Chefwechsel beim Flugzeugbauer Warum Boeing von Airbus lernen kann

Dennis Muilenburg: Die Krise um den Unglücksflieger 737 Max kostet Boeings Vorstandschef den Job. Quelle: REUTERS

Der Abschied von Boeing-Chef Dennis Muilenberg kann nur der Anfang eines größeren Umbaus sein. Folgen müssen ein paar ziemlich unangenehme Entscheidungen und ein grundlegender Kulturwandel, bei dem sich Boeing ausgerechnet den Erzrivalen Airbus als Vorbild nehmen sollte – wenn auch nicht in allem.

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Warum wurde Boeing-Chef Dennis Muilenberg nun ausgerechnet an diesem Montag kurz vor Weihnachten gefeuert? Das ist die Frage, die sich viele Beobachter gerade stellen. Vielleicht war der wegen Softwareproblemen abgebrochene Flug des Raumschiffs Starliner der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Doch im Grunde stand seit Monaten fest: Der 55-Jährige war auf dem Führungsposten des weltgrößten Luftfahrtkonzerns kaum zu halten. Dafür sorgte das Debakel um die zwei Abstürze des wichtigsten Fliegers des Konzerns: des 737 Max. Die Crashs selbst waren fatal. Wie Boeing die Sache handhabte, machte alles noch schlimmer. Der Konzern manövrierte sich immer mehr ins Abseits.

Wahrscheinlich wollten Management und Verwaltungsrat nun mit Muilenberg einfach einen klaren Schuldigen für die aktuelle Krise benennen. Und nun, so die Hoffnung, können sie zumindest über die Feiertage einmal durchatmen.

Tatsächlich erkauft der Rauswurf von Muilenberg dem Konzern bestenfalls ein wenig Ruhe. Die Probleme löst er nicht. Nach dem zweistufigen Führungswechsel – zuerst soll Finanzchef Greg Smith das Ruder übernehmen und dann der Verwaltungsratsvorsitzende David Calhoun – muss bei Boeing ein grundlegender Wandel einsetzen. So sehr Muilenberg auch die Probleme bei Boeing scheinbar verkörperte, die den Konzern seit dem Absturz des ersten Fliegers Ende Oktober 2018 in die Kritik bringen. Er ist kaum mehr als ein Symbol für vieles, was seit Jahren in die falsche Richtung lief.

Unangenehme Entscheidungen

Da ist zum einen der zu starke Fokus auf die Aktionäre – zulasten der Fluglinien und der Belegschaft. Der begann schon lange bevor Muilenberg Mitte 2015 ins Amt kam. Sein Vorgänger Jim McNerney, ein ehemaliger Ex-General-Electric-Manager, hatte einen von Ingenieuren geprägten Technologiekonzern übernommen, der langfristige technologische Veränderungen wollte – und auf Produkte wie den Dreamliner Boeing 787 mit seinen revolutionären Leichtbaumaterialien setzte. Doch weil das den Aktionären zu teuer wurde, trieb McNerney dem Konzern die Experimentierlust aus. An deren Stelle setzte er kühles Portfoliomanagement und Shareholder Value.

Ein Beispiel ist das heutige Problemflugzeug Boeing 737 Max. Statt für viel Geld ein neues Modell zu entwickeln, renovierte McNerney das alte zum dritten Mal. Statt finanzieller Risiken, die sicher eintreten würden, nahm Konzern technische Risiken in Kauf, die nur wahrscheinlich und später eintreten würden, wenn auch dann wie bei der 737 Max möglicherweise mit viel gravierenderen Folgen. Denn um die Max trotzdem konkurrenzfähig zum Wettbewerber Airbus A320neo zuhalten, brauchte es umfangreiche Neuerungen, die sich mit einer aufwändigen Steuerung bändigen ließen. „Eine sollte eine Designschwäche ausgleichen“, erklärt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt.

Unglücksflieger: Das 737-Max-Debakel ist für Boeing eine enorme Belastung. Quelle: REUTERS

So wurde Boeing zunächst profitabler denn je. Doch inzwischen dürften die Kosten für Strafzahlungen für verspätete Auslieferung und die Nachbesserungen der Max teuer sein als eine Entwicklung gewesen wäre.

Hier kann Boeing von Airbus lernen. Denn trotz aller Kosten und der Misserfolge hat das europäische Unternehmen mehr in neue Jets investiert und die bestehenden Flugzeuge über die Jahre in vielen Kleinigkeiten verbessert, sodass heute der Mittelstreckenjet A320neo mit dem Ursprungsmodell aus den achtziger Jahren außer dem Namen und Form nicht mehr viel gemeinsam hat. Und das zu vergleichsweise niedrigeren Kosten.

