




Die kürzlich veröffentlichte Prognos-Studie hat sie wieder auf den Plan gerufen. Die, die mehr ausländische Fachkräfte nach Deutschland holen wollen. Und sie haben ja Recht: Schon heute finden viele Betriebe – vom Maschinenbauer bis zum Altersheim - keine Leute. Entwickler, Krankenpfleger, Elektrotechniker: Überall herrscht Bedarf. Achim Dercks, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), sprach von 37 Prozent der Unternehmen, die mittlerweile Problemen bei der Besetzung von Lehrstellen hätten. 2030 sollen etwa drei Millionen Fachkräfte fehlen, 2040 sollen es rund 3,3 Millionen sein. Und selbst, wenn noch in diesem Jahr in Deutschland 3,3 Millionen Kinder zur Welt kämen – bis 2030 sind die keine ausgebildeten Mechatroniker, keine Informatikerinnen oder Landärzte, sie sind zwölf oder 13 Jahre alt.
Wir brauchen mehr Fachkräfte
Politiker und Wissenschaftler wollen deshalb mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren – und mehr ausländische Fachkräfte nach Deutschland locken. „Wohlstand und Wirtschaftswachstum bleiben nur erhalten, wenn es weiterhin eine hohe Zahl an Erwerbstätigen gibt. Dafür ist Zuwanderung dringend nötig“, heißt es beispielsweise in der Studie "Arbeitsmarkt 2030" des Bundesarbeitsministeriums.
"Einerseits müssen wir die inländischen Potentiale erschließen. Andererseits brauchen wir noch mehr qualifizierte Einwanderung und müssen dringend dafür werben", sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), bei der Vorstellung der Studie. Auch die Macher der Prognos-Studie sagen: ohne gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland werden wir das Problem nicht lösen.
Die gängigsten Thesen zum Fachkräftemangel - und ihr Wahrheitsgehalt
Das stimmt zwar für einige Berufsgruppen, ist aber auch regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die aktuellste Engpass-Analyse der Bundesagentur für Arbeit etwa sieht keinen flächendeckenden Fachkräftemangel - wohl aber Engpässe in einigen technischen Berufen sowie in Gesundheits- und Pflegeberufen. Mit durchschnittlich 162 Tagen am längsten bleiben demnach Stellen in der Altenpflege unbesetzt, gefolgt von Jobs im Bereich Heizung, Sanitär, Klimatechnik und Klempnerei (150 Tage) sowie Softwareentwicklung und IT-Beratung (143 Tage).
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) wiederum kommt in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass die Firmen derzeit etwa die Hälfte aller Stellen in Engpassberufen ausschreiben und somit Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung vielerorts bereits die Regel und nicht die Ausnahme seien. Im Süden sei die Lage dabei angespannter als im Norden, aber auch in Ostdeutschland spitze sich die Situation teils zu. Auch Enzo Weber vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) sagt: In einigen ostdeutschen Boom-Regionen steige der Arbeitskräftebedarf bei gleichzeitig fehlendem Zuzug entsprechender Fachkräfte.
Das lässt sich nicht ohne weiteres genau prognostizieren. Vorhersagen aus der Wirtschaft zur künftigen Fachkräftelücke stoßen deshalb regelmäßig auf Kritik - auch weil dahinter das Interesse vermutet wird, möglichst viele junge Leute für technische Berufe zu rekrutieren und so die Bezahlung zu drücken. Fest steht nur: Zwar schmälern die Alterung der Gesellschaft und der Trend zum Studium die Zahl potenzieller Bewerber in bestimmten Berufen. Aber die Digitalisierung könnte diese Entwicklung abfedern. Noch lässt sich allerdings nicht genau absehen, in welcher Geschwindigkeit der zunehmende Einsatz von Sensorik, Maschinen und Robotern menschliche Arbeitskräfte einmal ersetzen wird. Auch wie sich Zuwanderung und die Aufnahme von Flüchtlingen mittel- bis langfristig auf das Fachkräftepotenzial auswirken, bleibt abzuwarten.
Darüber klagen Wirtschaftsvertreter immer wieder. Zu häufig hapere es nicht nur an ausreichenden Mathematik- und Deutschkenntnissen, sondern auch an sozialen Kompetenzen, sagte erst kürzlich der Hauptgeschäftsführer der bayerischen Metall-Arbeitgeberverbände, Bertram Brossardt. In einer kürzlich veröffentlichten Branchenumfrage in Bayern hatte fast die Hälfte der Unternehmen, die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen konnten, eine fehlende Eignung der Bewerber als Ursache angegeben. Doch Ausbildungs- und Arbeitsmarktexperten halten dagegen: Angesichts schrumpfender Bewerberzahlen sollten die Firmen auch sozial benachteiligten Jugendlichen und jungen Leuten mit schwächeren Schulabschlüssen Chancen bieten.
Vor allem die Gewerkschaften werfen Arbeitgebern in Berufen mit Nachwuchssorgen vor, zu wenig für die Ausbildungsqualität zu tun. Überstunden, fehlende Ausbildungspläne oder hoher Druck - solche Mängel machten manche Berufe für junge Leute eben unattraktiv, argumentiert etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund. In seinem jährlichen Ausbildungsreport kommen etwa immer wieder Ausbildungsgänge im Hotel- und Gaststättengewerbe vergleichsweise schlecht weg. Genau in solchen Berufen gebe es besonders viele unbesetzte Ausbildungsplätze, sagt DGB-Bundesjugendsekretär Florian Haggenmiller. Um Abhilfe zu schaffen, haben Wirtschaft und DGB ein spezielles Beschwerde-Management auf den Weg gebracht.
