American Economic Association Steht die Weltwirtschaft vor einer neuen Finanzkrise?

Der globale Konjunkturhimmel präsentiert sich momentan nicht wolkenlos. Quelle: dpa

Auf dem größten Ökonomen-Treffen der Welt streiten die führenden Vertreter des Fachs über die Aussichten für die Weltwirtschaft und die Möglichkeiten von Notenbanken und Regierungen, einer Krise entgegenzuwirken.

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Nichts interessiert die Menschen so sehr wie die Frage, was Ihnen die Zukunft bringt. Auch die Ökonomen bilden da keine Ausnahme. Daher kann es nicht verwundern, dass auf dem größten Ökonomen-Treffen der Welt, das in diesen Tagen im kalifornischen San Diego stattfindet, ganz oben auf der Agenda die Frage steht, was das begonnene Jahr der Weltwirtschaft bringt. Mehr als 10.000 Forscher und Praktiker sind der Einladung der 1885 gegründeten American Economic Association nach San Diego gefolgt, darunter viele Nobelpreisträger.

Während sich der südkalifornische Himmel nahezu wolkenlos präsentiert, lässt sich desgleichen vom globalen Konjunkturhimmel nicht sagen. Zwar blieb der Weltwirtschaft eine Rezession bisher erspart, die USA erleben gar den längsten Aufschwung aller Zeiten. Doch der Motor, der die Weltwirtschaft ankurbelt, läuft lediglich auf einem Zylinder: Dem privaten Konsum. Die Investitionen der Unternehmen hingegen, die für die Kapitalbildung und das Produktivitätswachstum entscheidend sind, kommen nicht in Schwung.

Das gilt auch für die USA, wie Janice Eberly von der Northwestern University in ihrem Vortrag zeigte. Zwar ist der Bestand an Maschinen und Anlagen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den USA bis zuletzt brutto gestiegen. Weil die Abschreibungen jedoch seit Jahrzehnten stärker zulegen, befindet sich der Nettokapitalstock in Relation zum BIP seit Mitte der 1970er Jahre auf Talfahrt. Der Grund dafür sei die Investitionszurückhaltung des Staates. Rund 12 Prozent des US-Bundeshaushalts fließen in Investitionen wie die öffentliche Infrastruktur. Seit Jahren steigen diese langsamer als das BIP, so Eberly.

Der Harvard-Ökonomen und ehemalige US-Finanzminister Larry Summers sah sich durch Eberlys Ausführungen in seinen Warnungen vor einer säkularen Stagnation bestätigt. Dieser Begriff geht zurück auf den keynesianischen US-Ökonomen Alvin Hansen, der 1938 als Vorsitzender der American Economic Association vor einer säkularen Stagnation gewarnt hatte. Kennzeichnend für diese ist eine ausgeprägte Investitionsschwäche, die unter anderem durch ein nachlassendes Bevölkerungswachstum ausgelöst wird.

Heutzutage bremsen Summers zufolge zudem der Bedeutungsverlust der Industrie sowie die zunehmende Digitalisierung das Investitionsvolumen. So reichen häufig Computer und Server, um ein Start-up zu gründen oder in neue Geschäftsfelder zu investieren. In der digitalen Welt benötigen die Unternehmen daher weniger Kredite, um ihre Investitionen zu finanzieren als das in der Industriegesellschaft der Fall ist. Die Nachfrage nach Kapital sei daher kleiner als das Angebot, sagt Summers. Zumal Letzteres durch die Sparwut der alternden Bevölkerungen in den Industrieländern kräftig gestiegen sei.

Um den Ersparnisüberschuss zu absorbieren und den Abwärtsdruck auf die Zinsen zu reduzieren, müsse der Staat die Investitionslücke mit eigenen Investitionen schließen, so Summers. Dabei sei es nicht so wichtig, ob die staatlichen Investitionen in den Klimaschutz, die Infrastruktur oder in Forschung und Entwicklung fließen. „Entscheidend ist, dass der Staat überhaupt mehr investiert“, so Summers. Damit die Staatsverschuldung dabei nicht aus dem Ruder läuft, könne man die Steuern für die Reichen erhöhen.

