Triebwerksbauer MTU: Erfolgreich durch Langeweile

Ein Mitarbeiter arbeitet in einem Werk der MTU Aero Engines AG an einer Flugzeug-Turbine. Quelle: dpa

Der Triebwerksbauer MTU hat erneut eine gute Bilanz vorgelegt. Während Airbus und andere Unternehmen der Flugbranche von Problem zu Problem stolpern, eilt der jüngste Dax-Konzern von Rekord zu Rekord. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt das Erfolgsgeheimnis: Bescheidenheit und andere mittelständische Tugenden.

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Wer nach Aufregung und Überraschungen sucht, wird kaum in die Dachauer Straße 655 im Münchner Norden kommen. Hausherr ist das derzeit wohl langweiligste Unternehmen im höchsten deutschen Börsenclub Dax, der Triebwerksbauer MTU. Und der Konzern, der mit seinem Dax-Aufstieg im vergangenen September dem jahrelangen Langeweile-Spitzenreiter Münchner Rück den Titel entriss, arbeitet auf einem eher unaufgeregten Werksgelände mit wenig Lärm und Dreck. Stünde nicht ein Exemplar des Kampfjet Tornados mit Erstflug 1974 am Haupteingang, wäre es von vielen anderen Anlagen kaum zu unterscheiden.

So etwas wie Aufregung gibt es bei MTU bestenfalls mal an einem Tag wie heute, wenn Konzernchef Reiner Winkler die jeweils aktuellen Quartalszahlen vorstellt. Am Donnerstag präsentierte er zwar erneut einen Rekordgewinn, der mit 537 Millionen Euro fast acht Prozent über Vorjahr lag. Doch weil der Umsatz nur um 1,3 Prozent stieg, sackte die Aktie am Morgen ab.

Doch wie immer dürfte die Aufregung schnell wieder verebben. Denn als Winkler und sein Finanzvorstand Peter Kameritsch in der Executive Etage im Haus der Bayerischen Wirtschaft in München die Zahlen vorstellten, stellten sie auch klar: der Umsatz war kleiner als versprochen, weil das Unternehmen Einnahmen an anderer Stelle verbuchte. Ein paar Kampfflugzeugwartungen kamen später und der Umsatz einer Tochter in China wurde anders konsolidiert, so dass nur noch der Gewinn, aber nicht mehr der Geldzufluss in der Bilanz landete. „Ohne das hätten wir unsere Prognose praktisch erreicht“, so Winkler.

Danach ging es weiter wie erwartet: Winkler verkündete wie schon sein Vorgänger Egon Behle weitere Rekorde bei Gewinnmarge und Auftragsbestand, versprach dann eine höhere, auf Jahre weiter steigende Dividende und schließlich noch bessere Zahlen für das laufende Jahr. Und jeder im Raum und draußen an den Tickern konnte ahnen: Winkler untertreibt wahrscheinlich. Er wird im Laufe des Jahres die Prognose erhöhen, mindestens einmal. Und sie dann wohl wieder übertreffen.

Ankündigungen halten und übererfüllen: Damit passt MTU gerade so gar nicht in die Flugbranche, wo Aufregung, Drama und Überraschungen – vor allem unangenehme – zum Alltag gehören. Die Triebwerksmacher Rolls Royce und United Technologies treiben die ständigen Probleme ihrer Motoren von einer Sonderlast zur nächsten. Airbus und Boeing schrieben gerade Rekordverluste nach rekordverdächtigen Problemen. Bei Boeing war es die nunmehr bald ein Jahr dauernde Stilllegung seines wichtigsten Modells 737 Max. Airbus trieb eine riesige Geldbuße für jahrelange Bestechungen in die Miesen. „Nur MTU hat fast gar nichts auf dem Zettel“, urteilt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt.

