Cantillon-Effekt Darum werden die Reichen immer reicher – und die Armen immer ärmer

Was ist der Cantillon-Effekt, wie beeinflusst er die Entwicklung – und was hat Bitcoin damit zu tun? Quelle: fStop/Getty Images

Die Geldmengenausweitung führt gemäß dem sogenannten Cantillon-Effekt dazu, dass einige auf Kosten anderer reicher werden. Doch was genau ist der Cantillon-Effekt? Eine Erklärung.

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Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Dieser Umstand scheint sich zu verfestigen. Warum wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer? Einige Ökonomen sehen dies im sogenannten Cantillon-Effekt begründet. Doch was genau ist der Cantillon-Effekt, wie beeinflusst er die Entwicklung der Vermögen – und was hat Bitcoin damit zu tun?

Erklärung: Was ist der Cantillon-Effekt?

Der Cantillon-Effekt beschreibt die ungleiche Auswirkung von Veränderungen in der Geldmenge auf verschiedene Wirtschaftsteilnehmer. Das können sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen sein. Benannt wurde der Effekt nach dem französisch-irischen Ökonomen Richard Cantillon, der im 18. Jahrhundert lebte.

Cantillons zentrale Erkenntnis lautet: Änderungen in der Geldmenge wirken nicht gleichmäßig und nicht sofort auf die gesamte Wirtschaft ein. Stattdessen breiten sich diese Veränderungen graduell aus, beeinflussen bestimmte Gruppen und Sektoren zuerst und in unterschiedlichem Ausmaß, bevor sie sich auf die Gesamtwirtschaft auswirken.

Typischerweise profitieren vor allem jene, die als Erste Zugang zu neu geschaffenem Geld haben (etwa Zentralbanken, Banken oder bestimmte Wirtschaftsakteure), von einer Ausweitung der Geldmenge. Sie haben Zugriff auf das Geld, ehe es durch einen Anstieg der Inflation an Kaufkraft verliert. Auf der anderen Seite leiden diejenigen, die das neue Geld erst später erhalten, da die Preise dann gestiegen sind und die Kaufkraft des Geldes gesunken ist.

Der Cantillon-Effekt verdeutlicht, dass die Auswirkungen von Geldpolitik und Geldmengenänderungen nicht neutral sind und sich in der Realwirtschaft ungleich verteilen können. Er wird häufig in Diskussionen über Inflation, Geldpolitik und die Verteilung von Wohlstand aufgegriffen.

Cantillon-Effekt: Warum werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer?

Der Cantillon-Effekt beleuchtet die ungleiche Verteilung von Wohlstand, indem er verdeutlicht, wie Veränderungen in der Geldmenge unterschiedliche Auswirkungen auf Wirtschaftsakteure haben. Mehrere Faktoren tragen dazu bei, dass dieser Effekt tendenziell die Reichen reicher und die Armen möglicherweise ärmer macht. Eine entscheidende Rolle spielt der Vorzug beim Zugang zu neuem Geld. Gemäß dem Cantillon-Effekt profitieren jene, die zuerst Zugang zu frischem Geld erhalten, bevor es sich in der gesamten Wirtschaft verteilt. Reiche Individuen und Institutionen, die bereits Vermögenswerte besitzen, haben oft leichteren Zugang zu Krediten und neuen finanziellen Ressourcen. Diese Mittel ermöglichen es ihnen, Investitionen zu tätigen und von steigenden Vermögenswerten zu profitieren, noch bevor die Inflation einsetzt.

Des Weiteren spielt das Anlageverhalten der Reichen eine Rolle. Personen mit erheblichem Vermögen können in Werte investieren, die von Geldmengenänderungen profitieren, darunter Immobilien, Aktien und andere Anlageinstrumente. Der Wert dieser Assets steigt häufig im Gleichklang mit der Geldmenge. Wer früh investiert, erzielt höhere Gewinne durch diese Wertsteigerungen. Reiche Menschen haben so oft die Möglichkeit, sich vor Inflation zu schützen, indem sie ihre Vermögen wenig inflationssensitiv investieren. Im Gegensatz dazu könnten ärmere Bevölkerungsschichten ihre Ersparnisse nicht – oder nur in erheblich geringerem Umfang – in inflationsgeschützte Vermögenswerte investieren, was zu einer Verringerung ihrer Kaufkraft führen kann.

Zusätzlich tragen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt zum Cantillon-Effekt bei. In Phasen mit Geldmengenänderungen können hochqualifizierte Personen und solche mit stabilen Arbeitsplätzen schneller von Lohnsteigerungen profitieren. Geringer qualifizierte Personen oder solche in unsicheren Arbeitsverhältnissen können dagegen Schwierigkeiten haben, ihre Einkommen im gleichen Maße zu steigern.

