Ansturm auf Trade Republic und WebID „So eine verrückte Situation habe ich noch nicht erlebt“

Mal eben gemütlich identifizieren? Bei Trade Republic ist das gerade nicht so einfach möglich. Quelle: imago images

Der Hype um Gamestop beschert Neobrokern wie Trade Republic immer noch viele neue Kunden. Die Firma WebID überprüft die Neu-Anleger im Videochat. Gründer Frank Jorga berichtet von verrückten Tagen – und wütenden Mails.

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„Bitte warte kurz“. Der Hinweis in der App des mobilen Brokers Trade Republic klingt für viele Nutzer derzeit wie ein höhnischer Scherz. Denn wer sich neu für den Dienst registrieren möchte, braucht derzeit neben seinem „Ausweisdokument“, „guter Internetverbindung“ und „aktiver Gerätekamera“ vor allem: Geduld. Viel Geduld. 

Sogenannte Videoagenten überprüfen bei digitalen Finanzdienstleistern wie Trade Republic die Identität von neuen Kunden. Der Vorgang geht normalerweise sehr schnell: Ein paar Sekunden in die Kamera gucken und den Ausweis vor die Linse halten. Sind alle Daten korrekt, war es das schon.

Doch „normal“ ist bei bei Trade Republic gar nichts mehr. Und schuld daran ist der Hype um die Aktie des Computerspielehändlers Gamestop. Wer sich am frühen Montagnachmittag anmelden wollte, landete in der Warteschlange der Videoidentifikation auf Position 2069. Seitdem sinkt der Nutzerpegel, wenn auch nur langsam: Am Dienstag um 12:15 Uhr reichte es schon für Position 1575, am frühen Donnerstagmorgen gar für Platz 1199. Doch für den Nutzer bedeuten die Positionen erstmal alle das gleiche: Langes Warten ist angesagt. 

Der Ansturm neuer Kunden hält also offenbar an. Nachdem der Börsenhandel schon in den Monaten zuvor zum bevorzugten Lockdown-Hobby avanciert war, kennt die Begeisterung keine Grenzen mehr, seitdem sich zahlreiche Kleinanleger in dem Forum „Wallstreetbets“ auf Reddit organisiert hatten und Ende Januar kollektiv die Aktien des US-Unternehmens Gamestop kauften. Der Kurs ging steil nach oben, manche Privatanleger machten ein kleines Vermögen, während manche Hedgefonds große Summen verloren. Ein Hedgefonds geriet gar in Schieflage. Der Hype steckt andere Börsenneulinge an. Viele der Anleger nutzen für den Handel die sogenannten Neobroker. Etwa den US-Player Robinhood – oder eben das junge Unternehmen Trade Republic aus Berlin.

Ohne Geduld geht bei Trade Republic gerade nichts. Quelle: Screenshot

Und die Folgen des Hypes gehen weit über Gamestop und die Neobroker hinaus, wie etwa der Gründer der WebID Solutions GmbH, Frank Jorga, zu berichten weiß. Sein Unternehmen übernimmt die Videoidentifikation bei Trade Republic. Das Geschäft lief in den vergangenen Jahren schon gut, berichtet er. Und dann kam Gamestop. „Wir haben es gerade mit einem völlig ungewöhnlichen Ereignis zu tun“, sagt er. In den ersten Tagen sei zwar noch alles im „grünen Bereich“ gewesen. Die Zahl der Neukunden bei Trade Republic zog spürbar an, doch Jorga blieb gelassen: „Das ist etwas ganz Normales. Schwankungen gehören dazu. Und die können wir abbilden.“
Doch dabei blieb es nicht: „Dann schossen die Registrierungszahlen so richtig in die Höhe.“ Ein Anstieg, „wie wir ihn zuvor noch nicht gesehen haben. Und das Verrückte: Der Anstieg ebbt nicht ab.“

WebID ist ein Pionier unter den Identifikationsdiensten. Gründer Jorga überlegte sich Anfang der 2010er-Jahre eine Alternative zum bis dato analogen und gängigen „PostIdent“-Verfahren der Deutschen Post, bei dem Neukunden von Banken und Brokern etwa in einer Filiale oder vom Postboten an der Haustür identifiziert werden. Jorga führte immer wieder Gespräche mit dem Bundesfinanzministerium, erhielt 2014 die Genehmigung für die Identifikation per Videochat.