Ein progressiveres Steuersystem spüle dem Staat nicht nur das für die Investitionsfinanzierung benötigte Geld in die Kassen. Es wirke auch der Sparschwemme entgegen, die vor allem durch die hohen Ersparnisse der Reichen gespeist werde. Summers sieht seine These von der säkularen Stagnation durch den extrem expansiven Kurs von Geld- und Fiskalpolitik bestätigt. Dieser müsste die Wirtschaft eigentlich heiß laufen lassen, so Summers. Dass dies nicht geschehe, sei ein Indiz dafür, dass nach wie vor eine Nachfragelücke bestehe.

Valerie Ramey von der Universität in San Diego widersprach Summers. Sie konterte, dass von einer Nachfragelücke und einer säkularen Stagnation im Sinne Hansens derzeit keine Rede sein könne. Als Hansen 1938 vor einer säkularen Stagnation warnte, lag die Arbeitslosenquote in den USA bei über 16 Prozent, so Ramey. Derzeit liegt sie bei rund 3,5 Prozent. Zudem seien die Investitionen in Relation zum BIP damals deutlich niedriger gewesen als zur Zeit.

Die US-Wirtschaft leide daher nicht an einer säkularen Stagnation, sondern befinde sich in einer vorübergehenden Phase schwacher Produktivität und niedrigem Produktionspotenzial. Ursächlich dafür seien die abebbenden Impulse der technologischen Innovationen des Internetzeitalters. Ramey leitete daraus aber nicht ab, dass der Staat seine Hände in den Schoß legen sollte. Vielmehr solle er Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen fördern, um einen neuen Innovationsschub auszulösen. Wie dabei sichergestellt wird, dass das Geld der Steuerzahler nicht in unsinnigen Projekten verdampft, sagte Ramey jedoch nicht.

Dass die USA bald in die Rezession rutschen, hielten die in San Diego versammelten mehrheitlich Ökonomen für eher unwahrscheinlich. So wies James Hamilton von der Universität in San Diego darauf hin, dass Aufschwünge ein nicht zu unterschätzendes Momentum aufweisen. Ein Absturz in die Rezession sei daher nur bei einem größeren exogenen Schock oder heftigen Übertreibungen denkbar. Für beides gebe es derzeit aber keine Indizien. So lägen die Immobilieninvestitionen in Relation zum BIP unter ihrem langjährigen Schnitt, gleiches gelte für die Autokäufe. Auch einen neuen Ölpreisschock, etwa als Folge der Spannungen zwischen den USA und Iran, hielt Hamilton für unwahrscheinlich. Das positive Momentum, so der Forscher, werde die US-Wirtschaft im Wahlkampfjahr daher weiter stützen.

Der Nobelpreisträger Robert Shiller von der Yale-Universität wies auf einen weiteren Faktor hin, der die US-Wirtschaft stützt, von Ökonomen aber nicht ausreichend beachtet werde: das Narrativ. Erzählungen, an die die Menschen glauben, seien wirkmächtiger als vermutet. So verbreite Donald Trump  mit seinem Spruch „Make America great again“ eine positive Botschaft, sagte Shiller. Das gebe Konsumenten und Unternehmern Zuversicht. Wie wirkmächtig dieses Narrative sei, zeige sich daran, dass der Name Trump in den Medien deutlich häufiger mit dem Begriff einer starken Wirtschaft in Verbindung gebracht werde als der Name Bill Clinton, obwohl die Wirtschaft während Clintons Amtszeit im Weißen Haus in den 1990er Jahren stärker expandierte als derzeit unter Trump. 

Skeptischer für die wirtschaftlichen Aussichten zeigte sich hingegen der Harvard-Ökonom Ken Rogoff, ein Experte für Finanzkrisen. Rogoff wies darauf hin, dass Krisen meist aus Bereichen kommen, die zuvor niemand auf dem Radar hatte. Ursächlich seien häufig verdeckte Schulden sowie politische Fehlentscheidungen. Ein großes Problem seien in diesem Zusammenhang die impliziten Schulden der Regierungen in den Industrieländern, die sich aus den staatlichen Leistungszusagen im sozialen Sicherungssystem ergeben.

