Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.
„Oh, hallo, bist du wieder schwanger?“
„Nein.“
Jeder kennt Situationen, in denen er am liebsten im Boden versunken wäre. Und damit beginnt schon die Erarbeitung der inneren Haltung. JEDER kennt sie aus eigener leidvoller Erfahrung. Es gehört zum Leben dazu, im Bett zu liegen, sich an Jahre alte Fettnäpfchen zu erinnern und den Blitz der Blamage auszuhalten, der einen immer wieder durchzieht, wenn man dran denkt.
Es wäre angenehmer, es würde nicht passieren. Wenn wir aber deshalb entscheiden, einfach lieber nichts Spontanes mehr zu sagen, keine mutigen Standpunkte zu vertreten, oder uns selber zu widersprechen, nur um zu verhindern, dass uns irgendwas einmal auf die Füße fallen könnte, dann verbergen wir einen spannenden Teil unserer Persönlichkeit. Und wer findet aalglatte Persönlichkeiten schon reizvoll?
1. Kränkungen im Keim ersticken
Bist du wieder schwanger? Nein. Dieser kurze Dialog kann zwei Menschen den Tag versauen. Der, deren Bauch aussieht, als sei ein Baby drin. Und dem, der gefragt hat. Wie geht der Dialog weiter? In 90 Prozent der Fälle wahrscheinlich so:
„Oh, ach so, sorry. Ich wollte nicht…“ Pochende rote Birne.
Aber warum eigentlich sorry? Sorry unterstellt, dass ein vorstehender Bauch ohne Baby darin ein Makel ist, der nicht auffallen darf. Damit hätten Sie sich in der Tat blamiert. Denn dieses Urteil wäre eine Anmaßung. Im schlimmsten Fall bekommen Sie zur Antwort: „Kein Grund sich zu entschuldigen. Ich mag meine Figur.“ Bäng!
Arbeiten Sie für solche Fälle an Ihrer inneren Haltung. Ihre Frage beinhaltet kein Urteil (Es sei denn, Sie wollen tatsächlich kränken, aber das wäre ein anderes Thema). Sehen Sie es so:
a. Der Bauch steht offenbar vor. Sonst hätten Sie nicht gefragt.
b. Es ist zwar nach aller Lebenserfahrung sehr wahrscheinlich, dass die Frau es lieber hätte, sie würde nicht schwanger aussehen, wenn sie es nicht ist. Aber….
c. …Bäuche dürfen auch dick sein, wenn kein Baby drin ist.
d. Wer sind Sie, dass Sie über die Figur eines anderen Menschen urteilen?
Unterm Strich: Es war von Ihnen nicht uncharmant gemeint. Sie haben sich geirrt. Aber ob schwanger oder nicht - beide Situationen sind akzeptabel. Ein Urteil über gut oder schlecht steckte in der Einschätzung nicht drin. Es gibt nichts zu entschuldigen. Und mit dieser Haltung könnte der Dialog so ablaufen:
„Oh, hallo, bist du wieder schwanger?“
„Nein.“
„Ach so. Sah für mich auf den ersten Blick so aus. Das sollte nicht uncharmant sein. Ich hätte mich für dich gefreut.“
„Nee, nee, nach zwei Kindern ist jetzt auch gut.“
Machen Sie einfach klar, was der Hintergedanke Ihrer Frage war, und dass keine böse Absicht dahinter gesteckt hat. So kann man Ihnen höchstens vorhalten, etwas zu spontan gefragt zu haben. Aber Sie wollen ja nicht vor jedem Satz immer alles doppelt und dreifach abwägen.
Jüngst habe ich zu einer Kollegin, die ich seit Monaten nicht mehr gesehen habe, gesagt:
„Wow, hübsche Kurzhaarfrisur.“
Sie erwiderte: „Tja, was bleibt mir übrig?“
„Wieso?“
„Na, das ist das Ergebnis der Chemotherapie.“
Oh nein. Ich wusste nicht, dass sie Krebs gehabt hatte. Hatte ich mich blamiert? Ich finde nicht. Ich wusste es ja nicht. Auch wenn ich es gerne gewusst hätte. Ich fragte:
„Ist denn alles gut gelaufen mit der Therapie?“
Sie nickte lächelnd. Das war eine fantastische Nachricht.
Ich lächelte erleichtert: „Aber du siehst: Mein Kompliment war ernst gemeint. Ich finde: Die kurzen Haare stehen dir wirklich. Auch wenn die Frisur keine freiwillige ist.“
Fazit: Betonen Sie einfach immer den harmlosen Hintergedanken: etwa Ihren guten Willen oder Ihre Neugier. Es ist ja die Wahrheit. Dass es auch mal schief läuft, kann jedem passieren, der den Mund aufmacht.