Wagniskapitalgeber Picus „In der Gründerszene herrscht eine große Bereitschaft, etwas zurückzugeben“

Seite 2/2

„Nach einer halben Stunde Gespräch wissen wir mehr als nach zehn Stunden Internetrecherche"

Inwieweit ist ein Hintergrund als Berater, in einem Großkonzern oder Start-up also aussagekräftig für Sie?
Godenrath: Es hilft schon einzuordnen, mit wem wir sprechen wollen. Aber um wirklich einschätzen zu können, wer von denen schließlich erfolgreich sein wird, brauchen wir das persönliche Gespräch. Das geht nicht über den CV. Nach einer halben Stunde Gespräch wissen wir mehr als nach zehn Stunden Internetrecherche.

Mit wie vielen Gründern sprechen Sie im Monat?
Godenrath: Wir bearbeiten pro Woche etwa 1000 Start-up-Leads über verschiedenste Kanäle, davon sprechen wir mit etwa 100 pro Woche. Wir investieren aber nur in ein bis zwei pro Monat. Wir sind zwar ein überschaubares Team von 30 Leuten, im Investment-Team etwa 20, aber global aufgestellt. Wir haben Büros in München, Berlin, London, New York, Bangalore und bald auch in Peking. Und wir sprechen auch mit vielen potenziellen Gründern, die noch gar nicht gegründet haben, sondern eher sagen, dass sie sich erstmal einen Bereich anschauen und erstmal einen Sparringspartner brauchen.

Gründer wie Freya Oehle und Familienunternehmer wie Sabine Herold teilen viele Erfahrungen, trotzdem schauen sie oft mit Unverständnis aufeinander. Zeit für ein klärendes Gespräch – und klare Worte.
von Konrad Fischer, Kristin Rau

Erkennen Sie eine Exit-Tendenz bei der neuen Gründergeneration?
Reichert: Wir suchen uns ja eher diejenigen aus, die keinen kurzfristigen Exit suchen. Aber wenn man sich den Markt anschaut, gibt es immer beide. Ein gutes Beispiel sind die Serien-Gründer, die es auch in Deutschland mehr und mehr gibt. Die haben theoretisch ihre Schäfchen im Trockenen, und machen es nicht mehr für das Geld. Bei denen sieht man ganz klar: Sie sind Herzblutunternehmer. Zum Beispiel Mario Kohle, der als zweites Start-up Enpal gegründet hat: seine Vision, einen neuartigen dezentralen Energieprovider basierend auf erneuerbaren Energien aufzubauen, ist ja sehr langfristig. Das setzt man nicht in zwei, drei Jahren um. Herr Kohle stellt sich die Frage: Wie leben meine Kinder später mal auf diesem Planeten? Wohingegen bei Gründern, die frisch aus der Universität heraus gründen, der Exit tendenziell interessanter ist – einfach um das Risiko rauszunehmen. Aber fairerweise sieht man auch im aktuellen Markt, dass es für Gründer über Anteilsverkäufe in späteren Finanzierungsrunden die Möglichkeit gibt, das Risiko zu reduzieren.

Godenrath: Wenn ich eine Exit-Entscheidung für meine Firma habe und noch jung bin, also finanziell nicht abgesichert, dann erscheint es attraktiv. Wenn ich aber ein Gründer bin, der richtig für sein Thema brennt, dem es darum geht, langfristig ein Problem zu lösen, dann werde ich den Exit wahrscheinlich nicht wahrnehmen. Das finden wir als Investoren spannend. Es gibt immer das Risiko, dass langfristig irgendetwas schiefgeht. Aber ganz ohne Risiko ist Unternehmertum selten möglich. Einen möglichen Exit sprechen wir deshalb mit den Gründern auch immer früh und klar an: Wir sind nicht daran interessiert, in drei Jahren eine Firma zu verkaufen, sondern in Firmen zu investieren, die gewisse Bereiche nachhaltig beeinflussen, idealerweise auf globaler Ebene.

Auch wenn es Exits vielleicht nicht in der Masse gibt, gelangen mehr und mehr junge Unternehmer zu erheblichem Wohlstand, auch durch größere Finanzierungsrunden.
Reichert: Man hat schon vor Corona den Trend gesehen, dass US-Investoren in europäische Start-ups investieren und etwa vermehrt Büros in London eröffnen. Die durch Corona stark genutzte Videotelefonie hat diese Entwicklung noch einmal beschleunigt und den Investoren mehr Komfort gegeben, in Gründer zu investieren, die sie nicht persönlich getroffen haben. Aber der Hauptgrund ist schlicht, dass hier nach wie vor weniger Kapital im Markt ist als in den USA. Dadurch sind die Bewertungen häufig noch etwas niedriger und somit attraktiver als bei vergleichbaren Firmen in den USA und das ist natürlich sehr interessant für US-Investoren.

Wie äußert sich Wohlstand bei der jungen Gründergeneration?
Reichert: Man sieht in der Generation, dass sie viel zurückgeben wollen, auch auf der finanziellen Seite. Etwa anhand der Initiativen „Leaders for climate action“ oder „Founders Pledge“, wo sich viele erfolgreiche Gründer zusammenschließen, um den Klimawandel zu bekämpfen, oder Teile ihrer privaten Erlöse für wohltätige Zwecke spenden. In der Gründerszene herrscht eine große Bereitschaft, etwas zurückzugeben.

Godenrath: Man wird bei Gründern, die viel Kapital zur Verfügung haben, weil sie etwas sehr Erfolgreiches aufgebaut haben, nicht drum herumkommen, dass sie sich hier und da mal ein Statussymbol gönnen. Das will ich gar nicht absprechen oder bewerten. Aber viele denken auch hierbei sehr systematisch darüber nach: Was kann ich jetzt Sinnvolles mit dem Geld anstellen? Diese Leute verfügen meist über ein wertvolles, breites Netzwerk, um Summen an Kapital einzusammeln, mit denen einiges möglich ist. Das sehen wir immer öfter. So etwas macht langfristig wohl auch glücklicher als ein schickes Auto oder ein Ferienhaus auf Sylt.

Mal abgesehen von Spenden: Worin investiert die neue Gründergeneration? Sind Immobilien die erste Wahl?
Godenrath: Immobilien sind schon präsent, weil gewisse Anlageklassen momentan nicht so attraktiv sind. Und wenn ich schnell zu Kapital komme, überlege ich mir, wie ich diversifiziere. Da ist es sinnvoll, auch in Immobilien zu investieren. Dabei geht es wohl weniger um Returns, sondern um Risikostreuung. Viele investieren auch direkt wieder in Start-ups, die thematisch ähnlich sind wie ihre eigenen: Daran sieht man, dass Gründer ihr Geld in Themen investieren, an die sie persönlich glauben. Wenn man sich Portfolios von Gründern anschaut, ist direkt klar erkennbar, für welche Themen sie sich begeistern und was sie unterstützen wollen.



Was ist denn das Statussymbol der neuen Generation?
Godenrath: Ein Beteiligungs-Portfolio, mit Fokus auf Bereiche, die sie persönlich vorantreiben wollen, haben wahrscheinlich die meisten. Das dürfte die größte Gemeinsamkeit unter den neuen Gründern sein.

Mehr zum Thema: Dax, Uni, Mittelstand: Von diesem Ökosystem profitieren deutsche Start-ups

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%