Unternehmensführung Plötzlich Chef – was nun?

Bodo Janssen lernte einen neuen Führungsstil im Kloster. Quelle: Monique Wüstenhagen

Eine Studie zeigt: Jede dritte Führungskraft wird ins kalte Wasser geworfen. Als Bodo Janssen unerwartet in den Chefsessel kam, hassten ihn die Mitarbeiter. Heute zählt er zu den beliebtesten Arbeitgebern und hat wertvolle Tipps für neugebackene Chefs.

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„Der hat doch keine Ahnung!“ Ein Gedanke, der vielen Angestellten in Deutschland durch den Kopf gehen dürfte, wenn der Chef mal wieder etwas scheinbar Unmögliches oder Unsinniges von ihnen fordert. Laut der Online-Jobplattform StepStone ist fast jeder zweite Arbeitnehmer davon überzeugt, besser als sein Vorgesetzter für dessen Chefposten geeignet zu sein.

Doch wenn die lang ersehnte Beförderung dann kommt, ändert sich nicht nur das Gehalt, sondern der gesamte Berufsalltag. Das bedeutet etwa mehr Verantwortung, mehr Arbeit und häufig auch mehr Stress. Viele der frischgebackenen Führungskräfte sind von ihren neuen Aufgaben zunächst überfordert. Ein Grund dafür dürfte sein, dass Unternehmen ihre Talente oft ins kalte Wasser werfen: Nur 15 Prozent der Chefs wurden im Vorfeld auf ihre neue Rolle vorbereitet – 35 Prozent der Vorgesetzen haben hingegen nie ein Führungskräftetraining erhalten. Das geht aus einer Studie von StepStone hervor.

Wenn sie heute zurückblicken, sagen acht von zehn Vorgesetzten, dass ein Vorbereitungstraining notwendig gewesen wäre. Fast jeder Zehnte hat sich auf eigene Kosten fortgebildet, um besser mit den neuen Aufgaben zurechtzukommen. Dabei läge es durchaus im Interesse der Unternehmen, ihre Talente auf den nächsten Karriereschritt angemessen vorzubereiten: „Die Art und Weise, wie Führungskräfte ein Team oder einen Bereich leiten, hat massiven Einfluss auf die Zufriedenheit und damit auf die Leistung der Mitarbeiter“, sagt Anastasia Hermann,  Forschungsleiterin bei StepStone. Funktioniert die Zusammenarbeit nicht, ziehen die Fachkräfte Konsequenzen: Mehr als jeder Vierte hat schon einmal wegen des Chefs gekündigt. „Führungskräfte müssen frühzeitig von Arbeitgebern geschult werden, denn nur die wenigsten bringen die nötigen Fähigkeiten von Beginn an mit“, betont Hermann.

Diese Erfahrung musste auch Bodo Janssen nach einem tragischen Unglück machen. Als sein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, übernahm der damals 33-Jährige von heute auf morgen die Leitung des Familienunternehmens Upstalsboom, das Hotels und Ferienwohnanlagen an der Nord- und Ostsee betreibt. Er erinnert sich noch gut, wie sich die Ereignisse damals überschlugen: „An dem Tag, als mein Vater starb, war kein Gedanke an das Unternehmen zu verlieren. Aber am Tag danach musste ich die Führungskräfte über seinen Tod informieren. Ich saß in seinem Bürostuhl, der mir viel zu groß war. Da wurde mir langsam der Tragweite des Unglücks bewusst“, erzählt Janssen.

Als er den neuen Job als Chef antrat, war Janssen unsicher, wie er das Unternehmen überhaupt führen sollte. Zwar hatte er ein abgeschlossenes BWL-Studium und schon in der Hotelkette gearbeitet – sie zu leiten war jedoch eine völlig neue Herausforderung. „Das war für mich ein Sprung ins kalte Wasser. Ich wollte gute Entscheidungen treffen – aber auf welcher Grundlage?“ Um sich zu orientieren, beschäftigte Janssen sich mit Management-Literatur und besuchte Seminare für Führungskräfte: „Je mehr ich über systematisches Qualitätsmanagement lernte, desto sicherer habe ich mich in meiner Rolle gefühlt. Auch wenn sich das später in Luft aufgelöst hat“.

 Wir brauchen einen anderen Chef!

Während Janssen sich seiner Führungsqualitäten immer sicherer wurde, nahm die Zufriedenheit in seinem Unternehmen rapide ab. Drei Jahre, nachdem er die Chefposition übernommen hatte, gab es eine Mitarbeiterbefragung. Ihr Ergebnis war für Janssen ein Schock: „Meine Führung wurde mit Schulnoten zwischen fünf und sechs bewertet. Mich hat das total überrascht, weil wir uns wirtschaftlich gut entwickelt haben. Die Zahlen haben gestimmt, auf dem Papier war alles toll“, erinnert er sich. Allerdings stiegen die Kündigungen – Janssen schrieb das dem allgemeinen Fachkräftemangel zu. Doch auf die Frage, was die Mitarbeiter bräuchten, um besser arbeiten zu können, kamen Antworten wie „einen anderen Chef als Bodo Janssen“.

„Heute weiß ich, dass sie wegen mir gegangen sind – die Gründe dafür liegen auf der Hand“, sagt der Hotelier. So wurde unter seiner Leitung vieles bürokratischer, die Mitarbeiter verfassten etwa Projektberichte und Checklisten, damit Janssen Informationen hatte, um das Unternehmen zu führen. „Sie haben mehr für mich als für ihre eigentliche Aufgabe gearbeitet. Außerdem haben meine Mitarbeiter keine Anerkennung für ihre Arbeit bekommen, ich habe alle Entscheidungen ohne sie getroffen. Sie hatten das Gefühl, dass es nicht um sie als Mensch, sondern als Mittel zum wirtschaftlichen Erfolg geht“.

