Medizintechnik Wenn der Maschinen-Mensch die Natur übertrumpft

Technik brachte den Menschen bis zum Mond, doch sein Körper blieb dabei unverändert – bisher. Moderne Prothesen und Implantate werden das ändern: Sie lassen Behinderte und Gesunde über sich selbst hinauswachsen.

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Besser im Berg mit Techno-Beinen - Hugh Herr würde seine Spezial-Prothesen nicht mehr gegen seine echten Gliedmaßen eintauschen wollen Quelle: Laif, Aurora, Andrew Kornylak

Steilwände sind Hugh Herrs Leidenschaft. Schon mit zwölf Jahren durchsteigt er schroffste Felsen, als sei es nichts. Ehrfurchtsvoll nennt die US-Kletterszene den Jungen aus Pennsylvania in ihren Gazetten „Baby Huey“. Er gilt als das Klettertalent der USA. Doch mit 17 Jahren scheint alles vorbei: Auf dem Weg zum Gipfel des Mount Washington verirrt er sich in einem Schneesturm – und wird erst drei Tage später gefunden. Die Beine sind erfroren und müssen amputiert werden. Die Karriere, scheint es im Winter 1982, ist zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat.

Doch schon nach wenigen Monaten, als er mit Beinprothesen das Gehen neu lernt, rafft sich Herr auf. Er trainiert wieder an einer Steilwand, beginnt, neue Steighilfen zu entwickeln, und schraubt, was das Zeug hält, bis er am Ende – dank seiner neuen High-Tech-Beine – ein noch besserer Bergsteiger ist, als er es vor dem Unfall war.

Die Extremsten unter den Extremsportlern
Der Extremsportler Patrick Edlinger ist im Alter von 52 Jahren gestorben. Er machte in den 80er Jahren in Frankreich das Freiklettern beliebt. Vor allem seine waghalsigen Abenteuer 700 Meter über den Gorges du Verdon, dem größten Canyon der französischen Alpen, gaben ihm den Ruf, ein Spider-Man der Schluchten zu sein. Nach einem Sturz im Jahr 1995 aus 18 Metern Höhe in den Calanques - den schroffen Felsen am Mittelmeer, nur 20 Kilometer von Marseille entfernt - lebte Edlinger zurückgezogen im Departement Alpes-de-Haute-Provence. Nach Medienberichten ist die Todesursache noch unklar. Quelle: dpa
Felix BaumgartnerDer Österreicher Felix Baumgartner ist als erster Mensch der Welt aus 30 Kilometern Höhe auf die Erde gesprungen. Für den Basejumper war dies lediglich der Textsprung. Sein Ziel ist es, aus fast 37 Kilometern zu springen. Dabei will er nur in einem Schutzanzug und mit einem Helm bekleidet die Schallmauer durchbrechen. Quelle: dapd
David BelleDer Franzose David Belle gilt als Gründer des Parkour. Belle lernte bei seinem Vater Raymond, einem ehemaligen Vietnamsoldaten, in den Wäldern Nordfrankreichs die Méthode Naturelle. Diese wurde vor allem Soldaten im Rahmen der militärischen Ausbildung beigebracht und setzt auf die Stärken des Individuums. Letztlich geht es darum, sich den effektivsten Weg durch seine Umgebung zu suchen und dabei Hindernisse zu überwinden. Als die Familie in einen Pariser Vorort zog, übertrug David Belle die Méthode Naturelle auf die urbane Umgebung und erfand so Parkour. Quelle: dpa
Nik WallendaIm Juni 2012 ist der amerikanische Artist Nik Wallenda über die tosenden Gischt der Niagarafälle balanciert. 60 Meter hoch schwebte das Drahtseil über dem Wasser. Die 550 Meter lange Strecke legte er in 25 Minuten zurück. Die Welt schaute dabei via Livecam zu, und vor Ort hielten Zehntausende die Daumen. Die Übertragung hatte der Sender ABC geliefert und darauf bestanden, dass Wallenda einen Sicherheitsgurt trägt. Es war das erste Mal, dass sich der Artist überhaupt auf diese Art absicherte. Quelle: REUTERS
Walerij RosowDer Basejumper Walerij Rosow zählt zu den wagemutigsten in der Basejumping-Szene. Bei Temperaturen von minus 30 Grad Celsius bestieg der Russe den Berg Ulvetanna in der Antarktis, um dann die 3000 Meter hohe Steilwand hinabzuspringen. 45 Sekunden flog er an der Felswand entlang, ehe er die Reißleine zum Fallschirm zog. Quelle: dpa
Johan Vervoort Einer der bekanntesten Basejumper der Welt ist der Belgier Johan Vervoort. 2007 ging er ein hohes Risiko ein und sprang von einem nur 22 Meter hohen Turm. Nach bisherigen Erkenntnissen ist dies die geringste Höhe, aus der sich ein Fallschirm überhaupt noch sicher öffnen lässt. Quelle: AP
Jean-Yves BlondeauEr ist der Mann der Rollen - der Franzose Jean Yves Blondeau ist in einem Rollenanzug eine der berühmtesten Straßen Chinas heruntergerast. 99 enge Kurven auf elf Kilometern bewältigte er in nicht einmal 20 Minuten. Quelle: REUTERS

