Wissenschaftsformate feiern Erfolge Das Denken wird zum lukrativen Geschäft

Die Ökonomen wollen die Welt nur vollends erklären, aber es kommt darauf an, sie annähernd zu verstehen. Die Philosophie ist wieder gut im Geschäft – auf der Phil. Cologne stellt sie sich mitten ins Leben.

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Was Sokrates wohl dazu gesagt hätte? Dass beim Philosophie-Slam "Schlag den Platon" 15 junge Denker unter Anleitung von DJ Donnergong in Fünf-Minuten-Auftritten um die Wette philosophieren? Und dass bei der Neuauflage des "Gastmahls" die Freunde des Eros zu einem guten Glas Wein über Liebe und Lust in Zeiten des Speed-Dating debattieren? Wahrscheinlich hätte er gelächelt, der Altmeister der Philosophie, ironisch, wie es seine Art war – ein Mann, für den Philosophie eine Lebensform war, ein Abenteuer mit offenem Ausgang. Ja, ihm, Sokrates, hätte das Motto sicher gefallen: "Die Suche hat begonnen…"

Denn die Suche startet gut sokratisch nicht im Elfenbeinturm des Oberseminars, sondern da, wo sie mit Sokrates ihren Anfang genommen hat: auf dem Marktplatz, im Getümmel der Meinungen, auf dem Weg des kritischen Dialogs, der durch Frage und Antwort zur Erkenntnis vorzudringen versucht. Phil. Cologne heißt das "Fest des Denkens", das vom 26. bis 30. Juni in Köln Premiere hat. Die "Schwester" des erfolgreichen Kölner Literaturfestivals Lit. Cologne macht die Probe auf die Publikumswirksamkeit von Philosophie. Mehr als 40 Veranstaltungen, in Kölner Theatern, Clubs und Rundfunkhäusern, laden die "Freunde der Weisheit" zum öffentlichen Nachdenken ein.

Wissenschaftsformate haben großen Erfolg

Philosophie als Lifestyle mit Eventcharakter? "Wenn es neuerdings zum Lebensstil gehört, sich fürs Denken zu begeistern, dann bitte gern", sagt Rainer Osnowski, einer der Geschäftsführer der Phil. Cologne. Er rechnet fest damit, dass das Festival durch die "Relevanz seiner Themen", durch den "Enthusiasmus des Publikums" zu einer Erfolgsgeschichte wird. Was ihn so optimistisch stimmt? Der Erfolg von Wissenschaftsformaten in Funk und Fernsehen, die Nachfrage nach frischer Gedankenware von philosophischen Bestsellerautoren. Die Philosophie ist "in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagt Osnowski – und die Phil. Cologne will ihr ein Forum bieten.

Tatsächlich ist Philosophie in Deutschland nicht nur in Mode, sondern auch ein glänzendes Geschäft. Der Chef des inoffiziellen Amtes für populärphilosophische Orientierungshilfe, Richard David Precht, hat sein Buch "Wer bin ich und wenn ja, wie viele" mehr als eine Million Mal verkauft. Zusammen mit zwei weiteren Büchern über die "Liebe" und die "Kunst, kein Egoist zu sein" verspricht das Werk auch als 15-stündiges Audiobook das nötige Rüstzeug der Philosophie zu vermitteln. Wilhelm Schmid schreibt ein Erfolgsbuch nach dem nächsten über die Kunst, "dem Leben einen Sinn" zu geben und "mit sich selbst befreundet" zu sein.

Philosophie im Kiosk

Philosophische Grenzgänger wie Byung-Chul Han, Joseph Vogl und Robert Pfaller bescheren ihren Verlagen mit sprechenden Titeln über die "Müdigkeitsgesellschaft", "Das Gespenst des Kapitals" und "Wofür es sich zu leben lohnt" Überraschungserfolge. An den Kiosken liegen seit einem Jahr zwei Monatshefte aus ("Hohe Luft" und "Philosophie Magazin"), die die "großen und kleinen Fragen des Lebens" beantworten: "Macht Arbeit glücklich?" zum Beispiel oder: "Liegt das gute Leben auf dem Land?" Und selbst ein hochseriöser Fachverlag wie Wilhelm Fink steigt mit gezeichneten Heidegger- und Nietzsche-Einführungen in den Sachcomic-Markt ein, auf dem so wortarm, niedrigschwellig und erfolgreich zugleich auf 160 Seiten der "Marxismus", "Keynes" und "Ethik" abgehandelt werden.

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