Krisenstimmung bei Start-ups Von der Euphorie in die Entlassungswelle?

Quelle: Getty Images

Mit dem Absturz der Techaktien werden Investoren skeptischer und Gründer nervöser. Alex von Frankenberg leitet den größten Frühphaseninvestor des Landes. Er sieht zwar noch keinen Grund zur Panik bei Start-ups – aber zum Handeln.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Über 4000 Entlassungen beim Lieferdienst Getir, 700 beim Zahlungsdienstleister Klarna, 50 beim digitalen Banking-Anbieter Kontist: In den vergangenen Tagen und Wochen verkündeten schnell wachsende Techfirmen weltweit plötzlich negative Nachrichten. Nach Jahren der stetig wachsenden Finanzierungsrunden fürchten manche Geldgeber und Gründer jetzt einen schmerzhaften Abschwung. Alex von Frankenberg ist Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds (HTGF), der seit 2005 eine Mischung aus staatlichem und privatem Kapital in junge Techfirmen investiert. Aktuell ist der Investor an 320 Start-ups beteiligt. Im Interview verrät von Frankenberg, warum die Nervosität in der Branche plötzlich so groß ist, warum er für Deutschland vorsichtig optimistisch ist – und welche Fähigkeiten jetzt bei Gründerinnen und Gründern gefragt sind.

WirtschaftsWoche: In den USA haben einige Investoren schon warnende Briefe an ihre Start-ups geschrieben – um sie auf eine harte Zeit vorzubereiten. Haben Sie das auch schon gemacht?
Alex von Frankenberg: Nein, das haben wir nicht. Unsere Portfoliounternehmen sind für ihren eigenen Erfolg verantwortlich, wir helfen nur. Und die Gründerinnen und Gründer kriegen mit, was passiert.

Was passiert denn?
Die Zinsen steigen, die Inflation auch, dazu kommen Probleme in den Lieferketten, eine mögliche Energieunsicherheit, der Ukrainekrieg und die Ungewissheit, wie es mit Corona im Herbst weitergeht. Das sorgt für viel Unsicherheit an den Märkten. Die Techwerte an den Aktienmärkten sind stark gesunken. Und das drückt auf die gesamte Wertschöpfungskette von Start-ups.

Alex von Frankenberg ist Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds (HTGF) Quelle: Hightech Gründerfonds

Droht der so stark gewachsenen deutschen Start-up-Szene nun ein entscheidender Rückschlag?
Ob es wirklich dramatisch wird, wissen wir nicht. Es gab sicher zuletzt eher Übertreibungen nach oben – vielleicht kommen wir nun auf ein normales Maß zurück. Jetzt kommen ganz viele negative Faktoren und Befürchtungen zusammen. Bewahrheiten die sich nicht, kann das Pendel wieder zurückschwingen. Aber klar: Es besteht immer die Möglichkeit, dass es noch viel schlimmer kommen kann. Wenn ein Start-up jetzt Geld aufnehmen kann, ist das eine kluge Sache, um länger durchhalten zu können.

Einige Start-ups – in Deutschland etwa Gorillas, Kontist oder Nuri – haben in der vergangenen Woche bereits größere Entlassungsrunden angekündigt. Ist das der richtige Weg?
Das Gute bei Start-ups ist, dass sie klein und flexibel sind – und daher in der Regel krisenresistenter. Entlassungen gehören zu diesen Anpassungsprozessen dazu. Für den Einzelnen sind sie natürlich unangenehm. Aber für das Unternehmen kann es gut sein, weil man keine großen Kostenstrukturen mit durch die Krise nimmt. Die Herausforderung ist es natürlich, keine Muskeln wegzuschneiden, während man das Fett wegschneidet. Von außen ist es schwer zu beurteilen, ob das immer gelingt.



Welche Fähigkeiten sind jetzt bei Gründerinnen und Gründern gefragt?
Das Liquiditätsmanagement ist immer eine wichtige Aufgabe. Jetzt gewinnt sie aber noch einmal an Bedeutung. Wenn ich Leute entlassen muss, brauche ich zudem die Fähigkeit, die zu motivieren, die bleiben. Denn es geht zwar zum einen darum, unnötige Kosten wegzunehmen. Doch Start-ups müssen auch weiter ihre Marktchancen wahrnehmen. Gründer müssen jetzt gleichzeitig bremsen und Gas geben.

