
Risiko kennt Dieter Pasch nur aus seiner Freizeit. Wenn er mit seinem weißen Sportwagen auf den Straßen rund um Krefeld unterwegs ist, gibt der unabhängige Finanzkaufmann Gas. In Sachen Beratung setzt er auf Sicherheit. Pasch, klassisches Hemd zum marineblauen Strickpullover, hyperseriös dank randloser Brille, sitzt hinter seinem blauen Schreibtisch. Alles hat seinen Platz, der Taschenrechner suggeriert sichere Berechenbarkeit. Und trotzdem: In den letzten Jahren hat er so gut wie keine klassischen Bausparverträge verkauft. Viel mehr als drei seien es nicht gewesen.
Phasen der Bauzinsentwicklung von 1980 bis heute
Im Juni 1980 lagen die Zinsen für Immobilienkredite bei rund 9,5 Prozent, so dass eine Finanzierung über 200.000 Euro mit zehnjähriger Zinsbindung, einem Beleihungsauslauf von 60 Prozent und einer Tilgung von einem Prozent monatlich umgerechnet 1.750 Euro kostete. Die Belastung für ein solches Darlehen summierte sich damit binnen zehn Jahren auf rund 178.000 Euro.
Quelle: Interhyp Gruppe
Die Zeit der Wiedervereinigung war aus Kreditsicht alles andere als ein preiswertes Vergnügen. Mitte der Achtziger waren die Zinsen zwar auf rund 7,5 Prozent gefallen, Anfang der Neunziger verlangten die Banken für ein Immobiliendarlehen jedoch wieder neun Prozent und mehr. Pro Monat mussten Darlehensnehmer dementsprechend erneut rund 1.700 Euro für den besagten 200.000-Euro-Kredit aufbringen.
Zur Jahrtausendwende sind die Zinsen für Immobilienkredite und Kredite überhaupt Achterbahn gefahren. Die Internetblase hatte die Konditionen binnen kurzer Zeit extrem steigen lassen. Konnten Kreditnehmer Ende der neunziger Jahre bereits zu vier Prozent finanzieren, hatte der Aktienboom die Kreditzinsen Anfang 2000 wieder auf über sechs Prozent getrieben. Im Vergleich zu den vorangegangen Jahren waren Darlehen dennoch billig wie nie zuvor. Unser 200.000-Euro-Kredit konnte im Juni 2000 daher bereits mit einer Monatsrate von rund 1.200 Euro bedient werden. Die Kosten dafür lagen auf zehn Jahre gerechnet bei 113.000 Euro.
Die Bankenkrise und die weltweite Erlahmung der Konjunktur haben die Konditionen weiter sinken lassen. Die Zinsen bewegten sich im Juni 2010 bei rund 3,6 Prozent. Im Vergleich zu 2000 halbierte sich die Monatsrate für den beispielhaften 200.000-Euro-Kredit damit fast auf rund 770 Euro. Die Kosten über zehn Jahre hinweg beliefen sich 2010 auf nur noch rund 68.000 Euro.
Während Sparer unter der aktuellen Niedrigzinsphase leiden, dürfen sich Immobilienkäufer über beste Finanzierungsbedingungen freuen. Die Zinsen für das bekannte Immobiliendarlehen über 200.000 Euro mit der Laufzeit von 10 Jahren und einer 60-prozentigen Beleihung liegen im Juni 2014 bei rund 2,2 Prozent. Die monatliche Kreditrate kostet derzeit mit 533 Euro weniger als ein Drittel der Rate vom Juni 1980 – als rund 1.750 Euro für dasselbe Darlehen fällig waren. Und während Kreditnehmer in den achtziger Jahren allein fast die komplette Kreditsumme als Kosten kalkulieren mussten, müssen Häuslebauer heute nur noch knapp 42.000 Euro binnen zehn Jahren zahlen.