Was hat der Cantillon-Effekt mit dem Goldstandard zu tun?

Der Cantillon-Effekt findet oft im Kontext des Goldstandards Erwähnung, einem Währungssystem, das auf Gold basiert. Denn im Goldstandard ist die Geldmenge durch die vorhandene Menge an Gold begrenzt. Neue Geldmengen werden durch physisches Gold repräsentiert, das abgebaut und der Wirtschaft hinzugefügt wird. In einem solchen System könnte der Cantillon-Effekt möglicherweise weniger ausgeprägt sein, da die Einführung von neuem Geld aufgrund von Goldabbau gleichmäßiger erfolgt.

Der Goldstandard wird oft mit relativer Preisstabilität in Verbindung gebracht. Ist die Geldmenge durch die Verfügbarkeit von Gold begrenzt, könnten die Preise für Waren und Dienstleistungen tendenziell stabiler sein. Dies könnte den Einfluss des Cantillon-Effekts bei Preissteigerungen abmildern. 

Der Goldstandard könnte aber auch eine Situation schaffen, in der wohlhabendere Personen leichteren Zugang zu Gold haben und somit von den Vorteilen profitieren, die mit dem Besitz dieses Edelmetalls verbunden sind. Auch dies könnte zu einer ungleichen Verteilung von Wohlstand führen, da diejenigen, die bereits Gold besitzen, eher von neuen Vermögenswerten profitieren können.

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Der Goldstandard, an den der Dollar bis zum Jahr 1971 gekoppelt war, war historisch gesehen nicht frei von wirtschaftlichen Herausforderungen. Auch gibt es unterschiedliche Meinungen über seine Vor- und Nachteile. Die Verbindung zwischen dem Cantillon-Effekt und dem Goldstandard zeigt jedoch auf, wie die Art des Währungssystems die Verteilung von Wohlstand in die eine oder andere Richtung beeinflussen kann.

Was hat Bitcoin mit dem Cantillon-Effekt zu tun?

Der Cantillon-Effekt zeigt, wie die Geldmengenausweitung durch die Zentralbanken unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene Wirtschaftsakteure haben kann. Bitcoin als limitiertes Gut und der Cantillon-Effekt werden daher oft in einem Atemzug genannt, insbesondere, wenn es um die Auswirkungen der Geldmengenausweitung geht. In Bezug auf Bitcoin ergeben sich hier mehrere Aspekte:

  • Die Dezentralisierung und Chancengleichheit von Bitcoin unterscheiden die Cyberdevise von traditionellen Währungen. Als dezentralisiertes digitales Zahlungsmittel, das nicht von Regierungen oder Zentralbanken kontrolliert wird – und in seinem Bestand nur begrenzt ausgeweitet werden kann – , könnte Bitcoin langfristig theoretisch zu einer gleichmäßigeren Geldschöpfung beitragen. Im Kontext des Cantillon-Effekts könnte dies bedeuten, dass die Schaffung von neuem Geld in einem dezentralen System wie Bitcoin möglicherweise weniger stark von einigen wenigen Institutionen beeinflusst wird.
  • Bitcoin ermöglicht allen Nutzern mit Internetzugang die Partizipation. Im Gegensatz dazu können traditionelle Geldmengenänderungen durch Zentralbanken und Finanzinstitutionen beeinflusst werden.
  • Bitcoin hat eine festgelegte maximale Gesamtmenge von knapp 21 Millionen. Das macht die Geldschöpfung in diesem System vorhersehbar. Im Kontext des Cantillon-Effekts könnte dies dazu führen, dass diejenigen, die frühzeitig Bitcoin erwerben, nicht durch unerwartete Geldmengenänderungen bevorzugt werden, da das Angebot begrenzt und vorhersehbar ist.

Wissenswertes zum Thema Bitcoin (BTC):

Es ist jedoch wichtig, zu betonen, dass auch Bitcoin wirtschaftliche Ungleichheit verstärken kann. Frühe Bitcoin-Besitzer haben, wenn sie nicht zu früh wieder verkauft haben, von starken Kurssteigerungen profitiert. Anleger, die später dazugekommen sind, stiegen oft zu bereits höheren Kursen ein. Die Art, wie Bitcoin von verschiedenen Bevölkerungsgruppen angenommen und genutzt wird, kann hinsichtlich der Verteilung unterschiedliche Auswirkungen haben.

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Insgesamt verdeutlicht die Betrachtung von Bitcoin im Kontext des Cantillon-Effekts aber die Rolle, die alternative Währungen und dezentrale Systeme bei der Veränderung traditioneller Muster der Geldverteilung potenziell spielen können.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im Februar 2024 bei der WirtschaftsWoche. Wir haben ihn aktualisiert und zeigen ihn aufgrund des Leserinteresses erneut.

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