Wertschätzung als Schlüssel zum Erfolg

Janssen überlegte nach der schlechten Bewertung, den Job hinzuschmeißen. Vor ähnlichen Situationen stehen Chefs immer wieder: Laut der StepStone-Studie würden immerhin 27 Prozent der Führungskräfte ihren Karriereschritt am liebsten wieder rückgängig machen. Das passiert allerdings in den wenigsten Fällen – die Angst um das Ansehen im Unternehmen ist zu groß. Was also tun? „Ich hatte drei Möglichkeiten: Die Ergebnisse verschweigen, aber das hätten die Mitarbeiter ja gemerkt. Das Unternehmen zurückgeben, aber das ging nicht, weil mein Vater nicht mehr da war. Also entschied ich mich für den Angriff“, erzählt Janssen.

Alles auf Angriff

Der Ort, an dem der Unternehmer eine neue Sicht auf Führung lernte, erschien ihm zunächst ungewöhnlich. „Ich bin ins Kloster gefahren, um zu lernen, wie ich Leute einsetze, damit sie gute Leistungen für das Unternehmen bringen. Aber dann ging es darum, mich selbst zu finden“. Der Benediktinermönch Anselm Grün erklärte Janssen, dass nur jemand führen kann, der sich selbst führen kann. Mit anderen Worten: Nur wer kochen kann, kann es anderen beibringen. „In der Praxis klingt das logisch. Aber wir setzen immer voraus, dass eine gute Fachkraft auch gut führen kann. Dabei stimmt das nicht – bis ich die Meinung der Mitarbeiter erfuhr, war ich der festen Überzeugung, dass ich einen guten Job mache und ich bin sicher, dass es vielen Führungskräften so geht“, sagt Janssen.

Klassische, wissensbasierte Seminare hält der Unternehmer für nur bedingt erfolgversprechend. Sie liefern zwar eine Grundlage, doch gerade junge Führungskräfte sind im Alltag häufig stressigen Situationen ausgesetzt – dann greifen sie eher auf Erfahrungen statt auf Wissen zurück. Um diese Erfahrung zu sammeln, ist eine gute Fehlerkultur nötig: „Man darf nichts aus Angst, etwas falsch zu machen, vermeiden. Es geht darum, neue Erfahrungen zu machen, indem man Entscheidungen trifft und die Verantwortung dafür übernimmt.“

Seine Mitarbeiter hätten weder den Mut noch das Vertrauen gehabt, ihm zu sagen, dass etwas schiefläuft. Deshalb ist eine Grundlage seines neuen Führungsstils, Fragen zu stellen, statt Antworten zu geben. Janssen ist überzeugt: Wer Antworten gibt, nimmt anderen die Möglichkeit, selbst danach zu suchen. Einen guten Chef zeichne es aus, wirklich zuzuhören: „Wenn ich die Meinung und das Wissen meiner Mitarbeiter würdige und bei meinen Entscheidungen berücksichtige, sorgt das für eine ganz andere Motivation“. Dabei sei es wichtig, nicht an den eigenen Ideen zu kleben, sondern offen für andere Sichtweisen zu sein, erläutert Janssen.

Nicht nur Führungskräfte, die neu im Job sind, sollten sich genügend Zeit zur Reflexion nehmen und darüber nachdenken, wie sich das eigene Verhalten auf die Mitarbeiter auswirkt. Dabei sei es hilfreich, sich auch zu fragen, wie die eigenen Gewohnheiten das Arbeitsklima stärken oder schwächen. „Wenn ich zum Beispiel von den Mitarbeitern kritisiert werde, kann ich mich entweder rechtfertigen und ihnen sagen, dass sie zu doof sind – damit schwäche ich aber das Team. Oder ich nehme die Kritik an und mache mir darüber Gedanken. Das ermutigt meine Mitarbeiter, mir weiterhin Feedback zu geben und stärkt die Gemeinschaft“, erklärt Janssen.



Seit der niederschmetternden Mitarbeiterbefragung sind inzwischen zehn Jahre vergangen. Heute ist Janssen einer der beliebtesten Arbeitgeber in Deutschland und Upstalsboom wurde mit zahlreichen Managementpreisen ausgezeichnet, etwa dem „Hospitality HR Award“ für Personalführung in Hotellerie und Gastronomie oder als bester Arbeitgeber mit „Top Job“, einer Auszeichnung für Mittelständische Unternehmen. Der Hotelier hält auch Vorträge über seinen Führungsstil und hat mehrere Managementbücher geschrieben. Auch wenn er gelernt hat, dass es nicht nur um Zahlen geht, untermalen sie den Erfolg seines gewandelten Führungsstils: Seit dem Kulturwandel in der Hotelkette ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter gestiegen und die Krankheitsquote um fünf Prozent gefallen. Auch die Unternehmensumsätze sind gestiegen: Drei Jahre nach der Mitarbeiterbefragung steigerten sie sich innerhalb eines Jahres gar um 40 Prozent.

Ob Janssen auch anderen Chefs einen Besuch im Kloster empfehlen würde, wenn es mit dem Management nicht rund läuft? „Ja. Denn in der Stille des Klosters werde ich mir meiner Führungsverantwortung bewusst und entwickle ein Gefühl dafür, was mir bei der Führung von mir selbst und der Führung anderer Menschen wirklich wichtig ist“.

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