Lesen Sie auch: Seitenwechsel – Wenn Gründer zu Investoren werden

Wie kann denn Gas geben in der Krise aussehen?
Innovation verliert ja nicht an Bedeutung, nur weil Krise ist. Es können sogar neue Chancen entstehen. Einige Start-ups kommen eventuell in den kommenden Monaten besser an die dringend benötigten IT-Spezialisten heran, die in anderen Start-ups entlassen werden mussten.

Start-ups investieren oft aggressiv, um sich Marktanteile zu sichern – ohne auf die Kosten zu achten. Kann diese Strategie noch funktionieren?
Es wird jetzt wichtiger, auf die Balance zwischen Wachstum und Profitabilität zu achten. Wenn ich mir ohne Probleme neues Geld besorgen kann, kann ich Gas geben ohne Rücksicht auf Verluste – und so viel wachsen wie möglich. Wenn die Kapitalbeschaffung schwieriger wird, muss man stärker auf die Profitabilität achten. Die Schraube muss bei einigen Start-ups neu justiert werden.

Haben Sie Sorgen um die Start-ups in Ihrem Portfolio?
Nein. In der Coronakrise haben wir gesehen, wie gut Gründerinnen und Gründer die Zeit überstanden haben. Das haben wir auch in Krisen der Vorjahre beobachtet. Start-ups scheitern, wenn sie etwas machen, was niemand braucht. Oder sie scheitern, weil sich die Gründer zerstreiten. Aber dass sie nur wegen einer Krise scheitern, das ist selten.

Die US-Investoren warnen ihre Start-ups davor, dass bald Finanzierungsrunden viel schwieriger werden könnten. Teilen Sie die Befürchtungen?
Natürlich muss man die Realität anerkennen: Vor einem halben Jahr haben die Investoren noch reihenweise von sich aus den Start-ups das Geld angeboten. Jetzt klopfen vielleicht nicht mehr so viele an. Aber dann muss man nun als Gründer wieder aktiver werden.

Die nächste Finanzierungsrunde kann also klappen?
Die gute Nachricht ist: In den vergangenen Jahren wurde viel frisches Geld eingesammelt. Nach unserer Zählung sind es etwa 50 Fonds, die in den vergangenen zwei Jahren in Deutschland neues Kapital erhalten haben. Das Geld ist also da, das Finanzierungsumfeld wird sich nicht so schnell eintrüben. Problematisch könnte es nur werden, wenn die Fonds wiederum von ihren Investoren das Geld irgendwann abrufen – und es dann nicht erhalten.

Abbau von Jobs Früher in die Rente: So viel Abfindung brauchen Sie

In Zeiten von Personalabbau stehen oft ältere Mitarbeiter im Fokus, etwa bei Volkswagen. Mit ausreichender Abfindung können sie Einbußen bei einer Frührente ausgleichen. Wie viel? So finden Sie es in 5 Schritten heraus.

Fruchtbarkeitskliniken Warum sich viele Deutsche ihren Kinderwunsch nur in Spanien erfüllen können

Fertilitätskliniken boomen. Viele Paare zieht es nach Spanien, wo vieles möglich ist, was Deutschland nicht erlaubt.

Peter Herweck Dieser Überläufer macht Schneider Electric zum besseren Siemens

Schneider Electric ist bei KI in der Position, die Siemens gern hätte. Chef der Erfolgstruppe: Ex-Siemens-Mann Peter Herweck.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Einige Start-ups fürchten Downrounds, also sinkende Bewertungen in kommenden Finanzierungsrunden.
Vielleicht gehen die Bewertungen tatsächlich etwas herunter. Das sieht auf dem Papier blöd aus und fühlt sich natürlich nicht gut an, wenn das eigene Start-up plötzlich nur noch 70 Millionen statt 100 Millionen Euro wert ist. Da werden die eigenen Anteile und die Anteile der Investoren stärker verwässert. Aber da muss man dann durch.

Werden die Gelegenheiten für Investoren günstiger?
In jedem Fall ist das auch eine Chance. Es gab in den vergangenen Monat schon extrem hohe Bewertungen in der Seed-Phase, bei denen wir uns gefragt haben, wie das zu einem erzielbaren Verkaufspreis passen soll. Einzelne Gründer haben von uns deshalb kein Geld bekommen. Solange das nun von einer unfair hohen Bewertung zu einer normalen Einschätzung führt und nicht zu einer unfair niedrigen Bewertung, ist das für alle Seiten gut. Aber was fair ist, da hat natürlich jeder ein anderes Gefühl.

Lesen Sie auch: Immer mehr Frauen empfinden ihren Job als stressig. Wie regeln das Unternehmerinnen, die noch mehr arbeiten als die meisten Angestellten?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%