Ein weiteres Risiko für die Weltwirtschaft identifizierte Rogoff in China. Der Aufholprozess in dem Land laufe aus, die Ein-Kind-Politik der vergangenen Jahrzehnte verringere das Arbeitskräftepotenzial, die Überkapazitäten am Immobilienmarkt bremsten die Investitionen und die wachsende Zentralisierung wirtschaftspolitischer Entscheidungen verhinderten Innovationen, warnte Rogoff.

Dagegen argumentierte Justin Yifun Lin von der Universität Peking, das nachlassende Wirtschaftswachstum der Volksrepublik habe in globalen Faktoren seine Ursache. So leide China wie viele andere Schwellenländer unter der Krise des Welthandels. Zudem hätten die nach der Finanzkrise zurückgeschraubten Investitionen in den Industrieländern Chinas Wirtschaft ausgebremst. Das Reich der Mitte müsse daher stärker auf eigene Impulse wie Infrastrukturinvestitionen setzen. Diese könnten die hohen Ersparnisse der Chinesen absorbieren. China habe daher das Potenzial, in den nächsten Jahrzehnten weiterhin die Rolle der Wachstumslokomotive für die Weltwirtschaft zu spielen, glaubt Lin.

Doch was, wenn die USA und die Weltwirtschaft doch noch auf eine Rezession zutreiben? Können die Notenbanken dann helfen? Durchaus, meint Ben Bernanke. Der ehemalige Chef der US-Notenbank Fed betrachtet die Krisenpolitik der Notenbanken in der Finanzkrise als eine Erfolgsgeschichte. Die unkonventionelle Geldpolitik, die vor allem aus Anleihekäufen (quantitative Lockerung) und der Steuerung der Erwartungsbildung der Marktteilnehmer (forward guidance) besteht, habe sich als effektiv erwiesen, die langfristigen Zinsen nach unten gedrückt und die Investitionen gestützt. Der Kauf von Staatsanleihen in der ersten Runde der quantitativen Lockerung habe die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen um einen Prozentpunkt gesenkt, so Bernanke. Er empfahl den Notenbanken daher, die unkonventionellen Maßnahmen dauerhaft in den Instrumentenkasten der Geldpolitik aufzunehmen.

Ob das reicht, die Wirtschaft bei der nächsten Krise vor dem Absturz zu bewahren, hänge von der Höhe des natürlichen Zinses ab, erklärte Bernanke. Das ist der Zins, bei dem die Wirtschaft mit Normalauslastung wächst und die Inflation dem Zielwert der Zentralbank entspricht. Sackt der natürliche Nominalzins unter die Marke von zwei Prozent, so Bernanke, sei der Abstand zur Null-Prozentgrenze zu gering, um mit Zinssenkungen und Anleihekäufen die Wirtschaft zu stabilisieren. Die Notenbank komme dann nicht umhin, das Inflationsziel anzuheben, um den Realzins zur Stützung der Konjunktur ausreichend zu senken. Zudem müsse die Finanzpolitik die Zentralbanken bei der Konjunkturstimulierung unterstützen.

Die Öffentlichkeit sollte Bernankes gut zuhören. Denn als ehemaliger Zentralbanker stößt er bei seinen noch aktiven Kollegen mit seinen Vorschlägen auf offene Ohren. Anfang der 2000er Jahre hatte er öffentlichkeitswirksam erklärt, was die Notenbank tun könne, um eine Deflation zu verhindern. Als er später selbst Chef der Fed war und die Finanzkrise tobte, setzte er sein Konzept in der Praxis um. Sollte sich in absehbarer Zeit eine neue Krise abzeichnen, könnten die Zentralbanker erneut auf Bernankes Ideen zurück greifen - und geldpolitische Instrumente einsetzen, die heute noch als undenkbar gelten.

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