewitz. „Ich sehe aber schon, dass die heutige Ausgestaltung oft zur Ausbeutung von Mensch und Natur führt. Richtig gemacht ist Globalisierung dagegen eine irrsinnige Chance.“ Wie sie das in konkrete Unternehmenspolitik umsetzt? „Transparenz ist da ein gutes Instrument.“

Das Unternehmen bekam so ein Gerüst an Werten und Zielen, die zu einer klaren Vision beitragen– und somit allen Mitarbeiter*innen einen Leitfaden für die tägliche Arbeit an die Hand geben. Nur, wer das Ziel kennt, wird den Weg finden. „Bei Vaude folgen den Worten ­Taten in erstaunlicher Konsequenz“, urteilt Monika Eigenstetter, Professorin für Unternehmensführung.

„Die ersten sechs, sieben Jahre waren sehr hart“, sagt Antje von Dewitz: Viele Mitarbeiter*innen sahen die Notwendigkeit, sich den neuen Zielen unterzuordnen, nicht ein. Viele Händler*innen glaubten nicht daran, dass Kund*innen mehr zahlen, um nachhaltigere Produkte zu bekommen. Viele Zulieferer*innen wollten sich nicht dem kleinen Vaude anpassen. Heute ist gerade die besonders nachhaltige „Green Shape“-Kollektion von Vaude einer der Umsatztreiber.

Aus dem Lager an der Zentrale in Tettnang beliefert Vaude ausschließlich Händler, Privatkunden werden nicht bedient Quelle: Dominik Butzmann

Zwei Jahre dauert es, bis alle Mitarbeiter*innen den Fokus verinnerlicht ­haben. Und doch sollte das nur die Blaupause für eine größere Transformation sein: der gesamte Wandel der Unternehmenskultur. Die Hauptanteilseignerin hat vor zwei Jahren den Stand der digitalen Transformation ihres Unternehmens zu ermitteln versucht und sagt heute: „Da hat uns das Nachhaltigkeitsthema wahnsinnig geholfen. Denn wenn Sie die Nachhaltigkeit ernst nehmen, brauchen Sie vernetztes Arbeiten, totale Transparenz, flache Hierarchien. Und bei der digitalen Transformation ist es genauso.“

2. Passe Kultur und Ziele an

An einem Tag im Frühjahr stürmt Antje von Dewitz die Treppe im Haupttrakt der neuen Unternehmenszentrale herab in die Kantinen. Das Handy steckt in der Gesäßtasche der Jeans, zwei Mitarbeiterinnen gelingt es, die Chefin vor dem Erreichen der Pastastation für eine kurze Klärung abzufangen. Dann steht Antje von Dewitz in der Schlange und wartet, dass sie an der Reihe ist. Die Wahl fällt auf Pasta mit Spinatsoße, der Weg führt an einen der Gruppentische, wo sich ­Antje von Dewitz unter ihre Leute mischt, die sie alle duzen.

Das passt zu einer Geschäftsführerin, die ihr Führungsverständnis so definiert: „Wenn man ein Unternehmen normal führt, hat man ständig drei Bälle in der Luft. Wenn man es ­nachhaltig führt, werden das unglaublich viele Bälle mehr. Die kann man gar nicht alleine jonglieren, deswegen braucht es eine Kultur, in der alle mitjonglieren können.“

Nur widerspricht so eine Kultur erst mal dem, wovon sehr viele Mitarbeiter*innen durch Sozialisation überzeugt sind. Auch die Vaude-Mitarbeiter*innen am Anfang von Antje von Dewitz Chefinnen-Zeit. Also arbeitet sie zunächst an ihrem Führungsverständnis, bevor sie anderen Veränderungen zumutet. „Dazu gehörte auch, dass ich mal geweint habe oder mal Nichtwissen eingestanden ­habe“, sagt sie. Und ihren Leuten erklärt sie: „Wir müssen Stück für Stück zu einer Kultur kommen, in der die beste Idee sich durchsetzt und jeder Mitarbeiter erst einmal relativ viel entscheiden und mitgestalten kann.“

Viel Holz, viel Glas, vor allem aber sehr viele offene Räume - auch das Bürogebäude von Vaude hat einen Kulturwandel durchgemacht Quelle: Dominik Butzmann

„Frau von Dewitz strebt offensichtlich das an, was Arbeitswissenschaftler Persönlichkeitsförderlichkeit nennen: nämlich dass Menschen die verschiedenen Bereiche ihres Lebens angemessen ­balancieren können“, sagt Professorin ­Eigenstetter.

Dafür entwickelte die Unternehmerin eine fein ziselierte Struktur. Einerseits stellte sie das konservative Hierarchieverständnis infrage. Andererseits führt sie mehr Hierarchien und hierarchische Stellen als zuvor ein: Ein Netzwerk braucht eben Knotenpunkte, an denen Menschen Dinge entscheiden – sonst sind es nur Fäden, die nirgendwo zusammenlaufen. „Wir haben aber“, sagt Antje von Dewitz, „schon stark an dem Verständnis von Hierarchie und Führung ­gearbeitet und unsere Mitarbeiter geschult, selbstwirksam zu werden und Verantwortung zu übernehmen, damit Hierarchie nicht das einzige Kriterium für Entscheidungsfindung ist.“

So hat Vaude statt eines Prozesses, der neue Produkte entlang der klassischen Kette aus Entwicklung, Produktion, Marketing, Vertrieb entwickelt, eine Kampagnenorganisation eingeführt. Soll ein Produkt entstehen, sind von Beginn an Mitarbeiter*innen aus allen Diszi­plinen beteiligt. Vaude ist ein Unter­nehmen mit einer eher klassischen Struktur, über die sich ein feines Netzwerk an Quer-Zuständigkeiten legt. Man arbeitet nicht in Posten, sondern in Rollen: Mal ist die Mitarbeiterin Marketingfachkraft (Posten), mal Verantwortlicher für eine Produkteinführung (Rolle). Mal ist ein Angestellter Personaler (Posten), mal Beauftragter für Konfliktmanagement (Rolle).