Wer den Grund dafür wissen will, sieht sich am besten erstmal weiter auf dem Werksgelände um. Boeings Führung residiert in einem Turm in Chicago, hoch über der Erde und weit weg von den Werkshallen mit ihrem Lärm, der die konzerneignen Portfoliomanager beim kühlen Optimieren stören würde. Bei Airbus fahren ständig große Flugzeugteile herum und das Management speist traditionell in eigenen Kasinos mit gedämpftem Licht, Kellnern und Jahrgangsweinen. Die MTU-Verwaltung hingegen hat wenig von der Zentrale eines Weltkonzern wie der an Börse mit gut sieben Milliarden Euro nur halb so teuren Lufthansa – aber umso mehr von klassischer Amtsstube mit etwas dunklen Gängen und grauer Auslegeware. Und der Vorstand ist präsent in der Fertigung, weil er von seinen Büros in wenigen Minuten in allen Teilen des Geländes ist.

Daran hat auch der Daxaufstieg nichts geändert. Wo andere Konzerne nach einer solchen Ehre gern die Manager-Vergütungen und die Arbeitsweise anpassen, blieb bei MTU erstmal alles beim Alten, so Winkler. „Unser Kurs mag abheben, aber wir nicht“, so der Manager. Und wie zum Zeichen finden die vertraulichen Abendessen mit Geschäftspartnern nicht in Sternerestaurants statt, sondern in Traditionslokalen.

Das rührt zum einen sicher von der wenig weltstädtischen Herkunft der Chefs. Zwar führte beim Börsengang vor anderthalb Jahrzehnten noch der für einen aufwändigeren Lebensstil und hohe Einkommen bekannte Udo Stark die MTU an die Börse. Doch der rechte Erfolg kam mit zwei deutlich bodenständigeren Chefs, die kein echten Großstädter waren. Winkler kommt aus Stadtallendorf neben Marburg in Nordwest-Hessen. Sein Vorgänger Behle kaum aus dem kaum mondäneren Nidda, Wetterauskreis, nördlich von Frankfurt. Beide sind nüchterne Ingenieurstypen, die zwar dank der beim Börsengang erhaltenen Aktien und Optionen finanziell mehr oder weniger ausgesorgt haben. Und trotzdem oder auch gerade darum haben sie ihre Führung weniger dem eigenen Gehalt als der Optimierung ihres Unternehmens gewidmet.

Die drei klassisch mittelständischen Säulen

Das System der Hessen ruht neben der Bescheidenheit auf drei klassisch mittelständischen Säulen: strikte Beschränkung, kaum zu kopierende Hightech und viel Vorsicht.

So gab das Unternehmen früh alle Versuche auf, selbst ein ganzes Triebwerk zu bauen. „der Zug ist abgefahren“, so Winkler. Die drei großen Flugmotorenbauer Rolls Royce aus England sowie die US-Hersteller General Electric (GE) und Pratt & Whitney aus dem UTC-Konzern sowie die französische Safran bauen mit Milliarden und reichlich Rückschlägen neue Motoren und kommen sich dabei ständig selbst ins Gehege. Die Münchner beschränken sich auf sehr spezielle Hochleistungsteile für Triebwerke anderer Hersteller. Deren Entwicklung kostet zwar auch viel Geld. Doch weil der wirtschaftliche Erfolg anders als beim kompletten Motor nicht daran hängt, dass auch viele andere neue Teile funktionieren, gibt es weniger Verzögerungen. Da die Münchner Dinge bauen, die kein anderer vergleichbar hinbekommt, zahlen die Hersteller dafür viel Geld. Also bleibt im MTU-Teilebau ein Viertel vom Umsatz als operativer Gewinn in der Kasse – und bei UTC insgesamt nur rund acht Prozent.

Gleichzeitig verbessert die MTU ihre Teile ständig. Nicht zuletzt dank der zunehmend digital gesteuerten Fertigung kitzeln die Ingenieure und Techniker stetig mehr Effizienz aus den Motoren. „Wir arbeiten jeden Tag dran, jedes Teil ein kleines bisschen besser zu machen“, so Winkler.

