Steilwände sind Hugh Herrs Leidenschaft. Schon mit zwölf Jahren durchsteigt er schroffste Felsen, als sei es nichts. Ehrfurchtsvoll nennt die US-Kletterszene den Jungen aus Pennsylvania in ihren Gazetten „Baby Huey“. Er gilt als das Klettertalent der USA. Doch mit 17 Jahren scheint alles vorbei: Auf dem Weg zum Gipfel des Mount Washington verirrt er sich in einem Schneesturm – und wird erst drei Tage später gefunden. Die Beine sind erfroren und müssen amputiert werden. Die Karriere, scheint es im Winter 1982, ist zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat.
Doch schon nach wenigen Monaten, als er mit Beinprothesen das Gehen neu lernt, rafft sich Herr auf. Er trainiert wieder an einer Steilwand, beginnt, neue Steighilfen zu entwickeln, und schraubt, was das Zeug hält, bis er am Ende – dank seiner neuen High-Tech-Beine – ein noch besserer Bergsteiger ist, als er es vor dem Unfall war.
Immer besser werden und sich selbst zu verbessern – das lässt Herr, der Biophysik studiert hat und inzwischen die Forschungsgruppe Biomechatronik am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) leitet, bis heute nicht los: Der mittlerweile 46-Jährige besitzt künstliche Beine, die ihn 2,40 Meter groß machen. So kann er an sich unerreichbare Griffe und Tritte im Berg noch erreichen. Modelle mit Titan-Spikes helfen ihm, sich ins Eis des Berges zu krallen. Oder sie enden in entenfußartigen Gummilappen, die auf glattem Stein haften.
Dank seiner High-Tech-Füße erklimmt Herr seit seinem Unfall Wände, die vor ihm kein Mensch bezwingen konnte. „Ich kann damit besser klettern als mit echten Beinen“, sagt er.
Ein Traum, so alt wie die Menschheit selbst
Über sich selbst hinauszuwachsen ist ein Traum, so alt wie die Menschheit selbst. Und so ist es dem Homo sapiens mit Hilfsmitteln wie dem Rad oder Erfindungen wie Flugzeugen und Raumschiffen im Laufe der letzten Jahrtausende gelungen, sich viel schneller fortzubewegen, als seine Füße ihn tragen – und sogar bis zum Mond zu fliegen. Doch keine der technologischen Innovationen hat den Menschen selbst verändert oder gar verbessert: In seiner körperlichen Entwicklung war er bisher auf die biologische Evolution angewiesen.
Damit ist jetzt Schluss, glauben Visionäre wie Herr: „Mensch und Maschine sind dabei, miteinander zu verschmelzen“ – zum Homo roboticus sozusagen.
Zahlen zu Prothesen und Implantaten
... Euro kostet eine High-Tech-Prothese für das Bein.
...Taube bekommen in Deutschland pro Jahr ein Hörimplantat.
...Menschen bezeichnen sich als Body-Hacker.
Für diese neue Spezies werden Unfallfolgen und Behinderungen nicht mehr nur repariert – Technologiesprünge in der Sensorik und Prothetik versetzen die Menschen in die Lage, Dinge zu tun, die ihnen bislang unmöglich waren: etwa Infrarot- oder Ultraschallwellen wahrzunehmen, Farben zu hören, Magnetismus zu spüren und das Gehirn zu tunen.
US-Forscher Herr sieht sich als Prototyp eines solchen neuen, optimierten Menschen. „Selbst wenn es möglich wäre – ich wollte meine echten Beine nicht wieder haben.“ Und selbst gesunde Menschen erschließen sich mithilfe elektronischer Bauteile diese neuen Sinneswelten. Sie lassen sich Sensoren und Computerchips in ihren Körper implantieren und verwandeln sich in sogenannte Cyborgs.