3. Schaffe Schnittstellen

Der Frühsommer schickt die ersten Sonnenstrahlen dieses Jahres über Südwestdeutschland, als Antje von Dewitz vor einer Gruppe von Unternehmer*innen und Manager*innen steht und sie zum Mitmachen auffordert. Ein Bündnis in Singen hat zum Wirtschaftstag eingeladen, es soll um nachhaltig erfolgreiche und digitale Unternehmensführung gehen. Viele der Menschen, deren Unternehmen den mopsfidelen Zustand der deutschen Wirtschaft in diesen Monaten zu verantworten haben, sind hier versammelt. Maschinenbauer*innen, Schraubenkönige, Volksbanker, solche Leute. Mitten unter ihnen braucht Antje von Dewitz, die hier neben dem Pop-­Philosophen Richard David Precht als Mentorin durch den Tag führt, nur wenige Minuten, bis aus dem formvollendeten Aufeinandertreffen eher konservativer Entscheider*innen ein konstruktives Miteinander wird. Weil Antje von Dewitz einerseits so konzentriert und bestimmt spricht, dass diese Verbindlichkeit zum Mitmachen ansteckt. Und weil sie gleichzeitig gewohnt ist, Menschen aus verschiedenen Hintergründen auf ein Ziel einzuschwören.

So hat sie auch Vaude geöffnet. Augenhöhe, das zentrale Prinzip für die innere Führung des Unternehmens, wird so auch zum zentralen Prinzip im Umgang mit Menschen von außen. Wenn ein Lieferant aus Asien die neuen Grundsätze nicht sofort erfüllen will, lässt Vaude ihn nicht fallen, sondern arbeitet mit ihm.

Wenn Vaude etwas beschafft, entscheidet nicht nur der Preis, sondern zusammen mit dem Zulieferer wird geschaut, was geht. Und wenn der Trend in der Branche dazu geht, dass Markenartikler eigene Läden eröffnen und so den alten Fachgeschäften Konkurrenz machen, verweigert sich Vaude dem und setzt auf Partnerschaften. Privatkund*innen können bis heute nicht direkt bei Vaude kaufen, sondern werden per Software zum nächstgelegenen Fachhandel geleitet.

Weil manche Dinge sich dann doch direkt am Firmensitz besser herstellen lassen, produziert Vaude einen Teil der Kollektion wieder in Deutschland Quelle: Dominik Butzmann

Das Prinzip Augenhöhe ist für Antje von Dewitz maßgeblich. Sie hat sich das bei den vielen reinen Digitalunternehmen, die in ihrem Umfeld entstanden, abgeschaut. „Viele digitale Händler haben das mit der Augenhöhe sehr gut drauf, indem sie beispielsweise partnerschaftlich mit Abverkaufszahlen um­gehen, während der eine oder andere stationäre Händler noch eher klassische Lieferantenbeziehung von oben herab pflegt. Wenn man so will, ist der
Grad der Augenhöhe auch ein Indikator für ­Innovationskraft“, sagt sie. Amazon oder Zalando hätten kein Problem, ihre Daten mit Vaude zu teilen und über ­offene Schnittstellen mit dem viel ­kleineren Partner aus Oberschwaben
zu kommunizieren.

4. Erfinde Neues

Es ist Sommer geworden in Oberschwaben, und für Antje von Dewitz hat eine Reihe an Terminen begonnen, die zeigen, wie aus diesem unternehmerischen Wandel auch Produkte entstehen. Da wäre Anfang ­Juni etwa der Start von iRentit. Eine Plattform, über die Vaude seine Ausrüstung nicht mehr in erster Linie verkaufen, sondern ver­leihen will. Eine Art weiterentwickelte Sharing Economy für Mittelständler. Vaude hat bei seinen Partnerhändler*innen Tauschstationen installiert, über die sich ein Großteil des Sortiments aus­leihen und später zurückgeben lässt.

Oder Mitte Juli. Da steht sie unter 80 Gästen und schaut, wie eine Upcycling-Plattform startet. Hier können Kund*innen zusammen mit Mitarbeiter*innen defekte Vaude-Artikel reparieren. Quasi Co-Working für Produktionsbetriebe. Hier überlässt es ­Antje von Dewitz, die sonst als ­Betonung des Prinzips deutscher Mittelstand auf das Etikett jedes Produkts ihr Gesicht drucken lässt, einer Kollegin, das Konzept in der Öffentlichkeit vorzustellen. „Überaus erfolgreich und authentisch“ habe sie es geschafft, „Vaude zu ­einer starken, wettbewerbsfähigen Marke konsequent weiterzuent­wickeln“, urteilt im Sommer schließlich die Jury des German Brand Award und ernennt sie zur Managerin des Jahres.

Als sie später wieder in Tettnang ist, wirkt Antje von Dewitz, als ­habe sich , ein Knoten gelöst: „Ich würde sagen, seit etwa einem Jahr hat das Ganze eine neue Leichtigkeit, ich denke, wir rücken dem ­Zustand, wie ich ihn mir wünsche, immer näher.“ Der Zustand heißt aber auch: Es geht ­immer weiter.

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