Insolvente Kryptobörse FTX „Vollständig solvent“: Der FTX-Gründer versucht, Geschädigten Hoffnung zu machen

Laut FTX-Gründer Sam Bankman-Fried sei genug Geld da, um alle Kundenansprüche der US-Tochtergesellschaft zu befriedigen. Quelle: REUTERS

FTX-Gründer Sam Bankman-Fried nährt die Hoffnung der Gläubiger, ihr Geld wiederzusehen. Die US-Tochtergesellschaft sei voll zahlungsfähig. Doch Kunden sollten sich nicht zu früh freuen.

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Es kommt nicht oft vor, dass sich Beschuldigte inmitten eines Strafverfahrens öffentlich äußern. Doch gewöhnlich ist Sam Bankman-Fried, der Gründer der insolventen Kryptobörse FTX, keineswegs. Während der 30-Jährige im Hausarrest bei seinen Eltern auf den Beginn des Strafverfahrens unter anderem wegen Betrugs wartet, teilte er am Donnerstag auf Twitter den Link zu einem Blogbeitrag. In einer langen Abhandlung beschreibt er, wie es seiner Auffassung nach zum Fall der einst drittgrößten Kryptobörse der Welt kam – und macht Anlegern Hoffnung, ihr Geld wiederzusehen.

Denn die US-Sparte von FTX sei „vollständig solvent“, schreibt Bankman-Fried in dem Text. In einer Tabelle fasst der einstige Krypto-Star auch die Vermögenswerte der amerikanischen Tochtergesellschaft zusammen – auf der Basis von Schätzungen, wie er schreibt. Die Zugänge seien ihm im Zuge des Insolvenz- und Strafverfahrens entzogen worden. Demnach seien Kundeneinlagen in Höhe von 350 Millionen Dollar eins zu eins gedeckt.

FTX International verfüge außerdem über Vermögenswerte in Milliardenhöhe. Es „besteht meines Erachtens nach eine reelle Chance, dass die Kunden in erheblichem Umfang entschädigt werden können,“ schreibt Bankman-Fried weiter in dem Blogbeitrag, in dem er sich abermals gegen die Betrugsvorwürfe verteidigt.

Nun darf man die Worte des Kryptounternehmers durchaus infrage stellen. Bis kurz vor der Insolvenz am 11. November 2022 hatte Bankman-Fried stets behauptet, FTX sei stabil, Gerüchte über Zahlungsschwierigkeiten völlig aus der Luft gegriffen. Zu den milliardenschweren Löchern in den Büchern sagte er damals nichts. Doch in einem Punkt scheint er recht zu haben: Es gibt offenbar tatsächlich Vermögenswerte, die im Rahmen der Insolvenz verwertet werden können.

Mehrere Milliarden Dollar sichergestellt

Erst vor wenigen Tagen stellten Anwälte der US-Kanzlei Sullivan & Cromwel bei FTX Vermögenswerte in Höhe von fast fünf Milliarden Euro sicher, in Form von Bargeld, Kryptowährungen und Aktien. Das bestätigte der Jurist Andrew Dietderich am vergangenen Mittwoch vor einem US-Gericht.

Außerdem, führte er aus, sei seine Kanzlei „auf gutem Weg“, weitere Anlagen mit einem Buchwert von 4,6 Milliarden Dollar zu verkaufen – wenn die Bilanzen stimmen. Hinzu kommen 468 Millionen Dollar durch Robinhood-Aktien in die Kasse, die das US-Justizministerium vergangene Woche bei FTX konfisziert hatte. Die Kryptobörse hatte den Neobroker im Sommer 2022 mit einem Aktienkauf finanziell unterstützt.

Die jüngsten Meldungen – und auch die Worte von Bankman-Fried – nähren nun die Hoffnung der Anleger, ihr Geld wiederzusehen. Bislang wurden neun Millionen Kunden identifiziert, die ihr Geld bei FTX angelegt haben. Je mehr Geld in die Insolvenzmasse fließt, desto wahrscheinlicher wird es, dass Gläubiger immerhin Teile ihres Investments zurückbekommen.

Wie viel Geld genau vernichtet wurde, ist noch nicht ganz klar. Den Verantwortlichen – allen voran Gründer Bankman-Fried – wird unter anderem vorgeworfen, Kundeneinlagen in Höhe von zehn Milliarden Dollar veruntreut und an den ebenfalls von ihm gegründeten Hedgefonds Alameda Research transferiert zu haben.

FTX-Gläubigerliste ist lang

Schon Ende Dezember hatten Anleger eine Sammelklage gegen FTX eingereicht. Selbst wenn die US-Tochtergesellschaft über ausreichend Mittel verfügt, um immerhin ihren Kunden das Geld zu erstatten, gibt es viele Baustellen. Es ist mehr als fraglich, ob die eingetriebenen Gelder reichen, um die Ansprüche aller FTX-Gläubiger zu befriedigen. Es dürfte auch zu einem Verteilungskampf kommen, wer als erstes an der Reihe ist – und wer bei einer möglichen Ausschüttung nachrangig behandelt wird.

Nicht nur viele Millionen Anleger ließen ihr Geld von FTX verwahren, sondern auch Wagniskapitalgeber. Marktgröße Sequoia zum Beispiel investierte über 200 Millionen Dollar in das damals aufstrebende Kryptounternehmen, auch Prominente wie Gisele Bündchen und Tom Brady stiegen dort ein. Die Liste der Gläubiger ist also lang.

Gerade Kunden aus Drittstaaten stehen vor großen Hürden. Schätzungen zufolge kommen 100.000 Kunden aus Deutschland, heißt es von Branchenkennern. Um ihre Forderungen durchzusetzen, müssen sie sich nun mit dem Insolvenzrecht des US-Staates Delaware herumschlagen oder einen Rechtsexperten vor Ort konsultieren.

Lange Zitterpartie für FTX-Gläubiger beginnt

Vor dem Insolvenzrecht ist zwar egal, woher der Gläubiger stammt. Doch für Kunden aus Europa ist es schlicht schwieriger, sich zurechtzufinden – und dafür zu kämpfen, einen vorderen Platz bei einer möglichen Ausschüttung von Geldern zu bekommen. Mit der neuen Kryptoregulierung in Europa – MicA („Markets in Crypto Assets“) – wäre die Sache hierzulande derweil einfach, betont Philipp Sandner, Krypto-Experte an der Frankfurt School. „Damit stehen die Kunden an allererster Stelle. Erst danach würden im Insolvenzfall die Verbindlichkeiten der Firma und als letztes die Shareholder bedient“, erklärt er. Die neue Krypto-Regulierung in der EU wird 2024 in Kraft treten.

FTX-Kunden müssen sich wohl auf eine jahrelange Zitterpartie einstellen. Der Fall ist komplex, die Datenbasis schwierig. Hinzu kommt: Obwohl sich die Zahlungsschwierigkeiten da sicher schon abzeichneten, inszenierte sich Gründer Bankman-Fried bis kurz vor der Insolvenz noch als großer Retter der Kryptowelt. Mit vielen Millionen Dollar unterstützte er Unternehmen, die wegen des Einbruchs am Kryptomarkt in Bedrängnis geraten waren.

Einige von ihnen sind mittlerweile selbst insolvent, so wie der Kryptokreditgeber BlockFi. Dem Unternehmen, am dem auch der Wagnisinvestor Peter Thiel beteiligt war, lieh der US-Ableger von FTX rund 275 Millionen Dollar. Wie groß also der Insolvenztopf von FTX ausfällt, hängt auch damit zusammen, wie andere Insolvenzverfahren laufen. Die Aufarbeitung des Krypto-Chaos bringt Insolvenzverwaltern eine Menge Arbeit – und Gläubigern weiterhin Ungewissheit.

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