WebID-Gründer Frank Jorga: „Es ist nicht einfach für uns, damit umzugehen.“ Quelle: WebID

Heute sind neben Trade Republic Geldhäuser wie die Deutsche Bank, ING, DKB, Barclaycard und Santander Kunde. Wer bei Amazon oder Apple eine Finanzierung beantragt, muss sich häufig bei WebID identifizieren. 2020 setzte WebID voraussichtlich mehr als 20 Millionen Euro um. Im Vorjahr waren es noch weniger als 14. Im diesjährigen Januar lag der Umsatz laut Jorga 65 Prozent über dem von Januar 2020. Gerade baut das Unternehmen einen kleinen Standort in den USA auf.

Absehbar war der Erfolg anfangs nur für den Gründer selbst. „2012 wollte niemand mit mir gründen. Die meisten Leute haben nicht daran geglaubt, dass Identifikationen auf diese Weise mal der Standard im Web sein werden.“ Das hat sich radikal geändert, und so tat es auch die Post Jorga gleich und bietet seit mehreren Jahren auch die Identifikation über den Videochat an. Der deutsche Konkurrent IDnow gründete sich im Februar 2014.

Wenn Jorga über die aktuelle Lage spricht, dann fällt das Wort „verrückt“ fast in jedem zweiten Satz. Das liegt vielleicht auch an der eingespielten Routine, in der das Geschäft zuvor lief. Vor wenigen Wochen noch, „da wartete man als Neukunde von Trade Republic gar nicht.“ Mal hätten sich die Kunden auch zehn Sekunden oder gar eine Minute gedulden müssen. „Aber gerade ist es echt abstrus.“ Trade Republic selbst kommuniziert generell keine Neukundenzahlen. Und steht so auch nicht direkt als einer der Profiteure des Börsenchaos' da, bei dem nicht nur Geld gewonnen sondern auch viel verloren wurde. WebID-Gründer Jorga ordnet den Anstieg bei seinem Unternehmen im Zuge des Gamestop-Hypes bei „mehreren Hundert Prozent“ ein.

Eigentlich ein Grund zur Freude. Und zwar für beide Firmen: Trade Republic gewinnt mehr Kunden und bucht bei WebID dann mehr Kapazitäten für die Videoidentifikation. „Für uns ist die Situation auf der einen Seite natürlich sehr erfreulich: Wir bauen jetzt Personal auf, wachsen  mit dem starken Wachstum des Kunden mit“, bestätigt Jorga.

Doch da wäre noch die „andere Seite der Medaille“: Neues Personal findet WebID gerade einfach nicht schnell genug, dabei beschäftigt das Unternehmen direkt und indirekt bereits 1500 Menschen. Und so muss Jorga immer öfter den Frust ausbaden: „Die Endkunden sehen in der App von Trade Republic unser Logo. Und prompt sind wir schuld an den extrem langen Wartezeiten, obwohl wir nichts dafür können“, klagt Jorga. Sein Team vom Kundenservice, das in der Regel Fragen zur Funktionalität und Sicherheit von WebID beantwortet, bekomme gerade sehr viele Mails mit Inhalten wie „Was seid Ihr denn für ...“, „Macht doch mal schneller!“, „Was dauert das so lange?!“ oder „Könnt Ihr bei mir nicht mal eine Ausnahme machen?“.

