Arbeitszeitexperte „Da fehlt mir der Sinn für die Realität“

Quelle: imago images

Die IG Metall fordert die Vier-Tage-Woche. Arbeitszeitexperte Guido Zander hält das für absurd und erklärt, was die Beschäftigten in der Produktion stattdessen entlasten könnte.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

WirtschaftsWoche: Herr Zander, die IG Metall möchte die Arbeitszeit für ihre Beschäftigten auf 32 Stunden drücken bei vollem Lohnausgleich. Laut Tarifkommission wäre das der Einstieg in die Vier-Tage-Woche und auch in anderen Bereichen wünschenswert. Was halten Sie davon?
Guido Zander: Dass die Vier-Tage-Woche in einzelnen Unternehmen gelingen kann, will ich gar nicht bestreiten. Aber im Mehrschichtbetrieb ist es entgegen allem, was so kolportiert wird, nicht automatisch möglich, die Produktivität derart zu heben, dass die Reduzierung der Arbeitszeit ausgeglichen werden kann. Eine Maschine läuft nicht automatisch schneller, nur weil jemand nur noch vier Tage die Woche arbeitet und deshalb vielleicht motivierter ist.

Die Stahl-Arbeitgeber haben die Forderung auch rundweg abgelehnt. 
Es gibt nach wie vor ineffiziente und unorganisierte Unternehmen. Da kann man die Produktivität eher heben. Gerade in Unternehmen im Mehrschichtbetrieb mit 40 Stunden, der einerseits Leerlauf bedingt, wenn wenig zu tun ist, und andererseits belastend ist und mit einer hohen Krankheitsquote einher geht. Wenn man aber wie die westdeutsche Metallindustrie schon bei 35 Stunden ist, dann sind große Teile des Effizienzgewinns bereits gehoben. Ihn linear fortzuschreiben und zu behaupten, das Mehr an Produktivität bei einer Reduzierung von 40 auf 36 Wochenstunden ließe sich bei einer Verkürzung von 36 auf 32 Stunden wiederholen, ist absurd. Irgendwann würde das heißen, dass wir am effizientesten sind, wenn wir nur noch 5 Stunden die Woche arbeiten. Der Effekt ist degressiv. Der Sweet Spot liegt irgendwo bei 35 oder 36 Stunden. Den verlässt die IG Metall jetzt.

Guido Zander. Quelle: Privat

Zur Person

Angesichts des Fachkräftemangels und des weltweiten Wettbewerbs fordern Arbeitgeber vielfach sogar eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit. Ist das die Maßnahme der Stunde?
Das ist genauso Blödsinn. Ich setze mich da gerne zwischen alle Stühle. Auch hier findet ein lineares Denken statt: Zwei Stunden mehr bei 40 Stunden als Beispiel entspricht fünf Prozent mehr Arbeitszeit. Also haben wir fünf Prozent mehr Output. Ich würde gerne unterscheiden zwischen White Collar und Blue Collar. In der Verwaltung mit Gleitzeit und Home Office-Möglichkeit halte ich es nicht für problematisch, 40 Stunden die Woche zu arbeiten. Das bringt niemanden um. Wenn man im Schichtbetrieb auf 42 Stunden geht, wird man dagegen relativ schnell noch einmal eine Erhöhung der Krankenquote bekommen, die diese Stunden locker auffrisst. 

Es kursierten in den vergangenen Monaten immer wieder Beispiele und Studien, die als Beleg für die Machbarkeit der Vier-Tage-Woche herangezogen wurde. Sie sagen, die Studien seien nicht belastbar beziehungsweise bewiesen zum Teil sogar das Gegenteil.
Das Problem ist, was in einem Großteil der medialen Berichterstattung daraus gemacht wurde. In Deutschland haben zu Beispiel Handwerksbetriebe die vorhandene Arbeitszeit auf vier Tage verteilt. Wir reden hier nicht über Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, sondern über Arbeitsverdichtung. Das ist ein Riesen-Unterschied. Bei der oft zitierten Studie aus Island ging es nie um die Vier-Tage-Woche. Sondern darum, die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst von 40 auf 36 Stunden zu reduzieren und zwar flexibel an fünf Tagen. Man kürzte Kaffeepausen, straffte Meetings und reduzierte teilweise Öffnungszeiten. Jetzt bin ich mal ein bisschen böse: Wenn man in Deutschland die Behörden richtig digitalisieren und ein bisschen effizienter machen würde, dann würden wir wahrscheinlich dieselbe Arbeit in drei Tagen hinkriegen. Trotzdem würde niemand die Forderung erheben, dass das überall möglich sein muss.

