Die Beschäftigungskluft Was tun zwischen später Arbeitslosigkeit und Rente?

Späte Arbeitslosigkeit: Was tun vor der Rente? Quelle: Fotolia

Zwei Drittel der Arbeitskräfte über 55 Jahren finden keine neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mehr. Der Grund: Unternehmen haben massive Vorurteile gegenüber „Älteren“, wie eine aktuelle Studie zeigt.

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Der Arbeitsmarkt ist günstig wie nie, auch 2019 sollen die Arbeitslosenzahlen weiter sinken. Doch trotz demografischen Wandels und Fachkräftemangels kommt die Vollbeschäftigung bei einer Personengruppe nicht an: Mitarbeiter 50 plus. Der Anteil der Arbeitslosen im Alter von 55 bis 65 Jahren ist laut Bericht 11/2018 der Bundesagentur für Arbeit zur „Situation von Älteren“ zwischen 2007 und 2017 von 13 auf 21 Prozent gestiegen, wenngleich die absoluten Zahlen zurückgegangen sind.

2017 waren 530.000 Personen zwischen 55 und 65 Jahren arbeitslos gemeldet. Das ist jeder fünfte Arbeitssuchende in Deutschland. Davon finden laut einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarktforschung (IAB) zu den „Wiederbeschäftigungschancen Älterer“ nur 35 Prozent innerhalb der ersten beiden Jahre nach Verlust des Arbeitsplatzes eine neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, desto schlechter werden die Perspektiven: „Von den Männern und Frauen unter 50 findet immerhin noch mehr als die Hälfte innerhalb der ersten sechs Monate eine neue Stelle. Ab 55 Jahren sinken die Chancen signifikant, ab 58 Jahren wird es richtig kritisch: Wer dann seinen Job verliert, der findet sehr häufig auch keinen neuen mehr“, sagt IAB-Studienleiterin Katja Wolf.

In der Studie geben 70 Prozent der befragten Arbeitsagenturvermittler „grundsätzliche Vorbehalte“ der Unternehmen gegenüber älteren Arbeitskräften als eines der häufigsten Vermittlungshemmnisse an. Laut IAB eine ebenfalls oft angeführte Begründung: Die Einarbeitung Jüngerer würde sich mehr lohnen, da die zu erwartende Betriebszugehörigkeit länger sei – ein Treppenwitz angesichts der ausgeprägten Wechselfreudigkeit der umworbenen Generation Y. „Eines der schwerwiegendsten Probleme bei der Vermittlung sind die Vorurteile gegenüber Älteren. Das ist kein deutsches Phänomen. Auch Studien in Schweden, Frankreich und den USA zeigen: Bei gleicher Qualifikation werden Jüngere eingestellt. Man kann hier schon von einer gewissen Altersdiskriminierung reden“, kommentiert Studienleiterin Wolf die Ergebnisse.

Konjunktur kommt nur langsam bei den Älteren an

Eine Ursache für die vom IAB ermittelten „allgemeinen Vorbehalte“ seitens der Unternehmer sieht Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auch in immer kürzeren Umstrukturierungszyklen: „Gerade die großen Unternehmen suchen eine sehr flexible, sich sehr schnell einarbeitende und vor allem sich unkritisch anpassende Belegschaft. Ältere Fach- und Führungskräfte haben ein großes Erfahrungswissen und betrachten wechselnde Unternehmensstrategien eher kritisch – und ziehen sie womöglich in Zweifel“, sagt der DIW-Arbeitsmarktexperte.

Noch sei eine Abnahme der Arbeitslosigkeit bei 55- bis 65-Jährigen in Deutschland trotz konjunkturellen Aufschwungs kaum zu verzeichnen. Doch die Fixierung auf möglichst junge Mitarbeiter ebbe langsam ab: „Unternehmen beginnen zu verstehen, dass sie das Humankapital des Alters und die betriebswirtschaftlichen Vorteile gemischter Teams mitnehmen müssen, um erfolgreich zu sein.“

Rentenalter steigt, Langzeitarbeitslosigkeit auch

Noch ist eine altersneutrale Personalpolitik trotz nachgewiesener Vorteile gemischter Belegschaften noch nicht bei der Mehrzahl der deutschen Unternehmen angekommen. Der aktuelle Bericht der Bundesagentur für Arbeit zur „Situation von Älteren“ zeigt, dass sie stärker als der Durchschnitt von Arbeitslosigkeit betroffen sind und auch häufiger langzeitarbeitslos bleiben – obwohl ihnen seltener als jüngeren Arbeitskräften die formalen Qualifikationen fehlen.

Zwar ist die jüngst vom Bundesarbeitsministerium gemeldete „Erwerbstätigenquote“ der 55- bis 65-Jährigen von gut 51 Prozent im Jahr 2007 auf rund 70 Prozent im Jahr 2017 gestiegen, doch sind darin auch Selbstständige, Mini-Jobber und andere Erwerbsformen enthalten. Der Anteil sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter Arbeitnehmer im Alter von 50 bis 65 Jahren ist laut IAB hingegen lediglich von einem Drittel im Jahr 2000 auf 54 Prozent im Jahr 2015 gestiegen (prozentuale Beschäftigungsquoten 2017/2018 liegen derzeit nicht vor). Doch mit der sukzessiven Erhöhung des Renteneintrittsalters und der Abschaffung staatlich geförderter Frühverrentungsprogramme hat sich eben auch die Phase der Erwerbstätigkeit mit dem Risiko des Jobverlusts deutlich verlängert.

