Chef-Klimatologe von MunichRe „Diese Schäden werden in ihrer Häufigkeit und Intensität steigen“

Teile von NRW und Rheinland-Pfalz haben seit Tagen mit schweren Überschwemmungen zu kämpfen. Quelle: dpa

Ernst Rauch ist Geowissenschaftler und Chef-Klimatologe des Rückversicherers MunichRe. Im Interview spricht er über das steigende Risiko von Großschäden durch Umweltkatastrophen und wie Versicherungen diese abdecken.

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WirtschaftsWoche: Herr Rauch, was war Ihr persönlicher Eindruck, als Sie die Bilder aus den überfluteten Orten gesehen und bald darauf die Nachrichten über mehrere Dutzend Tote in Deutschland vernommen haben?
Ernst Rauch: Die humanitäre Dimension ist tatsächlich nicht nur besonders bedauerlich, sondern auch besonders auffällig. Sie zeigt, dass das Element des Unvorhersehbaren besonders stark wirkt. Auf einmal ist die Sturzflut, die Wassergeschwindigkeit so reißend, wie man es an vielen Orten gar nicht erwartet hat. In Braunsbach in Baden-Württemberg und Simbach in Bayern sahen wir 2016 Ähnliches. Auch da wurden ganze Ortschaften von Wassermassen und Schlammlawinen regelrecht durchgespült innerhalb ganz kurzer Zeit.

Wie kommt es dazu?
Es ist wieder ein schweres Ereignis aus der Kategorie der so genannten Sommerunwetter. Was wir jetzt erleben, hat zum einen das so genannte Sturzflutelement: Ganz lokal oder regional auftretende hohe Niederschläge mit Auswirkungen nicht nur auf die Flusspegel. Auch in Regionen, in denen keine unmittelbare Nähe zu Flüssen gegeben ist, läuft innerhalb ganz kurzer Zeit das Wasser durch Ortschaften und durch Gebäude. Das ist eine besondere gefährliche Ausprägung, die massiv unterschätzt wird. Solche Sturzfluten sind eine typische Nebenwirkung aus Gewitter-Ereignissen. Lokal durch starke Niederschläge verursacht, da kann auch mal Hagel dabei sein und sogar Tornados. Das hatten wir ja auch erst kürzlich in der Tschechischen Republik.

In Kalifornien brennen erneut Wälder, Meldungen von vielen Toten durch Überschwemmungen kannten wir in Mitteleuropa aber bisher vor allem aus den Nachrichten - wenn etwa aus Asien berichtet wurde. Sind die tödlichen Folgen des Klimawandels nun auch bei uns angekommen?
Man muss vorsichtig sein, was die Kausalitäten im einzelnen betrifft. Aber die stationären Wetterlagen, die wir seit einiger Zeit häufiger haben mit immer wiederkehrenden schwersten Gewittern, Hagelschlägen und auch Tornados - aber auch mit Hitzewellen und Dürrefolgen - sind sehr wahrscheinlich mit dem Klimawandel in Verbindung zu bringen. Der meteorologische Ausdruck ist Persistenz. Wir beobachten diese Dauerhaftigkeit bereits seit einigen Jahren. Der Jetstream als treibendes Element für den Wechsel zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten ist wieder einmal in einer Phase der Verlangsamung und stärkeren Ausbuchtung nach Süden und nach Norden.

Ernst Rauch (60) ist Geowissenschaftler und Chef-Klimatologe des Rückversicherers MunichRe. Quelle: Imago

MunichRe zeichnet seit den 70er Jahren Großschäden auf. War abzusehen, dass das Risiko auch in Mitteleuropa steigt?
Ja. Bei diesen so genannten konvektiven Stürmen, also Gewittern mit ausgeprägtem Starkregen, Hagel und Tornado sehen wir eindeutig in den letzten Jahrzehnten eine Zunahme der Schäden und eine Zunahme der Schadenhäufigkeit. Es gibt Indizien dafür, dass dieser Schadentrend, den wir eindeutig belegen können, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch mit dem Klimawandel in Zusammenhang zu bringen ist.

Im gesamten Jahr 2020 mussten die Versicherer in Deutschland mit 1,95 Milliarden Euro für die Folgen von Naturgefahren wie Sturm, Hagel und Überschwemmungen aufkommen. Allein für den Juni dieses Jahres werden sie bereits auf 1,7 Milliarden Euro beziffert. Da sind die letzten Ereignisse noch gar nicht inbegriffen. Was heißt das für eine Volkswirtschaft, die sich auf solche Extreme einstellen muss?
Wir müssen davon ausgehen, dass diese Schäden in ihrer Häufigkeit und Intensität steigen. Das zeigt schon ein Blick in die Vergangenheit. Daraus ist abzuleiten: Das Wichtigste ist die Anpassung an diese Veränderung.