Es war kein produzierendes Unternehmen dabei?
In einer britischen Studie waren von 61 Unternehmen, die sich um die Teilnahme beworben hatten und deshalb schon die Grundvoraussetzungen mitbrachten, nur vier Produktionsbetriebe. Nach allem was ich recherchieren konnte, war kein einziges dabei, das mehrschichtig arbeitet. Mehrschichtunternehmen haben viel größere Probleme, die Vier-Tage-Woche einzuführen. Gerade die Metallindustrie ist ein Tarifverbund mit überwiegend Mehrschichtunternehmen. 
Das klingt nach einem Schlag in die Magengrube der Beschäftigten in der Produktion. Erneut sind vor allem Büroarbeiter im Vorteil, die schon von Gleitzeit, Vertrauensarbeit und Homeoffice profitieren. Schafft das nicht zusätzlich Ungerechtigkeit?
Das ist ein Riesen-Problem. Aus meiner Sicht sind Pflegepersonal sowie Beschäftigte in der Produktion und im Handel gegenüber diesen Angestellten Mitarbeiter zweiter Klasse. Um das zu ändern, müsste man überall die vorhandenen Chancen nutzen. Wenn man im Verwaltungsbereich eines Unternehmens die Effizienzen so heben kann, dass man mit 80 Prozent der Kapazität den gleichen Output kriegt, könnte man mit dem Effizienzgewinn zusätzlich Personal in der Produktion einstellen. Das könnte dort endlich zu Schichtplänen führen, die für die Beschäftigten entlastend sind. Um so zum Beispiel die Krankheitsquote zu senken und noch mehr Potenzial für Arbeitszeitreduzierung zu schöpfen. 



Das heißt, die Beschäftigten in der Verwaltung sollten selbst nichts von ihrem Effizienzgewinn haben und den Vorteil an die Kollegen in der Produktion weiterreichen. Glauben Sie ernsthaft, dass dazu jemand bereit wäre?
Natürlich machen sie das nicht. Ich bin da jetzt ein bisschen provokativ. Aber ich fände es eine gute Idee. Seit fünf bis zehn Jahren reden wir über New Work, aber es haben bisher einseitig ausschließlich Verwaltungsbereiche profitiert. Wenn man jetzt mal was macht, dann muss man in der Produktion anfangen. Wir sollten die Diskussion führen, wie wir Produktivitätsgewinne fair auf alle Stakeholder verteilten. 

Das kann dauern, und der Erfolg ist nicht garantiert. Unternehmen, gerade auch im produzierenden Gewerbe stehen allerdings aktuell im Wettbewerb um Fachkräfte. Was schlagen Sie vor?
Man sollte das Ganze flexibel spielen: In Zeiten, wenn viel zu tun ist, wird an fünf Tagen gearbeitet, bei geringerer Auslastung vielleicht nur an dreieinhalb Tagen. Dann gewinnen die Unternehmen an Flexibilität, können sich auch an unterschiedliche Bedarfssituationen anpassen, und die Mitarbeiter haben doch entscheidende Entlastungsvorteile. Wir sollten nicht vergessen, dass wir momentan in einer Rezession sind. Es gibt nicht wenige Unternehmen, die wirklich kämpfen müssen. Da fehlt mir momentan, bei aller Sympathie für neues Arbeiten und bessere Bedingungen der Mitarbeitenden, der Sinn für die Realität.

Werkzeughersteller Russland enteignet Maschinenbauer DMG Mori

Weil die Bundesregierung eine Investitionsgarantie gab, fordert der Konzern jetzt Schadensersatz. Der Vorfall in Russland ist aber nicht das einzige Thema, das am Standort in Bielefeld derzeit für Wirbel sorgt.

Gehalt „Wer pfiffige Ideen hat und hart arbeitet, sollte dafür auch belohnt werden“

In Unternehmen herrscht ein verqueres Leistungsdenken, sagt Interimsmanager Ulvi Aydin. Er fordert, High Performern mehr zu zahlen als den Chefs: „Es gibt Leute, die mehr leisten als andere – das sollte man anerkennen.“

Aktien Fünf gefallene Börsenstars mit der Hoffnung auf ein Comeback

Mehrere frühere Börsenlieblinge sind jetzt günstig zu haben. Ihre Kursschwäche hat Gründe – aber es gibt gute Argumente für eine Erholung. Fünf Turnaround-Ideen für Mutige.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Haben Sie auch einen Kompromiss für die Tarifpartner der Stahlindustrie parat?
Die IG Metall hat ja schon vor ein paar Jahren den richtigen Schritt gemacht – mit dem T-Zug. Entweder erhalten die Beschäftigten mehr Geld oder acht Tage mehr freie Zeit. Das ist indirekt bereits eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Wenn man den T-Zug noch in die 35-Stunden-Woche einrechnet, die wegen der bezahlten Pausen eigentlich eine 32,5-Tage-Woche ist, dann ist man schon nahe an dem geforderten Modell. Wenn überhaupt, würde ich sagen, lasst uns ein paar mehr freie Tage machen und eine moderate Lohnforderung. Aber lasst die Betriebe individuell spielen, wie sie das Thema angehen. Andernfalls werden Unternehmen mit Standorten im Ausland relativ schnell Produktion verlagern. Und für Mittelständler, die nur in Deutschland Werke haben, würde sich die Frage nach dem Überleben stellen.

Lesen Sie auch: Wir brauchen die Siebentagewoche, um uns die Viertagewoche leisten zu können!

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%