Verkehrte (Finanz-)Welt
Digitalisierungswelle: Was Anleger beachten müssen Quelle: REUTERS

Vom Kapitalismus zum Dataismus: Was Anleger beachten müssen

Mit der stetig wachsenden Bedeutung von Daten wird die Macht großer Technologiekonzerne wie Apple oder Amazon weiter zunehmen, andere werden den Anschluss verlieren. Das müssen Anleger bei der Aktienwahl berücksichtigen.

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Schon jetzt sind die acht nach Marktkapitalisierung größten Unternehmen der Welt mit Amazon, Apple, Alphabet, Microsoft, Facebook, Tencent und Alibaba fast ausnahmslos Technologieunternehmen, die größtenteils von der Digitalisierungswelle profitieren. Allein Apple kommt derzeit auf einen Börsenwert von gut 800 Milliarden Euro. Das ehemals weltgrößte Unternehmen Exxon kommt demgegenüber gerade einmal auf knapp 300 Milliarden Euro. General Electric – nach der Jahrtausendwende wertvollstes Unternehmen – ist nach einem Kurssturz von 50 Prozent innerhalb eines Jahres heute nur noch weniger als 100 Milliarden Euro wert und wurde jüngst sogar aus dem US-Leitindex Dow Jones Industrial Average aussortiert.

Zukünftig wird sich die Spreu der Aktien, die es nicht schaffen, die technologischen Entwicklungen für sich zu nutzen, noch mehr vom Weizen der Unternehmen, die die Zukunft eng und aktiv begleiten, trennen. Das bringt Herausforderungen bei der Aktienauswahl mit sich.

Bekanntestes Negativbeispiel ist Nokia, der einstmals größte und modernste Handyhersteller der Welt, dessen Kurs von knapp 90 Euro auf dem Höhepunkt der Internetblase um 95 Prozent auf heute unter 5 Euro abgestürzt ist. Wer den rasanten technologischen Wandel nicht eng begleitet und wenn nötig schnell auf neue Entwicklungen reagiert, verliert den Anschluss.

Carsten Mumm Quelle: Donner & Reuschel

Die technologische Entwicklung ermöglicht völlig neue und anders zu bewertende Geschäftsmodelle. Apple hat das Bedürfnis nach Smartphones erst geweckt. Noch vor 10 Jahren war kaum zu ahnen, dass wir die kleinen Minicomputer heute kaum noch aus der Hand legen.

Ähnliches gilt für diverse digitale Plattformen, wie etwa Facebook oder WeChat. Gleichzeitig ist der Bedarf für soziale Netzwerke und damit auch das Geschäftsmodell von Facebook & Co. relativ konjunkturunabhängig. Wir nutzen sie auch im nächsten Konjunkturabschwung mindestens genauso intensiv wie aktuell – vielleicht sogar noch mehr.

Gerade soziale Netzwerke nutzen erhebliche Skalen- und Netzeffekte. Der „Maschine“ von Facebook ist es egal, ob 100.000, eine Million oder eine Milliarde Nutzer angemeldet sind. Es bedarf höchstens einiger neuer Server, aber keiner komplett neuen Fabrik. Die Skalierbarkeit des Geschäftsmodells ist nahezu unendlich. Für Werbepartner wiederum, also die Umsatztreiber des Unternehmens, ist die Anzahl der User ein entscheidender Faktor. Große Anbieter ziehen dadurch immer mehr Nutzer an – ein Aspekt, der für klassische Branchen kaum gilt.

Andererseits ist nicht alles, was technologisch einen modernen Anschein hat, auch ein vielversprechendes Investment. Ob Tesla tatsächlich in einigen Jahren der führende Hersteller von E-Autos und profitabel sein wird, ist fraglich. Wer kaum ebenbürtige Wettbewerber hat, läuft zudem Gefahr, sich selbst zu überschätzen und Fehler zu begehen – dafür war ebenfalls Facebook jüngst ein gutes Beispiel. Das wiederum könnte in schnelllebigen Zeiten dann doch ein Ansatz für neue Anbieter sein. Auch das müssen Anleger und Analysten berücksichtigen.

An der Schwelle zum Dataismus

Doch nicht nur die Abschätzung technologischer Entwicklungen und zukünftiger Bedürfnisse der Konsumenten ist eine Herausforderung. Für neuartige Geschäftsmodelle müssen bestehende Bewertungsmethoden überarbeitet werden. Wenn die Wertschöpfung eines Unternehmens daraus besteht, die eigentliche Dienstleistung – zum Beispiel soziales Netzwerken – auf den ersten Blick unentgeltlich anzubieten, über die Nutzung der Daten bzw. die Bezahlung durch Werbepartner aber enorme Einnahmen zu erzielen, kann man mit herkömmlichen Ansätzen, die sich beispielsweise auf Industrie, Handel oder Finanzen fokussieren, nicht adäquat analysieren.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht bedeutet die Digitalisierung die Möglichkeit eines enormen Produktivitätsschubs, der mit der Entwicklung der industriellen Revolution vergleichbar ist. Dadurch könnten die seit Jahren fallenden Wachstumspotenziale sowohl der entwickelten Industrienationen als auch der Schwellenländer nach oben verschoben werden. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob wir bisher wichtige volkswirtschaftliche Kennziffern, wie Wachstum, Inflation oder Produktivität heute überhaupt noch richtig rechnen und inwiefern sich gewohnte Zusammenhänge verschieben.

Bis vor wenigen Jahren schien beispielsweise der Zusammenhang zwischen niedriger Arbeitslosigkeit, steigenden Löhnen und daraus resultierend steigender Inflation noch unumstößlich. Dass die in Deutschland und den USA aktuell nahezu erreichte Vollbeschäftigung am Arbeitsmarkt bisher nur zu verhältnismäßig geringen Lohnsteigerungen geführt hat, liegt möglicherweise auch daran, dass zunehmend digitalisierte Volkswirtschaften anders funktionieren.

Der wichtigste Rohstoff der digitalisierten Zukunft wird nicht wie in den vergangenen Jahrhunderten Grund und Boden, menschliche Arbeitskraft oder Kapital sein. Schon heute sind Daten der eigentlich wesentliche Produktionsfaktor. Denn sie sind branchenübergreifend und in jeder Hinsicht zur Optimierung der Dienstleistungs- und Produktionsprozesse notwendig (zum Beispiel zur Optimierung von Transport- und Wartezeiten im Logistiksektor, zur Eruierung von Anlagestrategien im Finanzbereich, zum automatisierten Erkennen von Markierungen und Hindernissen im Straßenverkehr etc.). Wir stehen an der Schwelle vom Kapitalismus zum Dataismus.

Aktives Portfoliomanagement gewinnt an Bedeutung

Die digitale Zukunft verändert bereits jetzt nahezu jeden Winkel unseres Lebens – auch die Kapitalanlage. Und, ähnlich wie beim iPhone, haben wir möglicherweise heute noch keine Vorstellung davon, was in zehn Jahren als unverzichtbares Produkt oder selbstverständliche Dienstleistung gelten wird. Das macht es Analysten und Anlegern schwer, bietet aber auch attraktive neue Investmentmöglichkeiten. Das aktive Management von Aktienportfolien gewinnt in Zeiten extremen Wandels an Bedeutung. Voraussetzung dafür ist jedoch eine vorab klar definierte Anlagestrategie inklusive einer stringenten Systematik zur Begrenzung von Verlusten. Denn ohne zwischenzeitliche Übertreibungen und darauf folgende Enttäuschungen wird auch dieser technologische Wandel nicht von statten gehen.

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