Versicherer können Schäden regulieren, aber wie soll diese Anpassung aussehen?
Es muss vor dem Eintreten eines Schadens verstärkt auf vorbeugende Maßnahmen gesetzt werden. In Deutschland gab es bisher typischerweise Schäden in Höhe von einigen wenigen Milliarden Euro pro Jahr. Es ist abzusehen, dass dieses Jahr ein schadenträchtiges wird. Wir werden uns mehr anstrengen müssen, diesen Schadenanstieg, diese Kurve abzuflachen. Andernfalls kommt man irgendwann in die Situation, dass aus der Verteilung der Schäden auf diejenigen, die sie zu bezahlen haben, eine soziale Frage wird. Die Versicherung verteilt ja nur. Der Ausgleich ist ein hoher ökonomischer Wert, aber wenn die Risiken steigen, müssen die Prämien auch steigen. Das geht nicht beliebig weit.

Die Risiken steigen und gerade derzeit auch die Kosten für die Schadenbeseitigung durch den Mangel an Baumaterialien. Für die Versicherer wird es teuer.
Aber genau dafür ist Versicherung da: Risiken erkennen und den Kunden abnehmen. Auf Jahresbasis spielt der Wettbewerb eine starke Rolle. Auf längere Sicht müssen die Beiträge dem Risiko entsprechen. Sonst ist das gesamte Versicherungsmodell nicht nachhaltig. Das Geschäftsmodell funktioniert nur, wenn die Prämien risikoadäquat sind.

Man hört ganz häufig von Seiten der Versicherer den Appell, Elementarschadenversicherungen abzuschließen. Was wäre denn aber zuvor schon zur Prävention nötig?
Das Thema Prävention muss deutlich stärker in den Vordergrund rücken. Der erste Schritt zur Prävention ist Transparenz. Der Hausbesitzer und jeder für sich selbst muss wissen, welche Gefahren es gibt und an welchen Orten. Das ist die Voraussetzung, um überhaupt kompetent handeln zu können und Vorsorge zu treffen. Das wurde bisher stark vernachlässigt. So genannte Weltkarten der Naturgefahren oder Deutschland-Gefährdungskarten gab es früher auf Papier. Heute gibt es sie digital. Unternehmen können schon heute ihre Standorte genau auf Risiken durch unterschiedliche Naturgefahren analysieren lassen. Die Werkzeuge sind da, wir setzen sie täglich ein. Unsere Kunden, die Erstversicherer, nutzen sie. Im Privatbereich sehe ich das noch nicht.

Wie sieht es mit der Bekämpfung des Klimawandels als Prävention aus? Kommen wir damit schon zu spät?
Das ist die zweite Ebene. Auf der kurzen Zeitskala ist die Anpassung an das nötig, was wir gar nicht mehr vermeiden können. Alles, was wir gerade sehen. Auf die lange Sicht kommt man an dem Thema Treibhausgas-Reduktion nicht vorbei. Wir, MunichRe, haben uns als Unternehmen auch zu den Zielen der Net-Zero Asset Owner Alliance und der Net-Zero Insurance Alliance der Vereinten Nationen verpflichtet. Die Welt und - weniger pauschal gesagt wir als Individuen und Unternehmen - jeder einzelne muss seinen Beitrag leisten. Allerdings wirkt Treibhausgasreduktion nur über Jahrzehnte hinweg, selbst wenn wir jetzt sofort die Emissionen steil nach unten fahren würden.

Das heißt, wir müssen noch Jahrzehnte mit solchen Unwettern rechnen?
CO2 wirkt als relevantes Treibhausgas in der Atmosphäre etwa 100 Jahre. Wir werden uns über zwei, drei Generationen mit den Folgen auseinandersetzen müssen, selbst wenn wir jetzt sehr stark reduzieren würden. Anpassung ist für den Moment das Wichtigste und geht auch am schnellsten.

Schadenregulierung auf Dauer ist teurer als Prävention?
Auf die Dauer ist der zu erwartende Anstieg der Schäden deutlich teurer als wenn wir jetzt mit Prävention beginnen, die am Ende den Schadenanstieg abdämpft. Langfristig betrachtet über zwei, drei Generationen gibt es jede Menge Hinweise und Studien, dass Anpassung der ökonomisch effizientere Ansatz ist.

Mehr zum Thema: Rund um die Uhr sind die Retter derzeit im Einsatz in den Überschwemmungsgebieten. Für viele Helfer ist es eine doppelte Belastung – denn auch in der Coronakrise sind sie weiter gefragt.

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