Hier entsteht eine Kluft zwischen dem Einstellungs- und Kündigungsverhalten von Unternehmen und politischen Forderungen: Auf der einen Seite Unternehmer, die Vorurteile gegenüber älteren Mitarbeitern haben und Fachkräftemangel lieber mit Teilzeitaufstockung und Auslands-Know-how ausgleichen oder Positionen im Zweifelsfall sogar länger unbesetzt lassen. Auf der anderen Seite politische Forderungen nach einem immer höheren Renteneintrittsalter in Verbindung mit sinkenden Rentenbezügen.

Arbeitssuchende 50plus sind zwar mit 15 bis 24 Monaten Anspruch auf Arbeitslosengeld länger abgesichert als Jüngere mit maximal 12 Monaten. Doch aufgrund ihrer geringen Wiederbeschäftigungschancen fallen sie wesentlich häufiger in den Hartz IV-Bezug – egal, wie lange und zu welchem Gehalt sie zuvor gearbeitet haben. Die finanzielle Sicherung während der Beschäftigungskluft muss dann im Zweifelsfall privat abgefangen werden, wobei längere Arbeitslosenphasen mit massiven Rentenabschlägen verbunden sind. Das bestätigt auch IAB-Studienleiterin Katja Wolf: „Insbesondere ehemalige Fach- und Führungskräfte haben in der Regel Ersparnisse oder auch Vermögen, das sie mit Ablauf des Arbeitslosengeldes erst einmal – bis auf einen Freibetrag – aufbrauchen müssen, bevor sie Anspruch auf Hartz IV haben. Oder es gibt einen berufstätigen Ehepartner, der das ausgleicht. Viele nehmen auch eine geringfügige Beschäftigung an.“

Das zeigt auch der aktuelle BA-Bericht zur „Situation von Älteren“: Während die Zahl der Mini-Jobber insgesamt zurückgegangen ist, gab es 2017 bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten zwischen 55 und 65 Jahren eine Zunahme von 17 Prozent.

Instrumente und Lösungen nicht in Sicht

Offenbar ist die Lage der über eine halbe Million bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern gemeldeten älteren Arbeitssuchenden mit geringen Wiederbeschäftigungschancen – darin Mini-Jobber, Hartz-IV-Aufstocker und in Weiterbildungsmaßnahmen Geparkte noch nicht eingerechnet – politisch noch nicht angekommen.

Wie die IAB-Wiederbeschäftigungs-Studie zeigt, ist dementsprechend auch die Unzufriedenheit unter den Angestellten der Arbeitsagentur groß: „Den Vermittlungsfachkräften stehen aktuell nur wenige Angebote speziell für ältere Arbeitslose zur Verfügung. Hier wünschen sich über 80 Prozent der Befragten Anpassungen und sehen Ergänzungsbedarf“, sagt Pia Homrighausen, die die Studie mit Katja Wolf geleitet hat. Zu den wenigen Angeboten für Ältere gehöre der Lohnkostenzuschuss, wonach die Arbeitsagentur dem Arbeitsgeber das Gehalt von Arbeitskräften 50plus höchstens drei Jahre mit bis zu 50 Prozent bezuschusse.

Laut Arbeitsförderungsexpertin Homrighausen sind gut qualifizierte Fach- und Führungskräfte und ehemalige Manager jedoch eigentlich nicht die Zielgruppe solchen Lohnkostenzuschusses, der „Produktivitätsdefizite“ ausgleichen soll: „Gehaltszuschüsse an den Arbeitgeber werden oftmals als falsches Signal empfunden, weil sie suggerieren, dass ältere Mitarbeiter weniger leisten. Insbesondere für Hochqualifizierte und ehemals gut Verdienende könnte es sinnvoller sein, den 2011 abgeschafften Lohnzuschuss, der direkt an die Arbeitnehmer gezahlt wird, wieder einzuführen. Dieser federt ab, dass diese Gruppen oft nur zu einem geringeren Gehalt wieder eine neue Beschäftigung finden können.“

Von den befragten Arbeitsagenturmitarbeitern halten auch nur 55 Prozent die derzeit ausgezahlten Lohnkostenzuschüsse an den Arbeitgeber für sinnvoll – und zwar bei der Vermittlung von weniger Qualifizierten, etwa nach längerer Elternzeit oder bei veralteten Kenntnissen. Weitere 48 Prozent sprechen sich für eine gezielte Beratung von Unternehmen aus, um die in der IAB-Studie nachgewiesenen Vorurteile gegenüber älteren Mitarbeitern und Bewerbern abzubauen – und eine vernünftige Personalpolitik einzuleiten.

Wie Olaf Scholz im Interview mit WirtschaftsWoche Online sagt, hat „Hubertus Heil als Arbeitsminister ein besonderes Auge darauf“. Auf Nachfrage, was getan werde, um die Vorurteile der Unternehmen abzubauen, teilte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit, dass der Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit Unternehmen bereits berate, um für die Potenziale Älterer und die Vorteile altersgemischter Teams zu sensibilisieren und auch Eingliederungszuschüsse und Weiterbildungen gewähre, um ältere Arbeitnehmer zu vermitteln.

Doch lautet letztlich auch das Fazit einer BMAS-Sprecherin: „Aber auch die beste Unterstützung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann nicht erfolgreich sein, wenn die Bereitschaft der Arbeitgeber zur Beschäftigung älterer Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht ausreichend ausgeprägt ist.“

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