
Die Aussicht ist grandios und doch wenig verlockend. Durch die bodentiefen Fenster fällt der Blick aus dem Speisesaal auf die frisch bepflanzten Grünanlagen oberhalb des Tegernsees. Sattes Grün fürs Auge. Auf dem Teller: ein Dinkelbrötchen, aufgeschnitten zu dünnen Scheiben. Einzeln zu verzehren ohne Marmelade, Käse oder Schinken. Ziegenfrischkäse und ein paar Kräuter, zu trinken ein Muckefuck, denn Koffein ist verpönt. Jedes Scheibchen Dinkelbrötchen ist mit Liebe zu genießen – oder auch gründlich zu zerbeißen, um es profaner zu sagen.
Kauschule lautet der Fachbegriff des Gründers einer Variante des Heilfastens F. X. Mayr. 30 Mal soll jedes Stück Brötchen mindestens gekaut werden – eine bevormundende Anweisung, die nicht so recht passen will in den elegant möblierten Speisesaal, der eher an ein zeitgemäßes Gourmetrestaurant erinnert als an einen Hort der Enthaltsamkeit. Willkommen im Lanserhof am Tegernsee.
Luxushotels werden zu Privatkliniken
Der Betrieb, umgeben von Wald und angeschlossenem Golfplatz, ist der wohl spektakulärste Neubau einer Gattung Herberge, die einem wachsenden Trend Rechnung trägt: Geist und Körper sollen nicht nur kuriert werden, wenn sie in Mitleidenschaft gezogen scheinen, sondern prophylaktisch verbessert werden, um den Belastungen des Alltags zu trotzen. Der 1. Global Wellness Economy Report, erstellt vom Stanford Research Institute, spricht von „proaktiver Gesundheit“.
Fastenmodelle im Vergleich
Ernährung ist das zentrale Thema vieler Luxuskliniken. Ziel ist eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten. Fastenkuren sind keine Diät, Gewichtsverlust geht mit ihnen jedoch einher. Der Sinn solcher Kuren ist umstritten in der Medizin.
Die nach dem österreichischen Arzt benannte Fastenkur sieht den Darm im Zentrum der Beschwerden. Bei der Kauschule morgens soll jeder Bissen eines Dinkelbrötchens 30 Mal gekaut werden. Eine Darmspülung wird empfohlen.
Die nach Otto Buchinger benannte Kur verzichtet auf die Darmspülung. In ihrem Zentrum stehen über die Fastentage Gemüsesäfte, die frisch zubereitet werden und den Körper entlasten sollen.
Der Wechsel zwischen Tagen mit viel und wenig Flüssigkeitsaufnahme und wenig und viel Bewegung kennzeichnet die im 19. Jahrhundert von Johann Schroth entwickelte Kur, die sich über drei Wochen erstrecken sollte.
Vor allem Menschen aus westlichen Industrienationen mit höherem Einkommen versuchen, mit Fitness und guter Ernährung gesünder zu leben. Diese Entwicklung gebiert neue Angebote.
Luxushotels in aller Welt erweitern Schritt für Schritt ihre Angebote in die Welt der Medizin hinein. Privatkliniken, deren Ausstattung an nichts erinnert, was mit Krankenhaus zu tun haben könnte, werden gemanagt wie Fünf-Sterne-Hotels.
Sie alle wollen den gleichen Gast. Zeit ist der Schlüssel. Im Urlaub in wenigen Tagen oder zwei Wochen sich einmal neu aufstellen lassen passt in die Zeit. Manchmal reicht auch nur eine Sprechstunde, wie sie das Dollenberg im Schwarzwald in seinem Spabereich mit dem örtlichen Arzt anbietet.
Das Brenners Park Hotel in Baden-Baden geht einen Schritt weiter. Das Luxushotel eröffnet im Sommer mit der Villa Stéphanie und dem Haus Julius zwei Gebäude, die den Schritt hin zur Klinik gehen. „Es ist die umfassendste Erweiterung in der Geschichte des Brenners“, sagt Frank Marrenbach, Geschäftsführender Direktor und Chef der Oetker Collection, zu der neben dem Brenners sieben Hotels von St. Barths über Paris bis Marrakesch gehören.
Für das Brenners ist das kein Neuland. 25 Jahre lang betrieb es bis 2002 die eigene „Schwarzwaldklinik“. Obwohl der stationäre Betrieb nicht mehr zeitgemäß erschien, war Marrenbach klar, dass der Trend hin zu mehr gesundheitlicher Vorsorge geht. Neben Suiten und Spa gibt es Behandlungsräume für Dentisten, Gynäkologen oder Dermatologen. Therapieangebote können pauschal oder individuell gebucht werden.