Darauf macht etwa die IW-Studie aufmerksam - und empfiehlt den Arbeitgebern, selbst aktiver und beweglicher zu werden. Neben dem Blick über den regionalen Tellerrand bei der Suche von Fachkräften und Azubis könnten die Betriebe den jungen Leuten vor Ort verstärkt Wohnmöglichkeiten anbieten und auch Arbeitslose zum Umzug bewegen.
Hier besteht dringender Handlungsbedarf, sagt etwa IAB-Experte Weber - und Staat und Betriebe sollten dabei Hand in Hand arbeiten, auch um den digitalen Wandel gut zu bewältigen. „Wir brauchen eine Weiterbildungspolitik.“
Auch Kanzlerin Angela Merkel plädiert für eine stärkere Einwanderung qualifizierter Ausländer: "Wir wollen ein Fackräftezuwanderungsgesetz", sagte sie beim Kanzlerduell am Sonntagabend. Die Bedingungen für die Einwanderung gingen dann nach den Wünschen Deutschlands. Besser sei es noch, dies europäisch zu regeln, man könne es aber auch national machen.
Die gute Nachricht: Die gefragten Fachkräfte kommen nach Deutschland. Jedes Jahr rund 300.000. Deutschland ist inzwischen nach den USA das beliebteste Einwanderungsland, wie Arbeitsmarktstudien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegen. Zwei Drittel von ihnen kommen aus den EU-Staaten nach Deutschland.
Arbeitnehmer im Ausland: die Typologie der Expats
56 Prozent sind weiblich, 44 Prozent männlich
Quelle: Expat Insider 2017-Studie von InterNations
65 Prozent sind in einer Beziehung, 74 Prozent haben keine oder zumindest keine Kinder, die noch von ihnen abhängig sind
Mit 30 Prozent ist die größte Gruppe der Expats jenseits der 50. 23 Prozent sind zwischen 41 und 50 Jahren. Nur fünf Prozent sind 25 Jahre alt oder jünger und auch nur 13 Prozent der 16- bis 30-Jährigen leben und arbeiten im Ausland.
83 Prozent haben einen Universitätsabschluss
Sie kommen wegen der guten wirtschaftlichen Lage und der Karrierechancen, wie die aktuelle Expat Insider-Studie des Expat-Netzwerkes InterNations zeigt. Dafür wurden rund 13.000 Menschen befragt, warum sie im Ausland leben, wie lange sie vorhaben, dort zu bleiben, was sie beruflich machen und wie es ihnen in ihrer Wahlheimat geht. Demnach kommen die meisten Expats wegen der Karriere nach Deutschland:
- 67 Prozent wegen der sicheren Arbeitsplätze
- 54 Prozent wegen des vergleichsweise hohen Gehalts
- 65 Prozent wegen der guten Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, von der beispielsweise die Amerikaner nur träumen könnten.
Warum Expats ins Ausland gehen
Zwölf Prozent haben im Ausland einen Job gesucht und gefunden.
Quelle: Expat Insider 2017-Studie von InterNations
Ebenfalls zwölf Prozent sind der Liebe wegen ins Ausland gegangen: Sie wollten mit ihrem Partner in dessen Heimatland leben. 10 Prozent gingen ins Ausland, weil ihr Partner für ein Studium oder einen neuen Job umziehen musste.
Elf Prozent wurden von ihrem Arbeitgeber für eine gewisse Zeit ins Ausland geschickt. Dazu gehören auch Diplomaten oder Mitarbeiter von NGOs und NPOs
Acht Prozent versprachen sich eine bessere Lebensqualität vom Umzug ins Ausland.
Sieben Prozent trieb die Abenteuerlust in die Ferne.
Sechs Prozent sind von einem ausländischen Unternehmen angeworben worden.
Fünf Prozent sind zum Studieren oder für eine Schulausbildung ausgewandert.
Jeweils 4 Prozent sind aus finanziellen Gründen (z.B. geringere Lebenshaltungskosten) beziehungsweise aus Liebe zu diesem einen Land ausgewandert
Drei Prozent leben schlichtweg gerne woanders als in ihrer Heimat
Jeweils zwei Prozent wollten sich selbstständig machen und sahen im Ausland bessere Chancen für sich beziehungsweise wollen ihren Ruhestand unter der Sonne verbringen. Nochmals zwei Prozent gaben an, dass sie aus politischen oder religiösen Gründen weggezogen sind.
Ein Prozent gaben an, dass sie durch den Auslandsaufenthalt ihre Sprachkenntnisse verbessern wollten.
Nur wohl fühlen sich die Expats hier nicht. Die Deutschen zeigen ihnen die kalte Schulter. Willkommenskultur? Fehlanzeige.
68 Prozent der Expats beschreiben die Deutschen als reserviert, 58 Prozent fällt es schwer, deutsche Freunde zu finden: Letzteres zählt vermutlich zu den Gründen, warum Expats in Deutschland nicht wirklich heimisch werden – zirka einer von dreien fühlt sich überhaupt nicht zu Hause.