Das aber sei schlicht unmöglich. „Bei diesen wahnsinnig hohen Volumina“ kommt WebID „nur begrenzt“ hinterher. Am Hauptstandort in Solingen sei zwar genug Platz. Auch externe Partner, mit denen das Unternehmen zusammenarbeitet, können Personal aufstocken. Aber: „Die Personalaufstockung braucht einen Mindestvorlauf“, sagt Jorga. Schließlich unterliegen die Arbeitsplätze der Regulierung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Das Geldwäschegesetz dient als Grundlage für die Videoidentifikation im Finanzgeschäft. Homeoffice etwa kann Jorga deshalb nur unter hohen Voraussetzungen gestatten. Und die erfüllen bislang nur „bestimmte Mitarbeiter“. „Es ist nicht einfach für uns, damit umzugehen.“ 

Andere Dienstleister machen gerade ähnliche Erfahrungen: „Wir sehen in Summe und über alle Branchen deutlich mehr Nachfrage in den letzten Wochen“, sagt Andreas Bodczek, CEO von IDnow. Allerdings führt er einen anderen Grund für den Boom an: Die gestiegene Nachfrage sei vor allem auf den Kursanstieg beim Bitcoin zurückzuführen. Bei der Kryptowährung herrscht Goldgräberstimmung: Seit Mitte Dezember stieg der Kurs um mehr als 70 Prozent. „Dann melden sich zahlreiche neue Kunden für Online-Dienste zum Handel mit Kryptowährungen an“, sagt Bodczek. Auch IDnow kann vieles einplanen. Schwankungen von bis zu 30 Prozent mehr Nachfrage könne das Unternehmen ohne zusätzliche Wartezeit abfangen. „Aber dennoch kommt es in solchen Fällen dann manchmal zu Peaks, die das geplante Volumen deutlich überschreiten“, sagt Bodczek.

IDnow-CEO Andreas Bodczek will die großen Nachfrage-Peaks mit einer Warteliste beherrschbar machen. Quelle: IDnow

Und für die ganz starken Kursanstiege beim Bitcoin hat der Firmenchef neben dem Aufstocken von Personal, wie es auch WebID macht, eine andere Lösung parat: „In dem Fall aktivieren wir außerdem eine Warteliste, in die Nutzer sich eintragen können, um nicht in der Warteschleife zu hängen. Der Nutzer wird dann informiert, wenn wir seine Anfrage bearbeiten können.“

Frank Jorga geht einen anderen Weg: Zum einen will er jetzt mit Trade Republic die Kommunikation anpassen und etwas entschärfen. „Damit wir keine falschen Erwartungen schüren.“ Zwar warnt der Broker an einer Stelle vor „längerer Wartezeit“, die man mit „Hochdruck“ reduzieren wolle. Einige Hinweise stammen noch aus der Prä-Gamestop-Zeit: Wer sich Anfang der Woche in die Warteschlange wagte, las dort etwas von einer durchschnittlichen Wartezeit von einer Minute. Selbst an Position 2069.

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Zumindest für einen möglichen nächsten Ansturm sieht Jorga sich aber besser gerüstet: Das Produkt nennt sich „Konto Ident“ und funktioniert rein digital. Wenn ein Neukunde sich schon mal für ein anderes Bank- oder Brokerkonto bei einem Mitarbeiter identifiziert hat, muss der Ausweis nur noch maschinell gescannt werden, der Neukunde loggt sich bei seinem bestehenden Konto ein – und tätigt eine Überweisung. Auch so habe er sich dann konform zum Geldwäschegesetz identifiziert, verspricht Jorga. Verfügbar ist das Produkt bereits, Trade Republic aber nutzt es noch nicht. Und so bleibt ihm vorerst nur der Humor: „Wir könnten unsere Mitarbeiter höchstens noch auffordern, schneller zu reden.“ 

Mehr zum Thema: Dürfen Broker einzelne Aktien vom Handel ausschließen? Die wichtigsten Antworten zum Gamestop-Wirrwarr.

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