Die sogenannten „Magnificent Seven“ treiben mit ihrem Gewicht von 30 Prozent an der Marktkapitalisierung des S&P 500 die Börsen an: Allen voran Nvidia, aber auch Microsoft, Google & Co.
Microsoft hat kürzlich die drei-Billionen-Dollar-Bewertung an der Börse überschritten, Nvidia ist in kürzester Zeit zum zwei-Billionen-Dollar-Unternehmen aufgestiegen. Mancher fühlt sich an die Zeit der Dotcom-Blase zu Beginn des Jahrtausends erinnert.
Treibstoff dieser Entwicklung ist das Trendthema Künstliche Intelligenz (KI). Von KI verspricht man sich signifikante Produktivitätssteigerungen quer durch alle Wirtschaftsbereiche – als Antwort auf den demographischen Wandel und Wachstumsschwächen in entwickelten Volkswirtschaften.
Beratungsgesellschaften rechnen mit einem theoretisch möglichen Produktivitätszuwachs von bis zu 4,4 Billionen US-Dollar jährlich. Dies wären etwa 5 bis 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der ökonomisch entwickelten Staaten der Welt.
Zur Person
Karl Heinz Krug, CFA, ist Mitglied der CFA Society Germany und Vice President Public Finance bei der Unternehmens- und Technologieberatung Capgemini. Mit beruflichen Stationen bei Microsoft Worldwide Public Sector, als Bürgermeister und Stadtkämmerer der Stadt Bad Homburg v.d.H. sowie im Finanzressort der AXA Deutschland verfügt er über einen umfangreichen Erfahrungshintergrund aus Technologie, Public Sector und Finanzen.
Wohlgemerkt: All dies sind Erwartungen. Nvidia als Prozessorhersteller kann tatsächlich schon reale Gewinne verbuchen. Bei den Softwareherstellern und Cloud-Plattformanbietern sind die gewaltigen Investitionen in Rechenzentren und Produktentwicklungen hingegen noch eine Wette auf die Zukunft. Auf der Anwenderseite der Wirtschaft hat mit Ausnahme von ersten Prototypen noch keine wirkliche breite Transformation begonnen.
Sind weitere Unternehmen, die sich im Kielwasser des KI-Großtrends nun empfehlen wollen, ein lohnenswertes Investment für Privatanleger? Worauf Anleger achten sollten: Es ist auffällig, dass sich viele Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere wenn sie an der Börse gelistet sind, mit dem Hinweis auf KI in der Kapitalmarktkommunikation einen Bewertungsvorteil zu verschaffen versuchen. Häufig handelt es sich bei einem genaueren Blick um „AI washing“, also einer übertriebenen Darstellung der Nutzung von KI im eigenen Business-Kontext.
Hellhörig sollten Anleger auch bei der Nutzung von Begrifflichkeiten werden: Während sich maschinelles Lernen bereits seit den 1990er-Jahren in der Finanzindustrie etablierte (und ab 2018 einen ersten KI-Hype entfachte), ist generative KI seit 2022 ein tatsächlich neuer Ansatz. Nicht selten werden diese unterschiedlichen Technologien in der Kommunikation synonym verwendet.
Schneller schlau: So lernen Maschinen das Denken
Mit Kameras, Mikrofonen und Sensoren erkunden die Maschinen ihre Umwelt. Sie speichern Bilder, Töne, Sprache, Lichtverhältnisse, Wetterbedingungen, erkennen Menschen und hören Anweisungen. Alles Voraussetzungen, um etwa ein Auto autonom zu steuern.
Neuronale Netze, eine Art Nachbau des menschlichen Gehirns, analysieren und bewerten die Informationen. Sie greifen dabei auf einen internen Wissensspeicher zurück, der Milliarden Daten enthält, etwa über Personen, Orte, Produkte, und der immer weiter aufgefüllt wird. Die Software ist darauf trainiert, selbstständig Muster und Zusammenhänge bis hin zu subtilsten Merkmalen zu erkennen und so der Welt um sie herum einen Sinn zuzuordnen. Der Autopilot eines selbstfahrenden Autos würde aus dem Auftauchen lauter gelber Streifen und orangefarbener Hütchen zum Beispiel schließen, dass der Wagen sich einer Baustelle nähert.
Ist das System zu einer abschließenden Bewertung gekommen, leitet es daraus Handlungen, Entscheidungen und Empfehlungen ab – es bremst etwa das Auto ab. Beim sogenannten Deep Learning, der fortschrittlichsten Anwendung künstlicher Intelligenz, fließen die Erfahrungen aus den eigenen Reaktionen zurück ins System. Es lernt zum Beispiel, dass es zu abrupt gebremst hat und wird dies beim nächsten Mal anpassen.
Kritische Rechtsfragen bei KI
Es gibt noch weitere Risiken, die die Bewertungen der Tech-Konzerne empfindlich treffen könnten. So laufen in den USA derzeit Urheberrechtsklagen gegen die Anbieter großer Sprachmodelle. Dem bekanntesten Vertreter ChatGPT (gehört zu OpenAI mit Großaktionär Microsoft), wird vorgeworfen, seinen Sprachdienst illegal anhand von Millionen von „New York Times“-Artikeln trainiert zu haben. Der Ausgang dieser Klagen könnte die Nutzung beziehungsweise den Umfang der sogenannten LLMs („Large Language Models“) einschränken.
Noch entscheidender wird die künftige Regulierung von KI seitens der Politik beziehungsweise der Aufsichtsbehörden sein. Hierbei vermischen sich industrie-, sicherheits- und geopolitische Erwägungen. Während die USA beispielsweise den Zugriff Chinas auf bestimmte Chips, Prozessoren und Technologien einschränken wollen, ist der EU im Sinne eigener technologischer Souveränität daran gelegen, die Interessen zwischen europäischen und US-Anbietern auszubalancieren.
Auch Haftungsfragen werden im Zuge der Ausdifferenzierung dieser Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle spielen. Ein spektakulärer Fall ereignete sich jüngst in Kanada, wo ein KI-Chatbot der Fluggesellschaft Air Canada einem Kunden einen falschen Betrag für eine Rückerstattung in Aussicht stellte. Die Gerichte gaben dem Verbraucher recht – Air Canada musste über 800 kanadische Dollar für den Fehler des Bots erstatten.
Ausblick
Auch mit Blick auf Nachhaltigkeit und Klimawandel stellen sich noch größere Fragen an die Nutzung von KI. Der Energiehunger und Wasserbedarf zur Kühlung der Prozessoren in den Rechenzentren ist gewaltig. Dieser Bedarf wird sich nicht nur aus regenerativen Energiequellen decken lassen. Wie wird man mit diesem Thema umgehen, wenn man den Einsatz von fossilen Energieträgern aus nachvollziehbaren Gründen ausschließen oder reduzieren will?
Bei aller Begeisterung für die möglichen Produktivitätsgewinne durch die neuen Technologien: Es gilt, die möglichen Risiken technischer, rechtlicher, politischer und ökologischer Art im Blick zu behalten. Dies sollte dabei helfen, den aktuellen Hype und die Bewertungen mit einer eigenen Perspektive einzuordnen.
Die Kolumne „Verkehrte Finanzwelt“ entsteht in Zusammenarbeit mit der CFA Society Germany.
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