Immer besser werden und sich selbst zu verbessern – das lässt Herr, der Biophysik studiert hat und inzwischen die Forschungsgruppe Biomechatronik am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) leitet, bis heute nicht los: Der mittlerweile 46-Jährige besitzt künstliche Beine, die ihn 2,40 Meter groß machen. So kann er an sich unerreichbare Griffe und Tritte im Berg noch erreichen. Modelle mit Titan-Spikes helfen ihm, sich ins Eis des Berges zu krallen. Oder sie enden in entenfußartigen Gummilappen, die auf glattem Stein haften.

Dank seiner High-Tech-Füße erklimmt Herr seit seinem Unfall Wände, die vor ihm kein Mensch bezwingen konnte. „Ich kann damit besser klettern als mit echten Beinen“, sagt er.

Ein Traum, so alt wie die Menschheit selbst

Über sich selbst hinauszuwachsen ist ein Traum, so alt wie die Menschheit selbst. Und so ist es dem Homo sapiens mit Hilfsmitteln wie dem Rad oder Erfindungen wie Flugzeugen und Raumschiffen im Laufe der letzten Jahrtausende gelungen, sich viel schneller fortzubewegen, als seine Füße ihn tragen – und sogar bis zum Mond zu fliegen. Doch keine der technologischen Innovationen hat den Menschen selbst verändert oder gar verbessert: In seiner körperlichen Entwicklung war er bisher auf die biologische Evolution angewiesen.

Damit ist jetzt Schluss, glauben Visionäre wie Herr: „Mensch und Maschine sind dabei, miteinander zu verschmelzen“ – zum Homo roboticus sozusagen.

Zahlen zu Prothesen und Implantaten

Für diese neue Spezies werden Unfallfolgen und Behinderungen nicht mehr nur repariert – Technologiesprünge in der Sensorik und Prothetik versetzen die Menschen in die Lage, Dinge zu tun, die ihnen bislang unmöglich waren: etwa Infrarot- oder Ultraschallwellen wahrzunehmen, Farben zu hören, Magnetismus zu spüren und das Gehirn zu tunen.

US-Forscher Herr sieht sich als Prototyp eines solchen neuen, optimierten Menschen. „Selbst wenn es möglich wäre – ich wollte meine echten Beine nicht wieder haben.“ Und selbst gesunde Menschen erschließen sich mithilfe elektronischer Bauteile diese neuen Sinneswelten. Sie lassen sich Sensoren und Computerchips in ihren Körper implantieren und verwandeln sich in sogenannte Cyborgs.

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