
Dirk Reinhardt erwartete ein kleines monatliches Extrabudget, doch er bekam eine kalte Abfuhr: Als Betriebsrentner einer deutschen Tochter des US-Telekommunikationskonzerns AT&T hatte er, wie alle drei Jahre, die Bitte an das Unternehmen geschickt, seine Rente an die Inflation anzugleichen, sprich: zu erhöhen. „Da kamen früher etwa 250 Euro im Monat hinzu“, sagt der 71-Jährige aus Böblingen. Bei der aktuellen Inflation wäre es zwar weniger. Mit den regelmäßigen, gesetzlich vorgesehenen Anpassungen ergäbe sich auf Dauer aber immer noch eine nette Summe.
Doch das Unternehmen blockte ab. Die AT&T Global Network Services Deutschland (AGNS Deutschland) könne „keine angemessene Eigenkapitalverzinsung“ erwirtschaften, schrieb Reinhardts Ex-Arbeitgeber erstmals 2011 an betroffene Betriebsrentner. Daher dürfe das Unternehmen die Erhöhung ablehnen. „Wir bedauern dies sehr und hoffen, dass Sie unsere Entscheidung nachvollziehen können.“

Das aber konnte Reinhardt nicht. Mit Mitstreitern kämpft er seitdem für sich und etwa 100 Betroffene um das Rentenplus. Bis vor das Bundesarbeitsgericht in Erfurt sind sie schon gezogen.
Vordergründig geht es um den Kampf einiger Ruheständler um ein paar Hundert Euro mehr Betriebsrente. Nötig haben sie die nicht. Vor Reinhardts Reihenhaus steht eine Mercedes E-Klasse, wenn auch älteren Baujahrs. „Uns geht es weniger ums Geld als ums Prinzip“, sagt Reinhardt. Sie hätten loyal für den Arbeitgeber gearbeitet, der verhalte sich nun illoyal.
Der Rechtsstreit aber hat noch eine andere Dimension: Die Betriebsrentner legen sich nicht nur mit einem mächtigen Gegner an – nach Umsatz ist AT&T das zwölftgrößte US-Unternehmen –, ihr Streit bietet auch seltene Einblicke in das konkrete Steuergebaren eines multinationalen Konzerns.
Wie AT&T und seine Töchter Steueroasen nutzen
Konzernmutter: AT&T Inc (Delaware, USA)
Mehrheitseigner: AT&T Global Network Holdings (Delaware, USA)
Vertragspartner im AGITA-Abkommen: AGNS Deutschland (Böblingen) und AGNS Niederlande (Amsterdam)
Kleine Weltmacht. Der US-Telekommunikationsriese AT&T hat seinen Geschäftssitz in Dallas.
Umsatz 2014: 132,4 Milliarden Dollar
Gewinn vor Steuern: 10 Milliarden Dollar
Tatsächlich gezahlte Steuern: 1,7 Milliarden Dollar
Steuerquote: 16,8 Prozent
Provinzidylle. Die deutsche AT&T-Tochter AGNS Deutschland hat ihren Sitz in Böblingen.
Umsatz 2005 bis 2014: 1267,7 Millionen Euro
Gewinn vor Steuern 2005 bis 2014: 43,9 Millionen Euro
Steuern 2005 bis 2014: 1,4 Millionen Euro
Steuerquote: 3,1 Prozent
Reinhardt nimmt der AGNS Deutschland nicht ab, dass die Geschäfte schlecht laufen: Die in Deutschland ausgewiesenen Zahlen taugten nicht, um die Ertragsstärke zu beurteilen. Da Reinhardt früher selbst Finanzchef der AGNS Deutschland war, kennt er sich aus. Die Zahlen seien Folge einer Strategie multinationaler Konzerne. Die schieben Gewinne in Länder, in denen sie wenig Steuern zahlen – Deutschland gehört eher nicht dazu. Wenn hier aber weniger Gewinn ausgewiesen wird, wirkt sich das auf die Erhöhung der Betriebsrenten aus; das Unternehmen kann sie dann mit Verweis auf seine maue Ertragslage stoppen. „Wir Betriebsrentner sind ein Kollateralschaden dieser weltweiten Steueroptimierung der Konzerne“, sagt Reinhardt. Eine interne E-Mail eines früheren Geschäftsführers der AGNS Deutschland deutet tatsächlich darauf hin, dass die gemeldeten Gewinne mit Vorsicht zu studieren sind. Die Zahlen der Wirtschaftsprüfer ließen „keine wirklichen Rückschlüsse auf die ,reale‘ Geschäftssituation in Deutschland“ zu, hatte der mit erfrischender Offenheit ausgeplaudert.
So hoch ist die Steuerquote in verschiedenen OECD-Ländern
In den meisten Industrieländern ist der Anteil der Steuern und Sozialausgaben an der Wirtschaftskraft erneut gestiegen. Im OECD-Schnitt kletterte er auf 33,7 Prozent.
Die sogenannte Fiskalquote ist in Dänemark mit 48,6 Prozent am höchsten.
In Frankreihc liegt die Steuerquote bei 44 Prozent.
In Österreich beträgt der Anteil von Steuern und Abgaben am BIP gut 42 Prozent.
In Schweden liegt die Fiskalquote bei 36 Prozent.
In Deutschland stieg die sogenannte Fiskalquote nur leicht auf 36,7 von 36,5 Prozent und damit das zweite Jahr in Folge.
Griechenland liegt mit gut 33 Prozent Steuerquote hinter Deutschland
Auch n Großbritannien liegt die Steuerquote mit 33,5 Prozent kurz unterhalb des OECD-Durchschnitts.
In Spanien machen Steuern und Abgaben rund 32 Prozent des BIP aus.
In den USA beträgt die Quote 25,4 Prozent.
In Mexiko ist die Quote mit 19,7 Prozent am niedrigsten.
AT&T dagegen versichert, mit allen ehemaligen Angestellten fair umzugehen. Die gezahlten Betriebsrenten seien überdurchschnittlich.
Geld landet auf einem weltweiten Verschiebebahnhof
Wie Kosten zwischen Konzerntöchtern verrechnet werden, ist eine der wichtigsten Stellschrauben multinationaler Konzerne, mit deren Hilfe sie ihre Steuerlast drücken. „Die Grenzen zwischen einer angemessenen Erfassung von Leistungen innerhalb des Konzerns und einer aktiven Steuergestaltung sind fließend“, sagt Robert Ullmann, Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Uni Augsburg. Vor allem Technologie- und Internetunternehmen sind für ihre Steuervermeidungsstrategien massiv in die Kritik geraten. Anfang Oktober hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gemeinsam mit den G20, dem Zusammenschluss der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, Empfehlungen vorgelegt, die der „Aushöhlung der Steuerbasis und Gewinnverlagerung“ großer Konzerne einen Riegel vorschieben sollen. Die Praktiken schadeten nicht nur Steuerzahlern, sondern auch dem Wettbewerb, da kleine und mittelständische Unternehmen solche Möglichkeiten nicht hätten, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium.