Türkische Lira stürzt ab Erdogan will Geldpolitik mitbestimmen

Erdogan-Pläne zur Geldpolitik lassen türkische Lira abstürzen Quelle: REUTERS

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan will im Falle seines Wahlsiegs bei der Präsidentenwahl im Juni die Notenbank an die kurze Leine nehmen. Das bleibt nicht ohne Folgen  – für die türkische Lira.

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Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wettert im Wahlkampfmodus gegen die Finanzmärkte und droht der türkischen Notenbank. Wenn die Bevölkerung wegen der Politik der Zentralbank Probleme habe, mache sie den Präsidenten dafür verantwortlich, sagte Erdogan in einem Interview mit Bloomberg TV am Montagabend in London. Daher müsse er eingreifen und werde im Falle eines Wahlsiegs im Juni die Währungshüter stärker unter seine Fittiche nehmen. Er gehe davon aus, dass sie dann seiner vielfach geäußerten Forderung niedrigerer Zinsen folgen werden.

Die türkischen Finanzmärkte gerieten nach diesen Aussagen am Dienstag unter Druck. Die Landeswährung fiel sowohl zum US-Dollar als auch zum Euro auf neue Rekordtiefs. An der Börse in Istanbul gab der wichtigste Leitindex um ein Prozent nach. Zudem stieg die Rendite türkischer Staatspapiere mit zehnjähriger Laufzeit auf einen Rekordwert von 14,29 Prozent. Kein gutes Signal für Ankara, denn höhere Marktzinsen machen die Aufnahme neuer Staatsschulden teurer.

Am 24. Juni wird in der Türkei erstmals zeitgleich sowohl der Präsident als auch das Parlament gewählt; dementsprechend heiß läuft inzwischen der Wahlkampf. Bereits am Freitag hatte Erdogan mit markigen Worten die Finanzmärkte des eigenen Landes unter Druck gebracht. Die Türkei müsse die Zinsen senken, weil sie die „Mutter allen Übels“ und Grund für Inflation seien, sagte der Präsident.

Außerdem holte er zu einem Rundumschlag aus gegen alles, was mit internationalen Finanzmärkten zu tun hat. „Devisenspekulanten, die Zinslobby und Feinde der Türkei unter dem Deckmantel von Ratingagenturen sind unsere Sache nicht“, sagte Erdogan vor Unternehmensvertretern. Anfang Mai hatte die US-Ratingagentur S&P die Bewertung der türkischen Kreditwürdigkeit auf „BB-“ gesenkt - unter anderem mit Verweis auf die hohe Inflation. Bereits seit März ist die Lira stark unter Druck und fällt von einem Rekordtief zum nächsten. Zuvor hatten die historisch niedrigen Zinsen in Industrieländern lange Zeit viel Geld internationaler Investoren in Schwellenländer wie die Türkei gelockt. Doch die schrittweisen Leitzinserhöhungen in den USA und die in Aussicht stehende allmähliche Abkehr vom Krisenmodus der Geldpolitik im Euroraum lässt nun umgekehrt wieder Geld aus Schwellenländern abfließen. Das setzt die dortigen Währungen unter Druck.

Die Türkei ist in diesem Umfeld besonders stark betroffen, weil sich hier die Wirtschaft trotz eines nach offiziellen Zahlen äußerst hohen Wachstums in einer sehr heiklen Lage befindet. Die schwache Landeswährung verteuert die Importe; und das in einem Land, dessen Einfuhren die Ausfuhren chronisch übersteigen.

Gleichzeitig ist die türkische Inflation mit über 10 Prozent hoch. In einer solchen Lage würden Währungshüter in der Regel die Zinsen erhöhen, um die Teuerung zu dämpfen - auch auf die Gefahr hin, das Wirtschaftswachstum dadurch zu dämpfen. Doch angesichts wiederholter Warnungen seitens des Präsidenten agiert die Notenbank in Ankara insgesamt sehr zaghaft, wenn sie auch im April die Zinsen etwas anhob. Experten warnen vor einer Überhitzung der Wirtschaft, also einer durch günstige Kredite zu hohen Produktion, die die Nachfrage übersteigt und in eine Stagnation oder gar Rezession umschlägt.

Einwandererkind, Häftling, Staatspräsident
Vom Häftling zum StaatspräsidentenRecep Tayyip Erdogan ist seit dem 28. August 2014 Staatspräsident der Türkei. Zuvor war er von 2003 bis 2014 Ministerpräsident. Seine politische Laufbahn begann im Jahr 1994, als er zum Oberbürgermeister von Istanbul gewählt wurde. Im Vorfeld bekleidete er bereits mehrere Parteiämter in der „Wohlfahrtspartei“. Im Jahr 1998 wurde er wegen „Missbrauchs der Grundrechte und -freiheiten“ zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, allerdings bereits nach vier Monaten wieder entlassen. Im Jahr 2001 gründete er die Gerechtigkeits- und Aufschwungpartei „AKP“, mit der er im Jahr 2002 überraschend den Wahlsieg holte. Quelle: REUTERS
Familie stammt aus GeorgienErdogan wurde am 26. Februar 1954 in Istanbul als Sohn eines Seemanns geboren. Die Familie stammt ursprünglich aus Georgien und war in die Türkei eingewandert. Er hat eine Schwester und drei Brüder. Mit seiner Frau Emine ist Recep Erdogan seit 1978 verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne und zwei Töchter. Das Bild zeigt Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak, seine Tochter Esra Albayrak sowie Ehefrau Emine (v. l.). Quelle: dpa
„Vater der Türken“In seiner Anfangszeit als Ministerpräsident war Erdogan noch ein Hoffnungsträger des Westens und galt als reformwilliger und moderner Politiker. Mehr und mehr zeichnete sich jedoch ein autokratischer Führungsstil ab. Erdogan inszeniert sich als eine Art „Vater der Türken“ und will das Bild eines mächtigen Staatslenkers vermitteln. Dabei macht er nicht Halt vor einem harten Durchgreifen gegen politische Gegner, freie Journalisten und Kritiker seiner Politik. Quelle: REUTERS
Zeichen der MachtDer neue Präsidentenpalast in Ankara unterstreicht die imperialistischen Züge der Politik Erdogans. Das Gebäude hat eine Grundfläche von etwa 40.000 Quadratmetern und verfügt über circa 1000 Zimmer. Die Baukosten beliefen sich auf mehr als 490 Millionen Euro. Offiziell handelt es sich bei dem Palast um einen Schwarzbau, da dieser in einem Naturschutzgebiet errichtet wurde. Mehrere Gerichte hoben die Baugenehmigung auf und ordneten einen Baustopp an. Auch das oberste Verwaltungsgericht der Türkei erklärte den Bau für rechtswidrig. Der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ignorierte diese Urteile und ließ den Palast weiterbauen. Quelle: dpa
Ziemlich beste Freunde?Das Verhältnis zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin ist seit dem Syrien-Konflikt angespannt. Zwischen Moskau und Ankara herrschte zwischenzeitlich diplomatische Eiszeit, mittlerweile haben sich die Beziehungen wieder etwas normalisiert. In Syrien verfolgen beide jedoch verschiedene Ziele: Putin gilt als Unterstützer des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, Erdogan will das Regime in Damaskus stürzen. Die Türkei galt lange als Stabilitätsanker in der unruhigen Region des Nahen Ostens, mittlerweile bekommt dieses Bild allerdings erste Risse – nicht zuletzt durch den Putschversuch im Juli. Quelle: AP
Dubioser FlüchtlingsdealAuch das Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Staatschef ist mehr als mittlerweile angespannt. Im Frühjahr 2016 einigen sich die beiden auf einen umstrittenen Deal, um die Flüchtlingskrise zu lösen: Jeder Hilfesuchende, der auf den griechischen Inseln ankommt, muss damit rechnen, wieder in die Türkei zurückgebracht zu werden. Im Gegenzug verspricht Deutschland, für jeden Syrer, der sich unter den Bootsankömmlingen befindet, einen syrischen Flüchtling direkt aus der Türkei aufzunehmen. Angela Merkel ist sich sicher: So wird das Geschäftsmodell der Schlepper zerstört und das Flüchtlingsproblem in der EU gelöst. Gleichzeitig begibt sich die Bundeskanzlerin mit dem Abkommen weiter in Erdogans Abhängigkeit, der diese geschickt zu nutzen weiß: Bereits mehrfach drohte Erdogan damit, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, sollte es beispielsweise keine Fortschritte bei den Verhandlungen zur Visafreiheit geben. Zuletzt verschlechterte sich das Verhältnis durch die Inhaftierung zweier deutscher Journalisten sowie das Verbot von Bundestagsabgeordneten Bundeswehr-Soldaten in Incirlik zu besuchen. Quelle: dpa
Gescheiterter PutschversuchIm Juli 2016 eskalierte die Lage in der Türkei: Teile des türkischen Militärs versuchten am 15. und 16. Juli, die türkische Regierung mit Präsident Erdogan und seinem AKP-Kabinett zu stürzen. Der Versuch scheiterte jedoch, nach wenigen Stunden hatte die türkische Regierung wieder die Kontrolle über das Land. Die Bilanz des gescheiterten Putschversuchs: Beinahe 300 Menschen wurden getötet und mehr als 2000 weitere verletzt. Außerdem kam es zu Massenverhaftungen und Massenentlassungen von Tausenden Staatsbürgern – besonders Soldaten, Beamte und Akademiker sowie Journalisten waren betroffen von der „Säuberungsaktion“. Quelle: dpa
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