Um so etwas bei Boeing durchzusetzen braucht es einen gründlichen Wechsel im Aufsichtsgremium und im Vorstand. In beiden fehlen Manager mit einem soliden Luftfahrthintergrund. „Im Boeing-Vorstand ist nun praktisch keiner mehr, der saubere Hände hat“, glaubt der US-Analyst Scott Hamilton. Die Berufung von David Calhoun aus dem Vorstand des Finanzinvestors BlackRock sei sogar ein Zeichen für die alte überholte Boeing, so Hamilton. Er warnt: „Aktionärsinteressen sind wichtig, aber nicht auf Kosten von Sicherheit und Investitionen.“

Problemzone Firmenkultur

Veränderung ist auch bei Boeings Firmenkultur geboten. Um die Leistung seines Vorgängers McNerney zu übertreffen, setzte Muilenberg dem Konzern ein neues Ziel: Boeing sollte General Electric als Leitbild und als wertvollster Industriekonzern der USA ablösen. Dafür ließ er nicht nur die Fehler seines Vorgängers McNerney bei der 737 Max weiterlaufen. Statt angesichts der wachsenden technischen Herausforderungen bei dem Flieger doch noch ein neues Modell zu bauen, steckte er das Geld in Dividenden und aufwändige Rückkaufprogramme für Aktien. Geld genug war da: Unter anderem die weltweit niedrigen Zinsen sorgten in den vergangenen Jahren für einen beispiellosen Bestellboom.

Doch das reichte Muilenberg nicht. Um den Börsenwert über die 200 Milliarden-Dollar Marke zu heben, trimmte er das Unternehmen einseitig auf Kosten-Effizienz. „Compete to Win – Kämpft um zu siegen“, so das neue Firmenmotto. Muilenberg senkte die Ausgaben und setzte dabei Belegschaft und die Zulieferer unter wachsenden Druck, der offenbar auch zu technischen Kompromissen führte. Nebenbei verärgerte er seine Partnerunternehmen weiter, in dem er ihnen in neuen Felder wie Cockpit-Elektronik oder Wartung Konkurrenz machte. Bei den angegriffenen Unternehmen erlahmte der Wille, dem Konzern technische Neuerungen anzubieten.

So kurzsichtig Muilenbergs Strategie rückblickend auch schien – am Ende hatte er ein goldenes Händchen und die Anleger dankten es ihm. Der Aktienkurs stieg von rund 100 auf 384 Dollar.

Und dann stürzte im März dieses Jahres die zweite Boeing 737 Max ab. Statt demütig zu reagieren und neutral nach den Ursachen zu suchen, sagte Muilenberg nach dem Absturz erst mal lange Zeit praktisch gar nichts. „Das war ein großer Fehler“, so der US-Analyst Richard Aboulafia vom Thinktank Teal Group. Schlimmer wurde es noch, als Muilenburg durchblicken ließ, dass den Absturz nicht technische Probleme, sondern Schlampereien bei der Wartung verursacht haben könnten.

Als sich das nicht halten ließ, musste er eingestehen, dass es am Ende an der neuen und schwer beherrschbaren Steuerungstechnik namens MCAS lag. Und schrittweise wurde klar, dass Boeing zuerst den Aufsichtsbehörden und dann auch den Airlines und ihren Piloten nicht die ganze Wahrheit erzählt über den Umfang der Änderungen hatte – und was diese in der Praxis bedeuteten. „Das System war für weniger erfahrene Piloten schwer zu beherrschen“, so Experte Großbongardt. Doch im Handbuch der Maschine war MCAS bestenfalls in Grundzügen zu finden. Nicht zuletzt aus Kreisen der Aufsichtsbehörde und der verärgerten Belegschaft drangen ständig neue Details nach draußen. „Am Ende entstand der Eindruck, Boeing setzt nur auf seine Interessen und könne die Sicherheit nicht wichtiger nehmen als die Erträge“, so ein führender Flugmanager. „Den Eindruck hat Airbus nie im Ansatz zugelassen, auch wenn es teuer war“, so der Manager. Hierzu zählt traditionell eine enge Verbindung in die Fluglinien und zu deren Piloten, sowie eine größere Kompromissbereitschaft, selbst wenn das kurzfristig die Kosten treibt.

Eine Frage der Geduld

Neben einer weniger kurzfristigen Kapitalmarktdenke braucht die neue Boeing nun mehr Geduld. Angesichts der wachsenden Verluste durch die inzwischen mehreren hundert geparkten 737 Max, die seit den Abstürzen nicht mehr ausgeliefert werden, drängte Muilenberg noch kürzlich die Aufsichtsbehörden, doch endlich die Neuzulassung zu beschleunigen. Dazu veröffentlichte Boeing mehrfach unabgesprochene Zeitpläne, was die Fluglinien verärgerte. „Diese ständigen Änderungen sind ein großer Mist, weil sie unsere Planungen über den Haufen werfen“, schimpft etwa Ryanair-Chef Michael O’Leary.

Bei gravierenden technischen Schwierigkeiten vermied Airbus zuletzt Alleingänge. Als die Europäer im vergangenen Jahr mit Problemen an den Turbinen des A320neo zu kämpfen hatten, kommunizierten sich deutlich zurückhaltender, sicherten sich ab.  „Alles, zu dem die Aufsichtsbehörden nicht mehrfach ja gesagt haben, geben wir nicht weiter“, so ein Airbus-Manager.

Nicht überall ein Vorbild

Allzu sehr sollte sich Boeing jedoch nicht an den Europäern orientieren. Denn bei mindestens zwei Dingen haben die Europäer danebengelegen. Zum einen haben sie es mit dem Fokus auf neue Technik übertrieben. So haben sie trotz aller Warnzeichen einen Superjumbo A380 entwickelt und gebaut. Dazu haben sie sich zu sehr von politischen Interessen leiten lassen, etwa in dem sie Projekte wie den Militärtransporter A400M bauten.

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