Trotz oder vielleicht auch gerade wegen des gerade erfolgreichen Teilebaus leistet sich MTU noch zwei weitere weniger profitable Felder: Wartung und Militärgeschäft. Beide haben mit rund zehn Prozent Rendite nicht mal die Hälfte der Marge im Teilebau. Das wundert manche Investoren, besonders solche mit einem eher kurzen Gedächtnis. Denn die beiden Felder mögen die Konzernrendite drücken, „aber sie stabilisieren das Geschäft“, so Winkler. So rentabel auch der Teilebau ist. Seine Ergebnisse schwanken stark. Als etwa das neue Triebwerksmodell für den Airbus A320neo ab 2008 entwickelt und gebaut wurde, drückten die Ausgaben für Entwicklung, Ausbau der Produktion und die von nach technischen Problemen verursachte verzögerte Auslieferung an den Erstkunden Lufthansa die Rendite. „Und wenn wir ab 2025 allmählich den Nachfolger entwickeln, dürfte die ebenfalls wieder etwa sinken“, warnt Winkler.

Dagegen laufen die Einnahmen aus dem Service gleichmäßiger. Mit fast jedem Triebwerk verkauft MTU auch die Wartung, meist bis zum Lebensende des Motors. Weil Airlines anders als normale Verbraucher Ersatzteile fast nur beim Hersteller kaufen dürfen, bestimmt der die Preise. Noch stabiler wird das Geschäft, weil MTU statt der Kombi Treibwerk/Wartung quasi deren Leistung vermietet. Bei dem „Power by the hour“ (Kraft pro Stunde) genannten Konzept zahlen die Airlines pro Flugstunde statt für den Werkstattbesuch. Das ist für MTU etwas riskanter, weil sie die Kosten auf Jahre abschätzen muss, auch wenn sie dessen Nutzung noch nicht kennt. Schließlich verschleißt ein Motor in sandhaltiger Wüstenluft wie in Arabien oder in Smogstädten wie Neu Delhi schneller als in Europa.

Doch dem steht als Chance gegenüber, dass MTU eine planbare Miete bekommt. So hat sie immer genug Einnahmen und kann damit mehr Investitionen aus eigenen Mitteln statt auf Kredit finanzieren. „Wir sehen bei unseren Erträgen keine Verschlechterung“, so Winkler lächelnd.

Dabei hilft MTU die Digitalisierung ihrer Motoren. In alle Teile haben die Ingenieure Sensoren gepackt, die alle Details des Betriebs aufzeichnen. So können die Datenanalysten der Münchner nicht nur nach Anzeichen für Pannen oder Schwächen suchen. Sie können auch genauer abschätzen wie sich künftige Motoren unter welchen Einsatzbedingungen verhalten – und die Motorenmiete besser und gewinnbringender schätzen. Dazu können sie Fluglinien Ratschläge verkaufen, wie sie sparsamer fliegen. Der Bereich gilt als wichtiger Ertragsbringer der Zukunft.

Etwas anders ist es beim Militärgeschäft. Nachdem in den vergangenen Jahren nur wenig neue Flugzeuge ausgeliefert wurden, besteht es weniger aus rentablem Turbinenverkauf und mehr aus Wartungsgeschäft. Doch MTU hat den Bereich gehalten. Denn nach vielen Verzögerungen kann das Unternehmen bald auf neue Aufträge hoffen. So dürfte Airbus und damit auch die MTU bald neue Eurofighter bauen als Ersatz für bestehende Maschinen und zumindest für einen Teil der Nachfolger des Kampfbombers Tornado. Das erlaubt die Forschung an neuen Techniken für mehr Effizienz, die MTU später auch in Ziviltriebwerken nutzen kann. Einen noch größeren Innovationsschub dürfte das geplante deutsch-französische Kampfflugzeugsystem FCAS bringen. Für den ab 2040 einsatzfähigen Jet beginnen nun die ersten Forschungsarbeiten und ab 2025 die Vorarbeiten.

Da wird Winkler zwar nicht mehr Chef des Unternehmens sein. Doch er ist sich sicher, dass das Unternehmen dann zwar deutlich größer sein, aber nicht wesentlich anders arbeiten wird.

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