Auch Monika und Karl-Heinz Förster* werden Paschs Büro ohne Bausparvertrag verlassen. Das Ehepaar will vor der Rente von der niederrheinischen Provinz in den Speckgürtel von Köln ziehen, dahin, wo was los ist. Während Karl-Heinz Förster in seiner Aktentasche noch nach dem letzten Steuerbescheid kramt, hackt Pasch Zahl um Zahl in eine Software. Eigenkapital, Wert der Wohnung, Nettoeinkommen. Als Förster den Steuerbescheid gefunden hat, präsentiert Pasch bereits einen Kredit. Kein Ansparen, das Geld kommt sofort, das Paar kann seine Traumwohnung finanzieren und ist bis zum Ruhestand schuldenfrei. Gehen Sie nicht zur Bank, ruft Pasch den beiden beim Hinausgehen hinterher. Die würden nur Bausparverträge verkaufen.
Was ist hier passiert? Es ist noch gar nicht so lange her, da versetzte ein fertig besparter Bausparvertrag den deutschen Häuslebauer förmlich in einen Rausch – ein Freudenfest der Tag, an dem Mutti die Sekttulpen aus der Schrankwand holte und Vater den Korken knallen ließ. Bausparer waren die Mitte der Gesellschaft. „Du Papa, wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden.“ Die Botschaft schickten die Landesbausparkassen (LBS) 2004 zur besten Sendezeit in Deutschlands Wohnzimmer. Ein kleines Mädchen mit braunen Zottelhaaren und Fransenjacke erzählt ihrem Hippie-Vater Horst, warum es auf sein alternatives Alt-68er-Bauwagen-Leben keine Lust hat. Dann lieber Spießer. So dachten viele Deutsche, überall wurde von den eigenen vier Wänden geträumt. Bausparverträge, mit denen sich die Sparer noch vor der ersten Ratenzahlung ihren Zins der Zukunft sichern konnten, waren wie gemacht für die risikoscheue deutsche Häuslebauer-Seele.
Das Modell ist ebenso einfach wie solidarisch: Bausparer zahlen in einen gemeinsamen Topf ein. Die Bausparkasse zahlt ihnen auf dieses Guthaben Zinsen. Hat einer die vereinbarte Summe gespart, ist der Vertrag „zuteilungsreif“ und kann „abgerufen“ werden. Soll heißen: Der Bausparer bekommt einen Kredit zu einem zugesagten Zins und kann bauen. Die Zinsen, die er für den Kredit zahlt, fließen in den Topf, so kommt der nächste Sparer zu seinem Immobilientraum. Ein rundes System. Aber nur noch Theorie.
Banken mit Kampfkonditionen
Zwar ist der Traum vom Eigenheim dank niedriger Zinsen präsent wie selten zuvor. Bauherren und Wohnungskäufer wollen aber nicht mehr jahrelang warten, bis sie loslegen können. Und dank großzügig gewährter Kredite und niedriger Zinsen müssen sie es auch nicht mehr. Wer heute hinter vorgehaltener Hand erklärt, gerade einen Bausparvertrag abgeschlossen zu haben, wird schräg angesehen. „Viel zu teuer“, heißt es dann. „Das kriegste bei den Banken doch günstiger.“ Banken werben mit Kampfzinsen um Immobilienkäufer, selbst lange Zinsbindungen über 20 Jahre gibt es für gut zwei Prozent Zinsen. Und so stellen die Niedrigzinsen das Geschäftsmodell der Bausparkassen infrage. Ihre Rendite ist die schwächste unter allen Instituten. Viele leben von Reserven. Bei Marktführer Schwäbisch Hall schrumpfte das Ergebnis, weil das Unternehmen deutlich mehr Rücklagen für Kreditausfälle bilden musste. Gleichzeitig muss das Unternehmen weiter über 70 Cent für einen Euro Umsatz aufwenden – obwohl Berater die teuren Vertriebler der Branche radikal auf Sparen getrimmt haben. Für 2016 rechnet Schwäbisch Hall mit deutlich geringeren Zuwächsen. Zu allem Überfluss müssen die Kassen auf ihre Einlagen Strafzinsen bei der Europäischen Zentralbank zahlen.