Allianz Warum Bäte sein Heil in Indien sucht

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Eine Lösung für alle

An einem schwülheißen Vormittag Anfang August steht Bätes Indienstatthalter Patel in einem der Großraumbüros in der dritten Etage des Hauptgebäudes. Lässig an die Wand gelehnt, begrüßt er seine Mannschaft. Der tiefe Teppich schluckt beinahe jedes Geräusch, an den Wänden hängen Uhren für sechs Zeitzonen und die Schlagworte aus Bätes Modernisierungsstrategie: „Grundsätzlich digital“, „technische Exzellenz“, „der Kunde im Mittelpunkt“. In Trivandrum ist es schlicht nicht möglich, der pastellfarbenen Grafik mit den Kernpunkten der Bäte-Agenda zu entkommen. In der Lobby des Allianz-Gebäudes, an den Pfeilern in den Großraumbüros, an den Wänden hinter den Sitzgruppen zum Ausruhen.

Digital or dead: So überleben Sie die digitale Zukunft

Rund 300 Programmierer tüfteln hier an einer neuen Version der Plattform Allianz Business System (ABS). ABS ist eine der wichtigsten Anwendungen der Allianz. Mit dem Programm erstellen Mitarbeiter rund um den Globus Policen, etwa für eine Kfz- oder eine Hausratversicherung, errechnen die Prämien für die Versicherung und bearbeiten Schäden. Bislang hatten die etwa 70 Landesgesellschaften alle mehr oder weniger ihre eigene Version des Systems. Bäte aber will nicht mehr, dass die Allianzer etwa in Frankreich, Indonesien oder Brasilien jeder für sich vor sich hin wurschteln. Er will die Systeme, so weit es geht, vereinheitlichen. Bäte will Transparenz, will Vergleichbarkeit herstellen, natürlich auch Synergien heben. Eine Kfz-Police, so sein Kalkül, ist ein Standardprodukt. Warum braucht da jede Allianz-Gesellschaft ihre eigene Version?

Momentan sitzen sie in Trivandrum in langen Reihen in ihren Cubicles und arbeiten daran, die Systeme für sieben osteuropäische Länder zusammenzuführen. Einige Mitarbeiter haben sich kleine Poster mit ihren Lieblings-Fußballclubs neben die Computer geklebt. Auf dem Bildschirm eines Programmierers bauen sich die Flaggen von Bulgarien, Kroatien, Rumänien, Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei auf. Patel ist gekommen, um zu schauen, wie weit seine Leute sind. Im Oktober will die Allianz die nächste Stufe des neuen Systems für Osteuropa scharf stellen: die Kfz-Versicherung für Rumänien. Der Programmierer zeigt Patel die Textfelder und Grafiken der neuen Version. Schlank, minimalistisch, übersichtlich kommt das System daher. „Schon bald haben wir Osteuropa komplett ausgerollt“, verspricht der Indienchef, „und dann“, fügt er rasch hinzu, „kommen weitere Regionen der Welt dazu.“

Das ist der neue Trend bei den Münchnern. Viel enger müsse man bei der Allianz künftig zusammenarbeiten, findet Turan Sahin. Seit gut fünf Jahren steht er nun in Diensten der Allianz-Tochter Allianz Technology und sorgt unter anderem dafür, dass sämtliche Allianz-Gesellschaften rund um den Globus immer die Technologie zur Verfügung haben, die sie brauchen. Head of Global Delivery Network lautet sein Titel. Sahin ist gewissermaßen für den weltweiten Nachschub zuständig. „Die Einheiten“, sagt er, „die bisher allein unterwegs waren, müssen zusammenrücken.“

Nicht alle im weitverzweigten Allianz-Reich finden das gut. Wo man zusammenrückt, herrscht auf einmal Vergleichbarkeit. Manche Manager, etwa die Chefs von Landesgesellschaften mit eher durchschnittlichen Leistungen, haben daran wenig Interesse. Wo man zusammenrückt, fallen unter Umständen auch Hierarchieebenen und Zuständigkeiten weg. Manch einer fürchtet um seine Privilegien.

Im Frühjahr dieses Jahres drohte der Streit zu eskalieren. Einzelne Allianz-Führungskräfte machten hinter den Kulissen Front gegen Bätes Reformagenda. Einige unschöne Geschichten sickerten nach außen, die Bäte in schlechtem Licht darstellten. Der Allianz-Chef versprach daraufhin, seine vielen Initiativen künftig besser zu erklären. Am Ehrgeiz seiner Vorgaben etwas zu ändern versprach er aber nicht. Fakt ist, dass die Allianz in ihren bisherigen Strukturen nicht zukunftsfähig ist. Bäte weiß, dass im Versicherungsgeschäft, so wie es in den vergangenen Jahrzehnten betrieben wurde, die Zeiten mit kräftigen Wachstumsraten vorbei sind. Entsprechend drängt die Zeit.

Für Sahin, den globalen Nachschubkoordinator, ist die Sache ohnehin klar: „Die Zeit der Diskussionen ist vorbei“, sagt er, „jetzt wird umgesetzt.“ Und dann fügt Sahin einen Satz an, den er als stellvertretend für die Stimmung auf der Arbeitsebene gewertet haben möchte: „Es ist nicht Olivers Agenda, es ist unsere gemeinsame Agenda.“

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